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Paul Verhoeven – Film "Black Book"

Interview

Black Book – Paul Verhoeven im Gespräch

| Robert Koehler |

 

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Es ist oft davon die Rede, dass Black Book nach Soldier of Orange Ihr zweiter Film über die Nazis und den niederländischen Widerstand sei. In Wirklichkeit ist es aber bereits der vierte, wenn man Ihren frühen Dokumentarfilm Portrait of Anton Adriaan Mussert und Ihren Kurzfilm Gone, Gone (1979) mit einbezieht. Was veranlasste Sie zu dieser zweifachen Rückkehr – nach Europa und zum Zweiten Weltkrieg?
Paul Verhoeven: Black Book ist ein sehr altes Projekt, an dem Gerard Soeteman, der die Drehbücher für alle meine niederländischen Filme geschrieben hat, und ich seit den 70ern festhielten. Während unserer Recherchen für Soldier of Orange und Gone, Gone sammelten wir jede Menge an düsterem Material über den niederländischen Widerstand, das wir damals nicht verwenden konnten. Wir versuchten, ein neues Szenario zu gestalten, doch es gelang uns nie, die Problemstellung der Geschichte zu lösen und so legten wir das Ganze beiseite. All das fiel außerdem mit meinem allmählichen Abschied von Holland und Umzug in die Vereinigten Staaten zusammen. Doch dann, vor fünf Jahren oder so, beschloss ich, Soeteman daran zu erinnern, damit wir einen erneuten Versuch starten könnten. Was mich nach Europa zurückbrachte war die Tatsache, dass ich nach Hollow Man in den USA kein Filmprojekt finden konnte, das mich interessierte. Und nachdem ich so viel Sciencefiction gedreht hatte, wollte ich in die Realität zurückkehren. Ich hatte schon lange das Gefühl, dass ich realistischere Filme machen sollte, und die konnte ich in den USA nicht finden. Ich erlebte mit, was in Hollywood nach dem 11. September 2001 geschah, diese Hinwendung zu Fantasy-Action, von Lord of the Rings und Harry Potter bis zu Spider-Man. Die machten nichts mehr wie Lawrence of Arabia (1962). Und das war ja auch Unterhaltung, aber es war halt auch Realität.

Und in gewisser Weise Geschichte.
Paul Verhoeven: „Geschichte“ ist ein Wort, das nicht mehr verwendet wird. Ich frage mich, ob es an den meisten Orten heute nicht sogar verboten ist.

Eine der vielen ironischen Wendungen von Black Book ist, dass der Film Ihre erste Trennung von Hollywood nach 20 Jahren kennzeichnet, und doch feiert er die Wahrheiten des klassischen Hollywood: Geschichten zu erzählen, eine Tradition, die Hollywood heute eher zu diskreditieren pflegt.
Paul Verhoeven: Das Interessante an dem, was Sie sagen, ist, dass ich 1985 in die Vereinigten Staaten kam, nachdem ich Filme in Holland gemacht hatte, die realistisch und biografisch waren, aber nicht von der Handlung lebten. Das, was ich nach 20 Jahren Arbeit in den USA und nach meiner Rückkehr nach Holland an den USA schätzte, war jedoch das Geschichtenerzählen. Aber gleichzeitig, wie Sie richtig bemerken, wird das Geschichtenerzählen in Hollywood nun zugunsten von Spektakel verworfen. Ich unterbreitete Soeteman meinen Wunsch nach einer bezwingenden Erzählung und Handlung, etwas, das ich ohne meinen Aufenthalt in den Staaten nie empfunden hätte.

Es wirkt so, als ob Sie diesen Film anders als Ihre früheren Arbeiten gedreht hätten.
Paul Verhoeven: Seit Basic Instinct und Showgirls inszenierte ich Langzeiteinstellungen mit einer bewegten Kamera, gewöhnlich einer Steadicam. Das ließ ich hier bleiben. Es gibt viel mehr Schnitte. Weitaufnahmen, dann Schnitt zu einer leicht näheren Aufnahme, dann zurück zur Weitaufnahme zum Beispiel. So wie in Gone with the Wind (1939). Ich verwendete mehrere Kameras, um Szenen aus leicht verschiedenen Distanzen zu filmen – manche davon näher, manche weiter entfernt. Es ist keine Frage der Einstellungsgröße – die Kamerawechsel sind viel subtiler. Wenn es richtig gemacht wird, bemerkt man das nicht mal. Das Ganze war das Resultat der Arbeit mit einem neuen Kameramann, dem Deutschen Karl Walter Lindenlaub, nach 35 Jahren mit Jan de Bont und danach Jost Vacano.

Sie haben bisher nur mit drei Kameramännern gearbeitet, wenn man Black Book nicht mitzählt, sogar nur mit zwei. Selbst Bergman arbeitete über einen Zeitraum von 30 Jahren mit mehr Kameramännern.
Paul Verhoeven: Ja, ich begann mit Jan und wechselte dann zwischen ihm und Jost, der sich vor zwei Jahren von der Filmarbeit zurückzog. Hollow Man war sein letzter Film. Der Kamerastil von Hollow Man wurde in dem Sinn auf Black Book übertragen, dass ich mit einer Kamera begann und nach einer Woche auf Karl Walters Drängen eine zweite und dann eine dritte hinzufügte. Ich merkte, wie ich mich während der Dreharbeiten veränderte: Es war sowohl ein praktischer als auch ein ästhetischer Vorteil, den ich lernte. Denn wenn man auf diese Weise dreht, gewinnt man jeden Tag mehr Minuten. Ich filmte Black Book in 42 Tagen. Filme mit kleinerem Budget haben nicht mehr als 20 bis 22 Drehtage. Und wenn man mit mehreren Kameras filmt, dann kann man innerhalb seines Budgetrahmens bleiben. Es ist nicht notwendig, eine weitere Aufstellung zu inszenieren. Der Haken an der Sache ist, dass sich das Schneiden meinem Griff entzieht. Bei Material, das mit zwei oder drei Kameras gefilmt wurde, kann ich mich nicht mehr entscheiden und ich gebe es deshalb an meine Cutter weiter, um zu sehen, was die daraus machen.

Dieser Text erschien erstmals in Cinemascope 30/2007. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andrea Schellner.