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Die Regeln der Gewalt

| Holger Römers |

Ein junger Mann, der nach einem tragischen Unfall unter Schuldgefühlen und Gedächtnisverlust leidet, gerät ins Zentrum eines perfiden Plans rund um einen Banküberfall.

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Man kann nur mehr spekulieren, was für ein Film The Lookout geworden wäre, wenn Michael Mann, David Fincher oder Sam Mendes ihn gemacht hätten. Diese Star-Regisseure waren alle irgendwann dafür vorgesehen, Scott Franks Drehbuch zu inszenieren. Doch die Realisierung platzte ein ums andere Mal, bis schließlich der Autor, der die Scripts zu Get Shorty und Minority Report verfasst hat, die Chance erhielt, sein Buch, einen Neo-Noir-Stoff, genregemäß etwas widersprüchlich in Szene zu setzen.

So lenkt The Lookout unsere Aufmerksamkeit einerseits auf die Konstruktionsmechanismen des Plots: Der Protagonist Chris, einst ein talentierter Schüler und Sportler, der bei einem Unfall eine Gehirnverletzung mit nachhaltigen Folgen erlitten hat, erhält von seinem blinden Mitbewohner den Rat, sich an der Erzählstruktur eines Märchens zu orientieren, um seinen Alltagserlebnissen einen sinnvollen Zusammenhang zu verleihen. Diesem Rat folgt Chris auch, als er einen Notfallplan braucht, weil er sich von einem vermeintlichen alten Bekannten als Komplize für einen Bankeinbruch anheuern ließ. Der selbstreflexive Akzent auf Erzähltechniken erlaubt wiederum eine Schlussszene, die tatsächlich märchenhaft ist. Zuvor aber lässt Scott Frank eine Nebenfigur einen besonders traurigen Tod sterben – und führt uns im gleichen Zug die Cleverness des betreffenden Subplots vor Augen. Als Nebeneffekt wird dem Zuschauer freilich die Konstruiertheit des Ganzen bewusst, weshalb es ein (genretypischer) Widerspruch ist, wenn die Inszenierung sich andererseits auffallend viel Zeit nimmt, um Chris als komplexe Figur zu zeichnen. Wenige kurze Rückblenden sowie der Dialog mit einer Femme fatale lassen erahnen, dass der Protagonist einst ein selbstgefälliger reicher Bengel war. Indem er seinen Kameramann regelmäßig die Schärfe verlagern lässt und Chris’ Alltag in knappe, disparate Detailhandlungen zergliedert, vermittelt Frank indes einen subtilen Eindruck der beschränkten Wahrnehmung, unter der seine Hauptfigur seit dem Unfall leidet. Unter diesen Vorzeichen braucht die Inszenierung bloß noch auf die warmen Lichter zu verzichten, die zunächst die kühl-blaue Tristesse des winterlichen Handlungsortes aufgehellt haben, um die passende Noir-Atmosphäre zu erzeugen, als Chris zunehmend in Schwierigkeiten gerät. Scott Franks Regiedebüt ist letztlich erfreulich unprätentiös ausgefallen, weswegen  man auch die Anleihen bei Memento und Fargo gerne nachsieht.