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Auf der anderen Seite – Fatih Akin im Gespräch

| Dieter Oßwald |

Fatih Akin im Gespräch mit Dieter Oßwald

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Herr Akin, fühlen Sie sich als Deutscher?
Das kann ich so nicht sagen. Ich komme aus Hamburg und Istanbul. Wären meine Filme Gemälde, wären das die Hintergründe. Die Frage, wie deutsch oder wie türkisch ein Film von mir ist, stellt sich 2007 gar nicht mehr: Das ist Weltkino, das von einem globalen Konflikt erzählt. Es geht um die Frage, wie sich Christentum und Islam gegenüberstehen. Wenn man will, kann man auch sagen: Kapitalismus und Sozialismus. Im Kern geht es um die Ambivalenz.

Wie sehen Sie die aktuelle Lage in der Türkei?
Als wir 2004 Crossing the Bridge drehten, war das die liberalste und freieste Türkei aller Zeiten: Party überall, jeder konnte sagen, was er wollte, Menschenrechte wurden anerkannt, es gab den EU-Kurs, und man war bemüht, Lösungen in der Zypern- und der Armenienfrage zu finden. Aber jetzt, drei Jahre danach, steht die Türkei fast am Abgrund, ja, vor dem Bürgerkrieg. Es fällt mir sehr schwer und tut mir in meiner Seele und meinem Herzen weh, das zu verfolgen und zu beobachten. Ich glaube, wenn ich im Moment in der Türkei leben müsste, wäre ich sofort im Knast.

Ihre Filme bewegen sich zwischen beiden Kulturen. Welcher fühlen Sie sich näher?
Wir leben in einer so globalisierten Welt, dass ich nicht mehr in diesen Kategorien denke. Internet, Medien, Kino – alles schmilzt zusammen. Auf der anderen Seite hat drei Sprachen, und das nicht aus Zufall. Wenn ich mit dem Fahrrad durch Hamburg fahre, höre ich, wie sich die Leute in den unterschiedlichsten Sprachen unterhalten – und das gefällt mir. Gleichzeitig sehe ich mich als Vertreter des deutschen Films. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl und habe auch nicht vor, hier wieder wegzuziehen. Aber wie deutsch oder türkisch ich bin, kann ich nicht beantworten.

Goethe, der berühmteste deutsche Dichter, spielt in Ihrem Film eine bedeutende Rolle.
Ich machte mein Abitur über Die Leiden des jungen Werther. Ich konnte mich sehr früh mit Goethe identifizieren. Ich bewundere sein Wissen, er hatte eine unstillbare Neugier, die Welt mit eigenen Gesetzen und Gewichtungen zu verstehen. Das versuche ich auch – nichts weiter, als zu begreifen, was passiert. Würde Goethe heute leben, er würde auch Drehbücher schreiben. Seit zehn Jahren bereite ich mit ein paar Kumpels vor, Faust zu verfilmen, aber weil es so schwierig ist, arbeiten wir noch immer daran.

Der neue Film hat eine ruhigere Bildsprache als der wuchtige Gegen die Wand.
Ja, ich habe mich bemüht, ein anderes visuelles Konzept mit Vorbildern aus dem Iran oder China zu entwickeln. Das gibt den Bildern Raum, das gibt den Bildern Zeit. Ruhe, Ruhe, Zen, Alter, hab’s mal nicht so eilig. Die Kamera ist am weitesten weg, ich versuche dem Raum Atem und dem Zuschauer die Chance zu geben, das, was er sieht, auch zu glauben und nicht auszusteigen.

Auf der anderen Seite wirkt reifer als frühere Arbeiten …
Ich bin Vater geworden, also bin ich erwachsener geworden. Früher war mir eigentlich egal, was morgen ist. Jetzt habe ich eine Verantwortung meinem Kind gegenüber. Ich lebe nicht mehr wie früher den Rock’n’Roll. Ich möchte noch so lange wie möglich teilnehmen am Leben, um meinem Kind so viel Wissen wie möglich mitzugeben. Ich möchte ihm beibringen, was in dieser pervertierten und undurchsichtigeren Welt richtig und was falsch ist. Ich kann doch nicht so antiautoritär sein und zu meinem Sohn später einmal sagen, mach doch einfach dein Ding.

Sehen Sie auch Fehler in dem Film?
Ich sehe zwar sehr viele Fehler, vor allem im technischen Bereich, aber ich sehe den Film als Momentaufnahme. Während ich ihn gedreht habe, dachte ich: „Oh, das ist ja alles furchtbar altmodisch. Das spielt ja in den 70ern!“ Dann merkte ich: Zeit bewegt sich in Zyklen. Zeit ist nicht etwas, das geradeaus geht. Genauso wie Kino wiederholt sie sich immer wieder. Das ganze Leben, die ganze Welt, besteht aus Zyklen.

Wie waren die Gefühle, als Ihr Film in Cannes gezeigt wurde?
Vorher war ich total aufgeregt, bei der Premiere war ich relativ entspannt – bis die ersten Bilder über die Leinwand liefen. Die haben nämlich aus Versehen die Schärfe auf die Untertitel und nicht aufs Bild gestellt. Ich bin tausend Tode gestorben und dreimal zu den Technikern gelaufen. Ganz fantastisch war, als mich Martin Scorsese eingeladen hat, Teil der World Cinema Foundation zu sein. Da dachte ich: Yes, yes, yes – da wollte ich immer hin! Diese Menschen wissen: Okay, der Junge liebt Kino, genauso wie wir das tun.

Sie feiern einen Erfolg nach dem anderen. Steigt Ihnen der Hö-hen-flug nicht allmählich zu Kopf?
Ich mache seit zwölf Jahren Filme, der Erfolg kam nicht über Nacht. Das Schema von Erfolg ist immer dasselbe, es geht auf und ab. Das Wissen, dass es nicht immer nur bergauf gehen kann, hilft mir, es sportlich zu sehen. Filmemachen ist eine Sportart. Wenn man das so sieht, kann man immer sagen: Natürlich will ich gewinnen, natürlich will ich ins Endspiel, aber wenn ich verlieren sollte, bricht die Welt dadurch auch nicht zusammen.

Welche Art von Filmen wollen Sie in Zukunft drehen?
Was wir dank des großen Erfolges von Gegen die Wand eingenommen haben, konnte ich dank der Unterstützung meines Teams und meiner Freunde gut investieren. Statt dicker Autos haben wir heute eine gut funktionierende Produktionsfirma. So kann ich aus eigenen Mitteln einen Dokumentarfilm über ein kleines Dorf drehen, das gegen den türkischen Staat kämpft. Ich kann junge Talente unterstützen und vor allem mit der hundertprozentigen Freiheit drehen, die für meine Art Filme zu machen so notwendig ist. Genau das möchte ich auch in Zukunft fortsetzen.