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Casino Royale – Bond at Pinewood

Bond at Pinewood

| Gerhard Midding |

Vom der „Goldfinger Avenue“ über den  „007 Drive“ in die „Broccoli Road“: Eine kleine Tour durch die Geschichte jenes britischen Studios, in dem seit
„Dr. No “ (fast) alle Bond-Abenteuer entstanden.

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Am Horizont sind Rauchschwaden zu sehen. „Nicht schon wieder!“, seufzt der Taxifahrer, der mich vom U-Bahnhof Uxbridge hinaus nach Iver Heath fährt. Vor zweieinhalb Wochen brach in der „007 Stage“ ein Feuer aus. Unmittelbar nach Drehschluss von Casino Royale ging das Dekor des venezianischen Palazzo in Flammen auf, der am Ende des Films versenkt wird. Als wir Iver Heath näher kommen, beruhigt mich der Fahrer: Der Brandherd liegt doch einigen Meilen entfernt.

Die Studios liegen im grünen Gürtel Londons, der bereits zur Grafschaft Buckinghamshire gehört. Als wir in die Pinewood Road einbiegen und das Studiotor erreichen, stehen zwei Feuerwehrwagen auf dem Parkplatz. Julia Kenny, die Leiterin der Marketing-Abteilung, klärt mich auf, das sei ganz normal, da Pinewood über eine eigene Feuerwache verfügt. Die „007 Stage“, zu der sie mich am Ende der Besichtigung bringt, ist in einem Radius von mehreren Metern abgeriegelt. Das silbern schimmernde Gebäude mutet wie ein umgekippter Supertanker an, dessen Kiel der Länge nach aufgerissen ist.

An diesem Augusttag wirkt das Studio wie ein Dorf in der Ferienzeit. Es werden Werbespots gedreht – einer im Park neben der Stelle, wo Robert Shaw in From Russia with Love einen Sean Connery-Doppelgänger erdrosselte. Für The Bourne Ultimatum werden Produktionsbüros und die Requisite eingerichtet. Tischler errichten die Aufbauten zu einer Komödie, in der Vince Vaughn den Bruder des Weihnachtsmannes spielen soll. Dennoch herrscht Ruhe auf dem Gelände, als müsste sich Pinewood von den Anstrengungen der letzten Bond-Drehs erholen, der fast ein halbes Jahr in Anspruch nahm.

Die Namen einiger Studiostraßen erweisen der Serie Reverenz, die seit 45 Jahren zu einem Synonym für Pinewood geworden ist: der „007 Drive“, die „Goldfinger Avenue“ und „Broccoli Road“. Mit Ausnahme von Moonraker (dessen Studioszenen in Paris gedreht wurden), ist hier seit Dr. No jedes Bond-Abenteuer entstanden. Die Gabe der Verwandlung lässt Filmateliers zu Alchimistenwerkstätten werden. Sie fingieren auf kleinem Raum eine wundersame Welthaltigkeit. Aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten, Dekor und Farbe entsteht in ihnen die Atmosphäre ferner, exotischer Länder. Die Bond-Filme handeln in besonderer Weise von der Verfügbarkeit der Welt: Ihr Kamerablick besiegelt den Gestus der Bemächtigung, der dem Globetrotter im Dienst seiner Majestät zueigen ist. In wenigen Totalen etabliert er mondäne Schauplätze. Nur flüchtig streift der Blick diese Orte, um sich dann in die prunkenden Interieurs zu versenken.

Vor 70 Jahren wurde das Studio um den viktorianischen Landsitz „Heatherden Hall“ herum gebaut. 1935 erwarb der Bauunternehmer Charles Boot das Anwesen nebst 100 Morgen Landbesitz. In nur neun Monaten entstand ein Studiokomplex nach Vorbild Hollywoods. Wegen des prächtigen Baumbestands nannte Boot es Pinewood und forderte mit der zweiten Silbe kühn die Konkurrenz in der kalifornischen Filmmetropole heraus. „Die Pinie ist ein majestätischer Baum“, verkündete er bei der Einweihung am 30. September 1936, „während die Stechpalme (holly) nichts weiter als ein Busch ist.“

Mit Filmen wie David Leans Oliver Twist und The Red Shoes von Powell/Pressburger verschaffte sich Pinewood nach dem Krieg international Prestige. Stanley Donen, Alfred Hitchcock, Ken Russell und François Truffaut haben hier gedreht. Dank der großzügigen Dimensionen der Hallen wurde Pinewood in den 60er Jahren vor allem zur Heimstatt von Genrefilmen mit aufwändiger Logistik.

Die Szenenbilder, die Ken Adam für die frühen Bond-Filme entwarf, haben Maßstäbe gesetzt. Er hat Räume geschaffen, in denen sich der globale Machtanspruch von Bonds Gegenspielern in ironisch bedrohlicher Monumentalität manifestiert. Der Vulkankrater, unter dem sich in You Only Live Twice eine Raketenabschussrampe verbirgt, stellte 1966 die bis dahin größte Herausforderung an seine Phantasie dar. Mit einem Durchmesser von 130 Metern und einer Höhe von 40 Metern war es der gewaltigste Set, der je in Europa gebaut wurde. Die Kosten von 1 Million Dollar waren so hoch wie das gesamte Budget von Dr. No.

Gleich neben dem Freigelände, wo es stand, errichtete Adam zehn Jahr später die „007 Stage“, die einen weiteren Rekord in der Geschichte des Production Design aufstellte. Für The Spy Who Loved Me musste er das Innere eines Supertankers bauen, das als Dock drei entführte Atom-U-Boote aufnehmen konnte. Produzent Albert R. Broccoli gab dafür ein neues Atelier in Auftrag, das über einer Quelle liegt, an dem das Studio die Erschließungsrechte besitzt. Mit 114 x 45 x 15 Metern war es damals die größte Filmhalle der Welt, ihr Umfang beträgt das Anderthalbfache vergleichbarer Ateliers in Shepperton oder Cinecittà. „With a stage this size, no idea is too big!“ lautet der Slogan, mit dem es heutzutage beworben wird.

Ein weiteres Pfund, mit dem das Studio wuchern kann, ist der paddock tank, der 1959 für die Seeschlacht in Sink the Bismarck! vor einer gigantischen Mauer installiert worden war, auf der die jeweils benötigte Szenerie als Rückprojektion läuft. Bis heute ist es der größte Tank in Europa; es braucht zwei Wochen, ihn zu füllen. Zuletzt wurden hier Außenaufnahmen für die Venedig-Sequenz in Casino Royale mit einem Modell des untergehenden Palazzo gedreht.

Die Liste der Produktionsfirmen und Regisseure, die dem Studio über Jahre hinweg die Treue gehalten haben, ist staunenswert lang. Stanley Kubrick und Blake Edwards haben in Pinewood ihre letzten Filme gedreht, Tim Burton arbeitet seit Batman regelmäßig hier. Diese Treue hat natürlich keine sentimentalen Gründe: Sie verdankt sich neben dem Wunsch nach der Kontinuität eines verlässlichen Mitarbeiterstabes vor allem der erprobten Infrastruktur. Die Konkurrenz, die Pinewood in den letzten Jahren durch die preiswerteren Studios in Osteuropa zugewachsen ist, fürchtet man nicht: „Pinewood ist für Produzenten aus zwei Gründen attraktiv“, erläutert Julia Kenny: „Wir können eine einzigartige Bandbreite von Studios in unterschiedlicher Größe anbieten. Überdies bieten die 200 Firmen, die auf unserem Gelände Büros und Werkstätten angemietet haben, praktisch jede erforderlich Dienstleistung an.“ Bei der Londoner Premiere von Casino Royale erklärte der Produzent Michael G. Wilson jedoch, Dreharbeiten in Großbritannien seien trotz der Steuergeschenke selbst für seine Firma zu teuer geworden. Einige Szenen des neuen Films wurden bereits in den Barrandov-Studios in Prag gedreht. Sollte die Neubelebung der Bond-Figur zugleich ein Abschied sein?