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Mika Taanila – Die Zukunft ist nicht mehr, was sie war

Die Zukunft ist nicht mehr, was sie war

| Heinrich Deisl |

Das utopische Kino des finnischen Avantgarde und Dokumentarfilmregisseurs Mika Taanila ist um eine neue DVD mit Kurzfilmen reicher.

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Die Filme des Mika Taanila handeln von künstlichen urbanen Welten und futuristischen Utopien der modernen Wissenschaft, ohne dabei auf einen gehörigen Unterhaltungswert zu verzichten. Auf seiner unlängst erschienen Compilation-DVD Aika & Aine (Time & Matter), die einige seiner wichtigsten Kurzfilme zwischen 1998 und 2005 umfasst, legt der finnische Avantgarde- und Dokumentarfilmregisseur den Blick frei zurück in eine technologische Zukunft, die so nie stattgefunden hat.

Mika Taanila wurde 1965 in Helsinki geboren, wo er auch lebt und arbeitet. Nach dem Studium am TV- und Filmdepartment des Polytechnischen Instituts in Lahti begann er 1993 mit Film-Lectures und gründete 1994 die „Helsinki Film Coop“. Seit 1997 laufen seine Kurzfilme auf Film- und New Media-Festivals weltweit, dazu kommen an die 50 Gruppen- und Solo-ausstellungen. Er war Kurator u.a. für die Kurzfilmfestivals in Uppsala und Tampere, seit 2000 ist er Programmdirektor für das Avanto Helsinki Media Art Festival. Er ist Mitglied des Filmerkollektivs Kinotar und gilt als einer der prononciertesten Vertreter aktueller finnischer Medien- und Filmkunst.

Taanila ist ein veritabler Musikfan, und in praktisch jedem seiner Filme spielt Musik eine prominente Rolle. Nach diversen filmischen Vorstudien begann er 1991 für eine Reihe finnischer Bands, wie etwa die rabiaten Surf-Rocker 22-Pistepirkko, Musikvideos zu drehen. In seinem ersten 35mm-Film elokuva muzakista (Thank You for the Music) setzte er sich 1997 mit der Musikgattung „Muzak“ auseinander, die gerne als verkaufsfördernde Hintergrundbeschallung in Kaufhäusern verwendet wird. Optinen Ääni (Optical Sound) schließlich wurde 2005 auf dem Stuttgarter Festival für Expanded Cinema ausgezeichnet. In dieser wie bei einer Rayografie direkt auf Film kopierten abstrakten Arbeit stammen sämtliche Bilder und Töne von veralterten Computern und Druckern. Dazwischen liegt eine lange Entwicklung unterschiedlichster Herangehensweisen an die Schaffung eines technologisch induzierten Blicks auf gesellschaftliche Phänomene: Taanilas Filmsprache lässt an retrofuturistische Implikationen denken, bei denen die Zusammenführung von Mensch und Maschine eine gewichtige Rolle spielt. Nicht umsonst gilt seine Dokumentation Tulevaisuus ei ole Entisenä (The Future Is Not What It Used to Be) von 2002 über den finnischen Mathematiker, Filmemacher und Live-Media-Pionier Erkki Kurenniemi als Schnittstelle zwischen Kurenniemis audiovisuellen Visionen in den mittleren 60er Jahren und aktueller finnischer Elektronikmusik, exemplifiziert an der Band PanSonic und dem Label Säkhö, welche Mitte der 90er Jahre zur Blaupause für zeitgenössische elektronische Experimental- und Technomusik werden sollten.

Dabei ist Taanilas Ansatz keineswegs in eine mythologisierte Vergangenheit gerichtet. Denn bei aller Ernsthaftigkeit der verhandelten gesellschaftspolitischen Themen blitzen immer wieder informative, kuriose und teils skurrile Momente durch, wie etwa in der Doku RoboCup’99 von der ersten Roboter-Fußballweltmeisterschaft, zwei Jahre nachdem der damalige Schachgroßmeister Garri Kasparow zum ersten Mal von „Deep Blue“ geschlagen worden war. Die mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Mini-Spieler sorgen bei Programmierer- und Filmpublikum für ein ähnliches emotionales Wechselbad wie bei einem „echten“ Spiel. Dabei geht es nicht nur um die Leidenschaft Fußball, sondern auch darum, Entwürfe für Kybernetik und Raumfahrt bereit zu stellen.

Taanilas Codes speisen sich aus anthropologischen Grundlagen, Found-Footage und aus Newsreels, die zu Cut-Ups aus Historie, (Film-)Material und Wissenschaft montiert werden. So könnten seine Filme als künstlerisch wertvolles Anschauungsmaterial für den Schulunterricht durchgehen, bei denen nicht mehr auszumachen ist, ob sie aus den späten 60er Jahren, von jetzt oder gar aus den 20er Jahren stammen. Weshalb es beinahe logisch erscheint, dass die sehr schön produzierte DVD Aika & Aine vom Amsterdamer Label Reel23 veröffentlicht wurde, dessen Name und Programm auf William S. Burroughs rekurriert.

Wie kamen Sie dazu, Dokumentarfilme zu machen?
Als ich 14 Jahre alt war, habe ich einige experimentelle Filme des finnischen Regisseurs Eino Ruutsalo (1921–2001) gesehen. Es war ein positiver Schock, festzustellen, dass es Filme ohne Geschichte, Handlung und sogar Menschen gab. Nach ein paar Super-8-Filmen für meine Punkband Swissair wollte ich Film studieren, wurde aber nicht genommen. So schrieb ich mich am Anthropologie-Institut in Helsinki ein, wo es Kurse über anthropologisches Filmemachen gab. Daraus ergaben sich meine „Traditionen“, der Avantgarde- und der ethnografische Film. Darüber hinaus haben mich die Arbeiten von Man Ray, Duchamp, Jean Painléve oder Emile de Antonio sehr geprägt.

Haben Sie neben Ihren Dokumentarfilmen und Installationen auch „reguläre“ Filme gedreht?
Ich könnte nie fiktionale Filme machen. Während meines Filmstudiums habe ich mich an einigen versucht, das endete aber im Desaster. Jemandem zu sagen, wie er zu spielen hat, oder narrative Handlungen zu entwerfen, liegt mir einfach nicht.

Was gibt es beim Avanto-Festival zu sehen?
Das Avanto stellt immer wieder eine gute Möglichkeit dar, Avantgarde auf die große Leinwand zu bringen. Es gibt keine regulären, diesbezüglichen Veranstaltungen und keine Experimentalfilmserien in Helsinki, weswegen das Avanto von Leuten, die sich für neues Kino interessieren, recht genau verfolgt wird.

Wie ist Ihr Zugang zur Filmproduktion?
Meine Arbeitsweise ist sehr langsam, weil ich für jeden Film eine neue Methode ausprobiere. Ich liebe Montage – wenn erst mal das Shooting vorbei ist, könnte die Post-Production ewig dauern. Glücklicherweise arbeite ich mit einem Produzenten zusammen, der mir sagt, wann Schluss ist.

Der Dokumentarfilm The Future Is Not What It Used to Be ist dem finnischen Mathematiker und Erfinder Erki Kurenniemi gewidmet, der hierzulande praktisch komplett unbekannt ist.
Kurenniemi war ein echter Visionär. Seit den frühen 60er Jahren hat er Unglaubliches geleistet, um neue Interfaces zu entwickeln, er war immer auf der Suche nach einer Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Zwischen 1968 und 1973 konstruierte er eine Reihe musikalischer und optischer Instrumente namens DIMI (Digital Musical Instruments), die ihrer Zeit weit voraus waren. Er war wirklich ein Pionier der interaktiven elektronischen Kunst. Sein Einfluss auf die finnische Elektronikszene kann nicht überbewertet werden.