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„Das ist schon wie eine Krankheit“ – Jo Molitoris im Gespräch

| Juna Moneta |

Jo Molitoris arbeitet seit 13 Jahren als Kameramann in Wien und Los Angeles. Ein Gespräch über die Sucht nach schönen Bildern.

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Wann hast du deinen ersten Film gedreht?
Mit zwölf. Mein Vater hat mir damals eine Super-8-Kamera geschenkt. Wenn es ein „Foto-Gen“ gibt, das Bildersucht auslöst, dann habe ich es von ihm. Er selbst war Journalist, Grafiker und Fotograf. Er dokumentierte alles. Ich habe diese Bilder alle noch. Phantastisch, wenn ich mir jetzt, mit 40, in dickes Glas gefasste Dias von meiner Mutter anschaue. Sie war frisch verliebt, mit einem jungen Fuchs am Arm, am Fenster einer Blockhütte. Das muss in den 60ern gewesen sein, in der Nähe von Klausenburg.

… wo du aufgewachsen bist?
Nein, aufgewachsen bin ich am Stadtrand von Wien.

Und wie bist du zum Filmen gekommen?
Das war totaler Zufall. Ich habe mich lange Zeit mit Musik beschäftigt. Ich bin aufs Musikgymnasium gegangen und wollte eigentlich lernen, Instrumente aufzunehmen. Ich hatte einen Job angenommen, in einem Tonstudio, das mit Filmsound zu tun hatte, und da habe ich als Boom-Operator angefangen.

Das ist der, der sich ganz dünn macht und irgendwo in einem Eck steht, mit einer langen Angel, wo am Ende das Mikrofon hängt …
… und versucht, den Leuten zu folgen, um den Ton aufzunehmen. In der ersten Woche hat mich der Tonmeister gleich mit auf den Set genommen. Und da habe ich gesehen, was sich dort abspielt. Als ich zum ersten Mal einen Kameramann gesehen habe, wie er da herum geschoben wurde, wie er da so hockt, zeigt, brüllt … das hat mich beeindruckt. Ich habe dann als Videoassistent angefangen für Sat.1 und habe über diesen Job Susanne Stöger und ihren Freund und jetzigen Mann kennen gelernt. Er ist sicher der beste Focus-Puller (Erster Kameraassistent, Anm.) in Österreich.

Wann wusstest du genau, dass du in dieser Branche arbeiten willst?
Wir hatten an einem Anti-Gewalt-Spot in der Gerichtsmedizin gedreht, und während die Leute speibend raus gerannt sind, habe ich einen Tag lang mein Auge nicht vom Okular genommen. Ich war sozusagen immer im Film und eigentlich nicht körperlich vorhanden. Nicht einmal den ekelhaften Geruch habe ich bemerkt, der ist mir erst am Abend so richtig ins Gesicht gestiegen. Ich habe mich drei Tage lang nur gewaschen und geschrubbt. Das war extrem. Aber wenn die Kamera an meinem Auge ist, vergesse ich einfach alles. Das war für mich der Moment, wo sich der Traum, Kameramann zu werden, realisiert hat.

Gab es jemanden, der dich beim Arbeiten besonders beeindruckt hat?
Cool waren U2 und Bono, weil sie so easy mit uns umgingen. Bei Bono hast du erstmal selbst viel Respekt, weil er eine solche Persönlichkeit ist. Nur die Kamera dazwischen macht diese Situation möglich, dass ich mit ihm über ein Bild reden kann.Und wie entspannt er damit umgegangen ist, das war extrem angenehm. So ein Umgang macht meinen Job leichter und lässt alles besser aussehen.

Ist das nicht auch das Versprechen eines manisch gutgelaunten Lebens, das einen in diesen Beruf treibt? Dauernd neue Leute, immer euphorisch, zehn Stunden durcharbeiten und nach einem Tag Geld, das für einen Monat reicht?
Da sind zehn Stunden oft schon zu wenig, noch dazu im Sommer, wenn du außen drehst. Da muss schon um vier Uhr morgens aufgebaut sein, weil eine halbe Stunde später die Sonne aufgeht und du bereit sein willst, das Licht in einem niedrigen Winkel zu erwischen. Das heißt, du gehst meistens auf zwölf Stunden, relativ oft auf 14 Stunden, und hast am Abend noch die Vorbereitungen für den nächsten Tag. Aber gut, dafür bekommst du auch genug Geld. Für jede weitere Minute, die in die Mittagspause hineingearbeitet wird, wird der Produktion ein Meal Penalty (Geldstrafe, Anm.) verrechnet. Ab der zehnten Stunde geht es dann in die Überstunden. In den Staaten gibt es eine Regel, die nennt sich „portal to portal“, von der Haustür weg läuft die Arbeitszeit.

Es passieren immer wieder schreckliche Unfälle, weil Kameramänner übermüdet sind. John Lindley hat nach dem tödlichen Unfall seines Kamerassistenten eine Petition initiiert, nach der die Arbeitszeit von Kameraleuten auf maximal 14 Stunden reduziert wird …
… aber winkt einer mit den Dollars, ist alles egal. Ich habe in L. A. 21-Stunden-Drehs gemacht. Tatsache ist, dass du nach der vierzehnten Stunde beginnst, doppelt so lang zu brauchen, um ein Setup aufzubauen, um einen Frame zu finden. Deine Darsteller sind schon extrem müde, schauen schon schlecht aus. Eigentlich hat es nach 14 Stunden überhaupt keinen Sinn weiter zu drehen.

Bist du nicht mit 1,92 zu groß für die Geräte, die du benutzt?
Deshalb muss ich mich sehr oft klein machen, gerade mit einer Handkamera. Es gibt oft Drehs mit Menschen, die um einiges kleiner sind als ich. Ich würde auf alle runter sehen, was natürlich ein extremes Statement von der Kamera her wäre. Ich merk auch, dass mein Körper Schäden davon trägt. Er ist mittlerweile komplett asymmetrisch. Zum Beispiel sind meine Brustmuskeln nur auf der rechten Seite ausgebildet, und auf der linken Seite überhaupt nicht, da die Kamera auf der rechten Schulter liegt.

Denkst du daran, auch mal selbst Regie zu führen?
Das mache ich bereits in der Werbung. Aber wenn ich mit Regisseuren zusammen arbeite, die mir voll vertrauen, dann kann ich mich auf die Bilder konzentrieren. Ich kann meine Vision verwirklichen, aber in Absprache. Ich weiß, dass ich früher oder später nicht mehr nur als Kameramann involviert sein werde.

Du sprichst von Visionen. Ist das, was du mit deiner Arbeit unterstützt, nicht oft das Gegenteil einer Vision, nämlich ein ziemlich zynisches Geschäft?
Ja, leider. In Johannesburg sind wir in einem weißen Mercedes durch die Stadt gefahren, um Locations zu besichtigen. Johannesburg ist eine Geisterstadt, in denen sich afrikanische Stämme in Wolkenkratzern angesiedelt haben, die in der Apartheid gebaut wurden. Nichts funktioniert dort. Die jungen Leute haben keine Zukunft. Für unseren Dreh wurde ein ganzer Straßenzug abgesperrt, in dem wir mit 700 Darstellern und einer Crew von 120 Leuten einen Spot für eine englische Bank gedreht haben. Das Ganze war als Musical aufgebaut.

Wie gehst du damit um?
Ich sage mir, ich habe mit dieser ganzen Dekadenz und mit diesem ganzen Wahnsinn nicht wirklich viel zu tun. Für mich ist es das Wichtigste, ein schönes Bild zu kreieren. Natürlich könnte ich mich fragen: Ist das wirklich ausreichend? Wenn du ein schönes Bild für British Petrol oder für Esso, Philip Morris oder Nestlé machst, wenn du versuchst, den Leuten Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen, dann unterstützt du eigentlich etwas, das du nicht unterstützen willst. Es ist alles Lüge. Jede dieser Emotionen ist Lüge, es ist alles für den Konsumenten gespielt oder aufbereitet. Aber ich nehme das in Kauf für die Möglichkeit, die Bilder, die ich im Kopf habe, zu verwirklichen. Mit Spielfilmen und Dokumentationen, wie etwa mit dem Film von Anja Salomonowitz (Kurz davor ist es passiert, Anm.), versuche ich mich sozusagen zu rehabilitieren.

Du sprichst von deiner Arbeit wie ein Süchtiger – wann warst du das letzte Mal richtig auf Urlaub?
Meinen letzten ausgedehnten Urlaub hab ich mit 27 verbracht, auf einer kleinen Insel, allein. Ein Riff umschloss die Insel und nahm allen Wellen die Kraft. Das Meer war fast spiegelglatt.

Ganz ohne Kamera?
Ich hatte eine Kleinbild-35mm-Spiegelreflex-Minolta dabei, mit 50mm-Optik, wasserdicht. Zum Lesen bin ich nicht viel gekommen, das „Foto-Gen“ hat sofort übernommen. Am dritten Tag musste ich die Unterwasserfotos rationieren. Mit dem Schnorchel, beschwert von einem Stein mit Halteseil, war es besonders angenehm, im Wasser zu liegen: Fische, wie Zebras gezeichnet, die in die Wasseroberfläche reflektieren, die Wasserpflanzen, wie alte Buchen in Reflexionen. Fast immer und überall einen „richtigen“ Ausschnitt zu suchen, Licht zu analysieren, das ist schon ein bisschen wie eine Krankheit.