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Irina Palm

| Roman Scheiber |

Londoner Mittelschicht-Witwe wird zur Sexarbeiterin, um Behandlungsgeld für ihren sterbenskranken Enkel heranzuschaffen. Konstruiert, dennoch sehenswert.

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Es ist ein Leichtes, Irina Palm als typisch britische Sozialdramödie abzutun. Das Drama bedingt die Komödie, die Komödie dominiert in der Folge das Drama, und ein märchenhaftes Ende verfestigt den Eindruck eines in der Erinnerung flüchtigen Stücks sozialpolitischer Unkorrektheit.

Es gibt zwei Gründe, Irina Palm dennoch anzusehen, beziehungsweise, und das ist schon der erste Grund, anzuhören: Der zerdehnte, larmoyante elektronische Score von Ghinzu rhythmisiert das irgendwie immer noch unerhörte Rotlicht-Geschehen auf der Leinwand und kontrastiert es gleichzeitig. Der zweite Grund ist die 59-jährige Marianne Faithfull in der Titelrolle. Wie die frühere Rocksängerin ohne klassische Schauspielausbildung als leidgeprüfte Witwe Maggie durch London und Umgebung trippelt, naiv, doch würdevoll, dicht von der Kamera verfolgt; wie sie zögerlich das unmoralische Angebot des lakonischen, Nintendo spielenden Clubbesitzers Miki annimmt, in dessen „Sexy World“ in Soho sie in der Hoffnung auf einen „Hostessen“-Job gestolpert ist; wie sie das harte Handwerk erlernt, das ihr, der schüchternen dicklichen Witwe im Hausfrauenkittel, rasch den Starnamen Irina Palm und den erhofften Geldregen für ihren kranken Enkel einbringt: Man sieht dieser Frau, ihrer holprigen Mimik, ihrem körperarmen Spiel, einfach gern zu.

Ambivalent ist die zwanglos konstruierte Weise, in der hier Sexgeschäft, moralische Fragen und Privates zueinander im Verhältnis stehen. Maggie erfährt immerhin, dass die Gesetze des Marktes jene des männlichen Hormonhaushalts an Unappetitlichkeit bei weitem übersteigen. Fragwürdig dabei ist allerdings, wie die tatsächlichen Verhältnisse umgekehrt werden: Ist bei der (legalen) Sexarbeit, ähnlich wie im Profisport, für gewöhnlich der junge Körper im Marktvorteil, verdrängt hier eine ältere Frau ihre junge „Ausbildnerin“ vom Arbeitsplatz. Das ermöglicht der Inszenierung zwar kalkulierte Lacher wie jene, wenn Maggie ihre kahle Servicekoje im Sexclub mit persönlichen Gegenständen dekoriert, oder wenn sie dem Bridge-Damenkränzchen im konservativen Vorort die Ursachen ihres „Penis-Arms“ schildert. Der Relevanz des Films ist es jedoch abträglich, und der erwünschten Tragikomik verleiht es die erwartbare komische Schlagseite. Dass sich am Ende noch eine Romanze zwischen Miki und Maggie abzeichnet, ist schließlich entschieden zu viel des Guten.