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Schräger als Fiktion

Schräger als Fiktion

| Alexandra Seitz |

In Stranger Than Fiction unterzieht Marc Forster den Realitätsbegriff einer eingehenden Untersuchung – erneut mit beunruhigendem Ergebnis.

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Eines Tages muss Steuerprüfer Harold Crick feststellen, dass er nicht länger der Herr seines eigenen Lebens ist. Er vernimmt eine Stimme, die sein Handeln, seine Gedanken, seine Gefühle beschreibt. Nüchtern und neutral gibt sie wieder, was passiert und zu sehen ist. Bei diesem irritierenden Phänomen handelt es sich, wie der beigezogene Fachmann, Literaturprofessor Jules Hilbert, rasch feststellt, um die Stimme eines auktorialen Erzählers, eines gottgleich mit seiner Schöpfung verfahrenden Schriftstellers. Im vorliegenden Fall gehört die Stimme Karen „Kay“ Eiffel, einer großen Autorin der Gegenwart, deren Romane allesamt – und diese Nachricht gibt Harold Crick zu denken – mit dem Tod der jeweiligen Hauptfigur enden. Eiffel lässt ihre Helden in Schönheit sterben und verleiht ihren durchschnittlichen Existenzen auf diese Weise poetischen Sinn und tiefere Bedeutung – Harold Crick aber würde lieber weiter Schritte, Minuten und Steuersünden zählen und auf literarischen Nachruhm verzichten. Doch wie die Dinge liegen, kann er nur noch möglichst viel Spannung und Abenteuer auf die verbleibenden Seiten seines Lebensromans packen, bevor das Buch zuschlägt.

Stranger Than Fiction, Marc Forsters charmante Fabel über einen gewöhnlichen Mann in ungewöhnlichen Umständen – mit steinerweichender Arglosigkeit gespielt vom ideal besetzten Will Ferrell – bietet reichlich komplexen, erzähltheoretischen Stoff, dessen philosophische Implikationen schwer zu denken geben können. Denn was sich als scherzhaftes Sinnieren über das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf, Interpret und Rezipient tarnt, ist ein ganzes Spiegelkabinett von tückischen, selbstbezüglichen Reflexionen, in dem unter anderem auch wir, die Zuschauer, auf überraschende Weise mit den Konsequenzen unserer Erwartungen konfrontiert werden. Zach Helms großartigem Drehbuch gelingt eine Verführung bei vollem Bewusstsein: Die Distanz, die mit Hilfe der Stellvertreter-Figur der Schriftstellerin zwischen Publikum und Figuren geschaffen wird, ist gleichzeitig das Mittel, es auf die Seite des Helden zu ziehen. Und während wir noch fasziniert in die Mechanik der Erzählung blicken, sind wir ihr bereits emotional verfallen.

Zwar mag in der Tragödie heroische Größe liegen und ein Steuerprüfer kein Sympathieträger sein, aber wäre nicht auch ein hingepfuschtes Happy End für einen uncoolen Typen mit lindgrüner E-Gitarre eine feine Sache? Zur Abwechslung.