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Wholetrain

| Ritchie Pettauer |

Der rasante, Adrenalin-schwangere Alltag der Graffitiszene als fesselndes Kinodrama mit hohem Realitätsbezug.

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Als „Wholetrain“ bezeichnen Graffiti-Artists ihre am meisten respektierten Werke: gemeint ist damit das Besprayen einer kompletten Zuggarnitur vom ersten bis zum letzten Waggon. Da meist weder öffentliche Verkehrsbetriebe noch Betonflächenbesitzer diesem unbestellten optischen Tuning etwas abgewinnen können, spielt sich die Kunst der Sprayer stets im Graubereich zur Gesetzesübertretung ab und endet nach allfälliger Polizeiintervention in der Regel mit hohen Strafen wegen Sachbeschädigung.

Florian Gaags Protagonisten, die KSB-Crew, sind bereit, für die Präsenz ihrer kunstvollen Designs im öffentlichen Raum alles zu riskieren. Als neben dem Dauerfeind Polizei auch noch eine zweite Crew auftaucht, ein Wettstreit unabdingbar wird und private Probleme den vier Freunden zusätzlich zu schaffen machen, verengen sich die Freiräume zusehends. Doch der wahre Graffiti-Künstler wächst an seiner Herausforderung, und so beschließen KSB, einen Wholetrain durch die Stadt zu schicken. Außerhalb des HipHop-Kosmos rutscht Graffiti selten in den Fokus der medialen  Aufmerksamkeit: dort ein Zeitungsbericht über verurteilte Sprayer, da ein kunsttheoretischer Aufsatz von Jean Baudrillard. Dieses Universum der Eroberung urbaner Räume in den Mittelpunkt eines Dramas zu rücken, erlaubt Florian Gaag, Graffiti differenzierter zu analysieren, als dies aus der Distanz des Dokumentarfilmers je möglich wäre. Dass der Regisseur selbst mehrere Jahre zur Münchner Graffitiszene gehörte, spiegelt sich in der Authentizität der Codes und Dialoge unverkennbar wider. Vom beklemmenden Intro im Gerichtssaal bis zu den furios mit Lo-Tech-Mitteln inszenierten Graffiti-Streifzügen der Protagonisten bedient sich der Film einer dynamischen, fließenden Formensprache, die Handkamera-Einstellungen, Tiefenschärfe und natürliche Beleuchtung nutzt, um die Zuseher mitten ins Geschehen zu holen.

Multitalent Gaag, der in New York Film studierte, zeichnet neben Drehbuch und Regie auch für die Produktion des Soundtracks zu seinem Spielfilm-Erstlingswerk verantwortlich. Seine Beats sind ebenso am Punkt wie seine Dialoge, für die furiose Reime holte er unter anderem KRS-One, Freddie Foxxx und Afu-Ra. Für die im Film gezeigten „Pieces“ (Graffiti-Bilder) engagierte Gaag einige der besten Sprayer Deutschlands. Kein Wunder, dass Wholetrain bei so hochqualitativen Ingredienzien einen Cocktail ergibt, der internationalen Filmjurys ausgesprochen gut mundete.