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Die Fremde in dir

| Holger Römers |

Eine Radiomoderatorin mutiert zur selbst ernannten Rächerin, als ihr Freund Opfer eines Gewaltverbrechens wird. Jodie Foster auf den Spuren von Charles Bronson.

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Gleich mehrfach wird in The Brave One ein Slogan zitiert, mit dem sich New York seit einigen Jahren gerne brüstet, nämlich „die sicherste Großstadt der Welt“ zu sein. Das ist statistisch nicht ganz falsch, weshalb auch die Unbekümmertheit, mit der ein Paar zu Beginn des Films durch den abendlichen Central Park spaziert, nicht ganz unbegründet ist. Doch man ahnt freilich das drohende Unheil, sobald die Kamera im Vorbeigehen eine düstere Unterführung ins Bild rückt – zumal vorher auffallende Unterbelichtung den Einbruch der Dämmerung unterstrich. Angesichts solcher Vorzeichen wirkt es umso tragischer, wenn uns eine lange Großaufnahme des Paares noch einmal dessen Glück vor Augen führt.

Als die Protagonistin Erica nach dem folgenden brutalen Überfall aus dem Koma erwacht, ist ihr Verlobter bereits begraben. Und die Frau, die als Radiomoderatorin immer wieder ihre Liebe zu New York thematisierte, begegnet der Umwelt plötzlich mit Furcht. Da mag es plausibel sein, dass sie sich eine Pistole beschafft; sehr unwahrscheinlich ist hingegen, dass sie sogleich in zwei weitere lebensbedrohliche Situationen gerät, in denen sie von der Waffe tödlichen Gebrauch macht.

Hat Erica zuvor in ihrer Sendung den Wandel ihrer Heimatstadt nostalgisch kommentiert, so scheint sie nun von den Gespenstern jener Vergangenheit heimgesucht zu werden, als New York noch eine exorbitante Verbrechensrate aufwies. Eine Gewaltszene variiert bewusst einen berüchtigten Fall vermeintlicher Selbstverteidigung von 1984. Und wenn Erica ein zweites Mal nachts den Central Park betritt, erinnert das Geschehen wohl nicht zufällig an Taxi Driver,  in dem Jodie Foster ihre erste berühmte Rolle hatte – mit dem Unterschied, dass es diesmal Fosters Figur ist, die eine junge Prostituierte aus den Fängen eines Dreckskerls befreit.

Weil Neil Jordan uns mit nervösen, subjektiven Einstellungen und verkanteten Perspektiven Ericas Paranoia vermittelt und die Frau regelmäßig aus dem Off sprechen lässt, könnte man diese Gewaltszenarien als verständliche Ausgeburten einer paranoiden Fantasie deuten. Doch der Film bricht Ericas subjektive Perspektive durch einen parallelen Handlungsstrang, in dessen Zentrum der Polizist Mercer steht. Dabei fallen zunächst die bemühten Zufälle auf, mit denen das Drehbuch eine Freundschaft von Mercer und Erica herbeiführt. Aber richtig ärgerlich ist, dass diese Figur schließlich dazu dient, Ericas Selbstjustiz eine quasi objektive Legitimation zu liefern.