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Alain Resnais – Im Gespräch

| Thomas Abeltshauser |

Alain Resnais über Bühnen- und Schauspielkunst, die Faszination von Groschenromanen und die Liebe zum amerikanischen Fernsehen.

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Ihr neuer Film  basiert auf dem Theaterstück Private Fears in Public Places des britischen Autors Alan Ayckbourn. Warum betonen Sie die Herkunft noch durch eine sehr theatralische Inszenierung?
Wenn man ins Theater geht, weiß man doch auch, dass man Schauspieler auf einer Bühne sieht. Man ist sich der Künstlichkeit völlig bewusst und hält das Gezeigte in keiner Sekunde für die Wirklichkeit. Wenn man ins Kino geht, lässt man sich ebenso auf bestimmte Konventionen ein, die der Filmkunst. Und das ist eben etwas anderes als die Realität. Ich habe auch kein Interesse daran, so zu tun als ob. Und selbst wenn ich einen realistischen Film machen wollen würde, könnte ich es wahrscheinlich gar nicht. Für mich ist es völlig normal, diese Konventionen auf allen Ebenen zu benutzen. Selbst wenn ich das Drehbuch schreibe, achte ich darauf, dass der Dialog möglichst theatralisch klingt.

Welche Konventionen interessierten Sie bei Cœurs besonders? Ging es Ihnen zum Beispiel darum, mit den Regeln der Seifenoper zu spielen?
Ich arbeite sehr instinktiv und reflektiere nicht besonders viel über diese Dinge. Das Stück von Ayckbourn hatte für mich einen gewissen Charme, Sie erinnert es wohl an Seifenopern. Den Gedanken finde ich interessant, denn die Charaktere in dem Stück erinnern buchstäblich an nasse Seifenstücke, die einem immer wieder entgleiten. So geht es uns doch im wahren Leben auch. Wir fragen uns: Wer ist das wirklich, mit dem ich da zusammenlebe? Ohne es bewusst zu wollen, habe ich das vielleicht im Film reflektiert. Das berührt aber eine viel grundsätzlichere Frage: Was ist die Definition von Regieführen? Wie inszeniert man Dialoge, wie nutzt man Räume? Ich halte es für nahezu unmöglich, darauf eine präzise Antwort zu geben. Zumindest kenne ich niemanden, dem das gelungen ist. Aber, um Ihnen eine einfachere Antwort zu geben: Vielleicht interessiert mich das deshalb so, weil ich als Kind und Jugendlicher immer sehr schüchtern war. Selbst als Erwachsener fühlte ich mich in Gesellschaft anderer Menschen selten wirklich wohl.

Trifft das auch auf Ihre Arbeit mit Schauspielern zu?
Dazu fällt mir ein Zitat von Antonioni ein, der einmal sagte, dass er in seinen Filmen die Unfähigkeit der Menschen zu kommunizieren zeigen wolle. Aber ich stimme dem nicht ganz zu. Ich glaube schon, dass wir in der Lage sind zu kommunizieren. Und meine Schüchternheit und Scheu sind nicht so ausgeprägt. Aber es gibt Momente, in denen wir nicht miteinander reden können und diese Momente bringen oft Leid und Schmerz mit sich. Aber bezogen auf meine Schauspieler und die gesamte Filmcrew bin ich alles andere als verschlossen und sehr froh mit ihnen zu arbeiten.

Halten Sie den modernen Menschen für kommunikationsgestört?
Anders als Tiere verändern wir unser ganzes Leben lang unser Wesen, wir haben ein Bewusstsein und wir wissen um unsere Sterblichkeit. Das kann sowohl Schmerz als auch absolutes Glück verursachen. Es ist das, was ich als das Verhängnis des Menschen bezeichnen würde. Aber das ist natürlich eine furchtbar pathetische Antwort. Mein Intellekt erlaubt leider nichts anderes. Ich bin schließlich kein Philosoph oder Soziologe.

Dann machen wir es mal einfacher. Sie haben eine genaue Vorstellung davon, wie die Dialoge in Ihren Filmen klingen sollen. Ist da Platz für Improvisation?
Bei den Proben herrscht eine große Freiheit und es wird wild improvisiert. Sie finden mindestens einen Monat vor dem Beginn der Dreharbeiten statt. Wenn die Schauspieler Änderungswünsche haben und ich diese für richtig halte, bitte ich den Drehbuchschreiber, sie zu berücksichtigen. Ich finde es wichtig, auf die Schauspieler zu hören. Aber sobald wir drehen, ist Schluss damit: Keine Improvisation, keine Änderungen mehr. Ab dem Moment bin ich sehr strikt, fast ein Wahnsinniger, weil ich der Meinung bin, dass vorher genug Zeit dafür war.

In Ihrem Film sind die Figuren oft durch irgendetwas getrennt: Wände, Vorhänge, Schneefall.
Als ich das Stück las, ist mir aufgefallen, dass die Figuren dauernd versuchen, sich zu verstecken oder andere zu belügen. Und das isoliert sie von den anderen. Aber wichtiger war die dramatische Komponente: das Verschwinden und plötzliche Wiederauftauchen von Figuren bringt unglaublich viel Schwung und Spannung rein. Mir gefiel immer sehr, wenn etwas außerhalb des Blickfelds der Kamera passierte. Ein Teil der Handlung sollte immer außerhalb der Leinwand stattfinden. Oder nehmen Sie TV-Serien: Es bereitet doch immenses Vergnügen, wenn eine Figur für fünf, sechs Folgen verschwindet und dann, wenn man es am wenigsten erwartet, plötzlich wieder auftaucht. Nina Myers in 24 zum Beispiel.

Sie sehen sich tatsächlich amerikanische Fernsehserien an?
Natürlich. Ich war immer ein großer Fan von Harry Dickson, einer Groschenroman-Reihe, die ursprünglich aus Deutschland stammte. Damals erschienen knapp 200 Folgen dieser Serie und man konnte die Heftchen alle zwei Wochen am Kiosk kaufen. Heutzutage haben TV-Serien dieses literarische Genre ersetzt. Eine Serie wie Akte X ist dem mit neun Staffeln und jeweils etwa 22 Episoden durchaus vergleichbar.

Sie hatten auch immer ein Faible für Comics. Was halten Sie von den Comics-Verfilmungen der letzten Jahre?
Mich interessieren bei weitem nicht alle Comics, höchstens zwei bis fünf Prozent. Aber ich halte sie als Genre für überaus respektabel. Ich habe Literatur nie für etwas Besseres gehalten als Film oder Comic. Für mich sind das nur verschiedene Genres, die nach bestimmten Regeln funktionieren. Mir bereitet es große Freude, gezeichnete Literatur zu lesen. Heutzutage nennt man das ja etwas prätentiös Graphic Novel. Besonders die Dialoge in Stan Lees Comics für Marvel haben mir immer sehr gefallen. Vor ein paar Jahren hatte ich das Vergnügen, ihn zu treffen und ich konnte ihn überreden, etwas für mich für ein Filmprojekt zu schreiben. Einzige Auflage: keine Superhelden wie in den Marvel-Comics. Aber leider bekamen wir die notwendige Finanzierung nicht zusammen und das Projekt wurde nie realisiert. Aber ich hatte das Glück, ein paar Monate lang Stan Lee mehrmals in der Woche zu treffen. Allein das war den Aufwand wert. Aber zu den Verfilmungen: Ich bin kein Freund davon. Es sei denn, der Regisseur ist so talentiert wie Tim Burton. Dann wird aus dem Batman-Comic ein guter Film. Er hat wirklich etwas Besonderes daraus gemacht. Dasselbe würde ich von Frank Millers Comics sagen.