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Vier Minuten

| Roman Scheiber |

Leider mehr bild- als musikmächtiges Gefängnisdrama um ein mordsbegabtes Wunderkind und seine Klavierlehrerin.

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Kann Musik den Menschen besser machen? In einem Film, der diese Frage stellt, stellt man sich die Rolle der Musik lebendig und jedenfalls eigenständiger vor als in der üblichen emotionalen Wechselwirkung mit einer vorrangig in Wort und Bild erzählten Geschichte. Doch einmal mehr erweist sich als kaum bewältigbare Herausforderung, die Macht der Musik zu veranschaulichen, ohne lärmende Bilder zu komponieren. Nicht einmal die Titel gebenden vier Minuten lang, die finalen vier Minuten, auf die alles hinausläuft, schafft es Regisseur Chris Kraus in seinem zweiten Film, die Bildebene auf jenes untergeordnete Maß abzusenken, das ihr im Kontext eines klanglichen Befreiungsschlags zustünde.

Die labile, zum Jähzorn neigende Straftäterin Jenny (Hannah Herzsprung, gecastet unter Vorspiegelung der Tatsache, sie könne Klavier spielen) traktiert in der finalen Szene vor Publikum und einer Wettbewerbsjury einen Konzertflügel, spielt sich frei, wenn auch nur innerlich. Alles, was die junge Frau hat, legt sie in diese punkige Performance (gedoubelt von der Pianistin Kae Shirati). Die Bilder tanzen hektisch dazu, die Kameras umkreisen sie virtuos. In vielen, vielen Einstellungen wurde diese forcierte Abschlussszene gedreht: Man sieht, wie ein Film seiner eigenen musikalischen Kraft misstraut. In ihrer Kindheit missbraucht und zum Wunderkind gedrillt, hat Jenny sich von ihrer Familie abgekapselt, ist schließlich im Frauengefängnis gelandet und wird von der seit Jahrzehnten dort lehrenden Pianistin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) erneut in strengen Drill genommen – nicht ohne violente Folgen. Borderlinerin und Gouvernante: Die prekäre Beziehung zweier verletzter Seelen ist das (schauspielerisch durchaus eindringliche) Herzstück des Films; der narrative Impetus speist sich aus der Vorstellung, dass selbst zwei so unterschiedliche gepeinigte Tiere allmählich ein Instrument finden, das sie verbindet.

Als musikalisches Alter Ego Traudes, die Jennys „Negermusik“ hasst, wird Schubert aufgeboten. Den Stücken Schumanns, Bachs, Beethovens und natürlich Mozarts soll der von Annette Focks komponierte Score standhalten, hat aber über weite Strecken schon gegen die komplizierte Erzählstruktur und vor allem gegen die maßlose Wucht der Inszenierung kaum eine Chance. So steht Jennys leise Geste am Ende ihres Allegretto furioso umso unverhohlener im Dienst der Musikpädagogik: Kurz vor ihrer Verhaftung auf offener Bühne macht sie einen Knicks.