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Dossier Terrorismus der 70er – Adachi Masao im Interview

| Claudia Siefen |

Adachi Masao im Gespräch mit Claudia Siefen

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Zu einem Publikumsgespräch in Osaka ist Adachi mitsamt seiner kleinen Familie aus Tôkyô angereist, und so sitzen wir an einem sonnigen Mai-Vormittag in einem kleinen Café in Kujo und sprechen über seinen neuen Film, bevor ihn seine Frau gegen Mittag abholen wird, um mit ihm zurückzufahren. „Sie ist eine starke Frau. Manchmal versuche ich mich zu wehren und sage: Wie sprichst Du mit mir, ich bin ein berühmter Filmemacher! Aber das interessiert sie nicht; ich muss trotzdem den Müll hinuntertragen.“ In seinem Film hat sie gegen Ende in einer Traumsequenz einen kleinen Auftritt.

Was können Sie zu den Drehbedingungen von Terrorist sagen?
Mein Art Director wollte in einem echten Gefängnis drehen, aber ich war selbst für einige Zeit inhaftiert und wollte nicht „dahin zurück“, also haben wir ein Studio als „Gefängnis“ benutzt. Besonders realistisch sieht das nicht aus, es ist mehr eine Idee von einem Gefängnis.

Was bedeutet es für Sie, nach so langer Zeit wieder in Japan gearbeitet zu haben?
Mein Film hat keine Nationalität. Man sieht japanische Schauspieler, hört die japanische Sprache, aber es ist eben kein japanischer Film. Ich kenne mich nun wirklich aus, was Gefängnisse angeht, aber ich wollte keinen typischen Gefängnisfilm machen. Das Ganze ist eine „Komposition“ zu einem Gefängnis. Ich wollte dem Film die unvermeidliche Schwere nehmen, das bestimmte meine Schauspielführung, Kamera, Licht und nicht zuletzt die Vertonung. Auf die Dialoge habe ich nicht besonders geachtet. Ich habe lange Zeit Dokumentarfilme gemacht, die Kameraarbeit im Spielfilm ist schon eklatant anders. Ich wurde richtig übermütig: „Kein übliches Gefängnisdrama!“

Woher kam der Antrieb, wieder einen Spielfilm zu machen?
Als ich nach Japan zurückkehrte, wollte Wakamatsu Kôji, dass ich wieder arbeite. Ich musste erst einmal darüber nachdenken, schließlich hatte ich 30 Jahre japanisches Kino verpasst! In Palästina wollte ich eigentlich nur noch Dokumentarfilme machen, ich habe dort viel gearbeitet, leider ist alles verloren gegangen. Spielfilme haben mich nicht mehr so interessiert. Ich war zu dem Zeitpunkt einfach mehr Soldat als Filmemacher. Was das Filmemachen angeht, hatte ich eher fremdartige Gefühle, aber andererseits waren hier in Japan sehr viele daran interessiert, dass ich wieder Filme mache. Eigentlich hatte ich die Filmemacher in Palästina dazu bringen wollen, ihr eigenes Kino zu machen, Filme, die wirklich mit ihrer Geschichte zu tun haben. Und ich hatte den Eindruck, dass ich dort etwas leisten kann. Ich als Lehrer! Ich habe in Palästina Filmemacher und Produzenten unterstützt, nicht nur ihre Ideen zu verwirklichen, sondern sie überhaupt zuzulassen. Eine Übung in mehr Selbstbewusstsein. Die jungen Filmemacher gehen zum Beispiel nach Moskau, um Film zu studieren, und wenn sie zurückkommen, wollen sie erst einmal alles Mögliche organisieren, genau durchplanen. Und ich sagte immer nur: Nein, es gibt keinen Grund zu warten! In den letzten Jahren habe ich oft mein Equipment und mein kleines Archiv verloren, ich musste oft umziehen, flüchten. Ich lernte: Viel anzusammeln lohnt sich nicht, weil vom einen auf den anderen Tag alles fort sein kann. Also sagte ich, worauf wartet ihr? Wenn ihr Filme machen wollt, macht es einfach.

Sie haben im Exil kontinuierlich weitergearbeitet?
Letztlich war ich immer Soldat und Filmemacher. Auch im Gefängnis habe ich mich gefragt, welche Filme ich noch machen werde. An manchen Tagen habe ich an nichts anderes gedacht. Als ich zurück in Japan war, habe ich versucht, meine eigene Geschichte zu verfilmen, unter dem Titel 13. Monat. Es gibt diesen Monat ja nicht, das fand ich spannend: eine Geschichte außerhalb des normalen Zeitbegriffs. Es wurde ein Komitee gegründet, um das kalkulierte Budget aufzutreiben, aber das hat nicht funktioniert. Bald war uns klar: Wir würden eine weniger aufwändige Produktion machen. Ich habe so viele Ideen im Kopf, Filme, die ich unbedingt machen will. Wenn es für ein Projekt kein Geld gibt, dann eben für das nächste!

Wie schwierig war der Einstieg in Japan nach all der Zeit?
30 Jahre außerhalb des Filmgeschäfts machen dich selbst schon zum Problem, die Firmen wissen nicht, wie sie mit dir umgehen sollen. Ich wusste es ja auch nicht. Manche Menschen haben sogar Angst vor mir, wenn sie etwas über meine Geschichte wissen. Das ist dumm, aber auch verständlich. Das wichtigste ist, immer miteinander zu reden. So oft es nur geht, diskutiere ich mit jungen Filmemachern, eigentlich mit jedem, der auch nur ein wenig Ahnung hat vom Filmemachen. Reden ist alles. Damit kann man schon Bilder im Kopf entstehen lassen. Aber im Schneideraum kann einem dann eine ganz andere Geschichte begegnen. Manche sind davon nicht so begeistert:  Sie haben eigene Vorstellungen umgesetzt, und wollen sie unbedingt im Film verwirklicht sehen. Und ich sitze dann im Schnitt und schaue mir das Material an, und dann … Ja, manche sind wirklich sauer auf mich!

Die Musik hat in Ihrer Arbeit immer einen hohen Stellenwert. Wie kann man sich die Arbeit mit dem prominenten Filmkomponisten Otomo Yoshihide vorstellen?
Das war in Ordnung! Otomo ist so um die 40, und ich glaube, er hat sein gesamtes Leben in der Bücherei verbracht. Er sah sich die Filme von Wakamatsu an und las mein Skript. Er hatte Spaß dabei und war sehr aufgeregt. Er erarbeitete eine durchgehende musikalische Interpretation meines Skripts. Und natürlich das Hauptthema. Er sagte immer, dass es nicht wichtig sei, was er selbst von der Musik halte. Es müsse einfach nur passen. Bei den Aufnahmen im Studio habe ich erst einmal gar keinen Timecode vorgegeben, und wir haben alles ausprobiert. Ich mag experimentelle, radikale Musik, ich brauche keine Nachahmung der vergangenen 100 Jahre. Musik und Handlung sind gleichwertig. Man muss sich auch nach den technischen Möglichkeiten der heutigen Kinos richten, und so gab es immer Ärger mit dem Toningenieur. Dem war vieles zu laut oder nicht „sauber“ genug. In meinem Film brauche ich keine schönen Töne und schon gar keine schöne Musik. Ich sagte: Geh auf die Straße! Wo gibt es denn schöne Töne?

Hier in Japan hat sich die Presse den Kopf zerbrochen, welche Message Ihr Film haben könnte.
Viele machen „schöne“ Filme mit einer „schönen“ politischen Message, sauber und ordentlich und technisch korrekt. Das tut mir irgendwie Leid. Der Mensch ist nicht so. Und im Kino soll es doch um Menschen gehen, oder? Es geht um die Kraft des Menschen. Nach meiner Zeit im Gefängnis gab es viele Filmkritiker hier in Japan, die sich Sorgen machten, ob ich noch die Kraft hätte, eine Geschichte auf diese Art und Weise zu erzählen. Eine starke, berührende Geschichte. Aber nun sehen sie ja: Es ist noch genug Kraft vorhanden.

Ihre politische Vergangenheit wird gern ins Zentrum gerückt. Wie sehen Sie Ihre Aktionen heute?
Mit dem Begriff des „Terrorismus“, wie ich ihn verstehe, können viele junge Leute heute nichts mehr anfangen. Gerade das junge Publikum war schon vom Titel irritiert. Sie kannten meine alten Filme und dachten wohl, dass es interessant sein könnte, einen neuen Film von mir zu sehen. Deshalb habe ich meine Geschichte auch so abstrakt inszeniert. Wenn man etwas über Geschichte im historischen Sinn erzählt, wenn man einen historisch korrekten Film macht, entfernt man sich nur vom jungen Publikum. Junge Menschen wollen keine Geschichtsstunde und keine Erklärungen aus der Vergangenheit. Es geht um ihre heutige Zeit und um das heutige Leben, die heutigen politischen Gegebenheiten.

Welchen Rat geben Sie jungen Filmemachern gewöhnlich?
Ich habe viele Filme gemacht, ohne jedes Budget. Wenn man eine Geschichte erzählen will und weiß, welche Bilder man haben will, dann braucht man nicht herumzusitzen und auf den großen ersten Film zu warten. Mittlerweile gibt es gute Video- oder kleine Digitalkameras. An alle jungen Filmemacher: filmen, filmen, filmen! Kino ist kein Museum, Kino ist hier und jetzt. Und Geld findet sich doch immer, irgendwie.

Sie gelten – über Ihr politisches Engagement hinaus – als einer der Pioniere der „pink eiga“. Wie beurteilen Sie diese Filme im Rückblick?
Meine Pink-Filme damals waren radikal und hatten einen politischen Hintergrund. Die Menschen waren deswegen geschockt, und nicht, weil es nackte Haut zu sehen gab oder weil Menschen lustvoll getötet wurden. Das, was dahinter steckte, war schockierend und wurde offensichtlich auch so wahrgenommen. Sicher, in der Zeit war es nicht üblich, sich so freizügig über Sex zu äußern. Selbst im privaten Rahmen konnte man das nicht. Es ging nicht um den erotischen Aspekt von Sexualität, sondern Sex war gewalttätig, blutig und sollte gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigen. Die Gewalt richtete sich häufig gegen Frauen, und es gab immer Ärger mit den Feministinnen. Aber die Sexindustrie hat sich inzwischen sehr verändert, und niemand regt sich über solche Filme mehr auf.

Und Underground? Gibt es das noch?
Seit den Mittsiebzigern ist Underground doch tot. Es geht um das große Geschäft, bei der Malerei und der Musik ist das ja auch nicht anders. Underground hat aber immerhin die Idee des Unkontrollierten hinterlassen. Und so lange wenigstens diese Idee noch in den Köpfen steckt, ist es ja ganz gut.