Almfilm

| Karin Rick |

Gundula Daxecker erzählt vom Meistern des Alltags in einem landwirtschaftlichen Arbeitsprojekt.

Werbung

„Ich lebe schon gerne! Aber wenn was falsch bei mir ist, will ich lieber sterben“, sagt Murat Börekci, ein Bewohner von Alm, einem Projekt für das Zusammenleben von Menschen mit Behinderung. Aus seinem Mund klingt dieser Satz, als wäre er das letzte Ultimatum, das er dem Leben noch stellt. Aufgrund des Schweigens über seine Eltern und über die Gewalt, die er in der Vergangenheit erfahren hat, erahnen wir, wie schwierig es ist, als Mensch mit spezifischen Bedürfnissen in der uns bekannten Welt zu leben –  außerhalb von Alm, dem Weingut am Südhang des Wiener Leopoldsberges.

Gundula Daxecker konfrontiert die Zuschauer ab der ersten Sekunde frontal mit den Arbeits- und Lebensbedingungen von Alm, ohne beschönigende Kameraschwenks, ohne ablenkende musikalische Untermalung. Weder beschwichtigende Off-Kommentare noch professionelle Erklärungen der Betreuer bieten uns eine bequeme, da verstandesmäßig erfassbare Zuflucht. Wir sehen, wie Manuela, Julia, Hans, Murat und Wolfgang als Winzer arbeiten, um den großen Holztisch sitzen und essen, wie sie miteinander umgehen. Interviews unterbrechen diese filmische Reise durch den Arbeitsalltag. Vor einer statisch montierten Kamera erhält jeder der fünf Protagonisten die Zeit, die er oder sie braucht, um Gedanken zu entwickeln, Gefühle zu äußern, eine komplexe Persönlichkeit zu offenbaren – all das, was ihnen wegen der Flüchtigkeit, mit der das Thema Behinderung normalerweise an uns vorbeizieht, sonst nicht zugesprochen wird. Einer der vielen Meriten dieses Filmes ist die Dimension der Zeit, das Festhalten des Moments als Ewigkeit. Diese offenbart sich in einer durch das Zoom verschwommen wahrnehmbaren, idyllischen Natur.

Die Regisseurin hat manch lange Sprechpause während der Interviews in der Endversion beibehalten, „damit man sieht, dass diese Menschen, denen man Reflektion abspricht, denken.“ Der Film stellt damit die Frage nach der wertenden Instanz neu. Wer entscheidet zwischen „behindert“ und „nicht behindert“? Sowohl die Kamera als auch die Zuschauer befinden sich immer und unentrinnbar auf der Seite der normativen Setzung, schon deshalb, weil unsere Gesellschaft zwischen Randgruppe und integrierter Mehrheit unterscheidet, und wir konditioniert sind, nur durch diesen Filter wahrzunehmen. Oder sollte man es doch mit den Worten von Alm-Bewohner Hans halten, der sagt: „Ohne mich wären die hier alle aufgeschmissen.“