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Last Days

| Alexandra Seitz |

Verkleidet in den mutmaßlichen Verlauf der letzten Tagen Kurt Cobains schildert Gus Van Sants minimalistisches Meisterwerk das allmähliche Verschwinden eines Menschen aus der Welt.

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Als sich Kurt Cobain, Kopf und Herz der stilprägenden Grunge-Band Nirvana, am 7. April 1994 auf seinem Grundstück am Lake Washington erschoss, setzte nahtlos Mythenbildung ein. Der Gegenstand war denkbar geeignet; Cobain, der notorisch scheue Poet, war in die allergrößten Seelen-Schwierigkeiten geraten, nachdem er mit seiner Band mir nichts dir nichts zu Weltruhm aufgestiegen und zur Ikone von teenage angst stilisiert worden war. Drogen taten ein Übriges. Cobains Schicksal steht als Bilderbuchbeispiel für den potenziell tödlichen Konflikt zwischen Kreativität und Kommerz.

Trotzdem ist es eigentlich egal, ob es der Frontmann von Nirvana sein soll, der da in Gus Van Sants Last Days auf seinem Weg vom Leben in den Tod durch den Wald murmelt, oder irgendjemand anderer, dessen Namen niemand kennt. Im Grunde bräuchte diese von Minute zu Minute durchscheinender wirkende Gestalt nicht einmal Musiker sein. Denn statt eines langen Klageliedes über die Ausbeutung einer Künstlerseele ist Last Days eine Verdichtung jener Zeitspanne, in der ein Mensch sich, aus welchen Gründen immer, aus der Welt verabschiedet – und es seine Umgebung nicht schafft, oder nicht wagt, ihn aufzuhalten.

Das Verhältnis zwischen dem Musiker namens Blake (Michael Pitt) und den Menschen, die mit ihm in einem weitläufigen und weit gehend leeren Herrenhaus hausen, ist von ebenso faszinierender wie geradezu niederschmetternd animalischer Ausdruckskraft: Die anderen meiden Blake, den Geist, der im Rohypnol-Rhythmus durch die Gänge schleicht, wie der Teufel das Weihwasser; so als könnten sie den Tod riechen, der ihn in den Klauen hat. Denn dem Tod macht man seine Beute besser nicht streitig. Es herrscht eine bezeichnende Mischung aus Gleichgültigkeit, Feigheit und Angst, kontrastiert mit einer abgründigen, schwindelerregenden Verzweiflung. Verstärkt wird die Sogwirkung des Geschehens von Harris Savides leise dahinschwebender Kamera, die lauter letzte Bilder einzufangen scheint, kurz vor dem endgültigen Verlöschen.

Wie Brückenpfeiler stehen zwei Szenen mit Musik im träge dahinfließenden Styx: Eine verzweifelt-insistierende Rückkopplungsorgie (aus der Ferne von außen durch die Fenster beobachtet) und ein traurig-lärmendes Lied, das vom Schauspieler Michael Pitt stammt und mühelos die große musikalisch-lyrische Bedeutung Cobains beweist. Nirvana-Songs sucht man in Last Days natürlich vergeblich. Es braucht sie auch nicht.