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Österreichische Filmkrise – Diskussionsrunde zum Thema Drehbuch

| Gunnar Landsgesell |

Gibt es eine Drehbuchkrise in Österreich? Werden hierzulande bloß Befindlichkeiten verfilmt? Um solche und ähnliche Fragen zu klären, lud „ray“ zu einer Diskussionsrunde.

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In einem Gespräch zwischen dem Geschäftsführer des Filmfonds Wien, Peter Zawrel, und dem Produzenten Helmut Grasser im Septemberheft von ray (siehe auch die Replik Franz Novotnys im Oktober) über die Ursachen für die zuletzt erschreckend niedrigen Besucherzahlen österreichischer Filme wurde unter anderem eine „Drehbuchkrise“ konstatiert: „Werden überhaupt Geschichten erzählt? Es geht doch in österreichischen Filmen vor allem um Befindlichkeiten. Um Zustandsbeschreibungen.“ (Grasser) Die Reaktionen darauf waren ebenso zahlreich wie heftig. Auf Initiative von Bruno Pellandini, Geschäftsführer des Drehbuchforums, lud ray Anfang Oktober zu einer Diskussionsrunde, an der neben Pellandini als Moderator die Autorin Agnes Pluch (Die Schuld der Liebe, Ikarus, Schuldig), der Autor Martin Ambrosch (Kaltfront, Spiele Leben, SOKO Kitzbühel) und der Produzent Erich Lackner (Nordrand, Antares, Kotsch) teilnahmen.

Pellandini: Der österreichische Film braucht attraktive Stoffe. Das heißt, er braucht gute Autoren, gut ausgebildete Autoren, die regelmäßig arbeiten, die entsprechend bezahlt werden. Gerade bei den jungen Autorinnen und Autoren sehe ich eine sehr große Lust, Geschichten zu erzählen. Nur schaffen sie es nicht so leicht ins Kino, weil wir in Österreich anscheinend so viele Doppelbegabungen haben, dass Regie und Buch bei all den Autorenfilmern zusammenfallen. Provokant gefragt: Braucht das Kino überhaupt noch Drehbuchautoren?

Ambrosch: Selbstverständlich. Warum erlebt denn Deutschland derzeit einen Filmboom? Auch deshalb, weil die Trennung zwischen Autor und Regisseur im Gegensatz zu Österreich funktioniert. Sehr viele Autoren konnten, vor allem auch für die Privatsender, kontinuierlich arbeiten und sich insbesondere über Serien handwerklich weiterentwickeln. Woher sollen aber bei uns die Aufträge kommen? Das Österreichische Fernsehen kann sich nur wenige Filme leisten, ich selbst bin deshalb auf den deutschsprachigen Raum orientiert, schreibe fast ausschließlich für Koproduktionen.

Pluch: Bei mir ist es seit drei Jahren nur das Kino, davor war es auch der Fernsehbereich. Ich arbeite hauptsächlich mit österreichischen Firmen zusammen. Hier ist einerseits die Frage sehr berechtigt, ob überhaupt ein Markt für viele Autoren vorhanden ist. Und zweitens, unter welchen Bedingungen man – etwa mit den Produzenten – über mehrere Jahre an einem Drehbuch arbeitet.

Lackner: Ein Beispiel: Wir haben in unserer Firma drei Jahre lang an ein Buch geglaubt, an den Autor – an den glaube ich nach wie vor –, aber das Buch war schon zur Zeit, als es uns angeboten wurde, nicht mehr ganz zeitgemäß. Es war etwas zu sozialdramatisch, obwohl es eine völlig fiktionale Geschichte ist, mit vielen extrem schrägen Elementen. Wir haben uns am Ende entschlossen, es nicht zu realisieren, das hat uns trotz Förderungen immer noch 30.000 Euro gekostet. Man kann dennoch als Produzent nicht sagen, dass man an einem Projekt viel zu lange arbeiten muss und es sich deshalb nicht leisten kann. Entweder ich will es mir leisten oder nicht, das gilt auch für euch Autoren.

Pluch: Aber du hast eine Firma hinter dir, eine GmbH, das ist doch eine ganz andere Ausgangsposition. Als Einzelperson riskiere ich, dass ich im nächsten Jahr halt einfach meine Miete nicht zahlen kann. Da kann ich sagen: Das riskiere ich für ein Projekt nicht.

Lackner: Aber woher bekommt die GmbH ihr Geld?

Pluch: Aus Förderungen.

Lackner: Nein, nein, die bekommt sie nicht aus Förderungen, sondern nur aus Verkäufen.

Ambrosch: Aber der Punkt, der für uns beide gilt, ist doch, dass ich mir meinen Beruf nicht finanziell leisten will, sondern dass ich davon leben möchte.

Lackner: Ja, aber da sitzen Autoren, Regisseure und Produzenten im selben Boot. Grundsätzlich stellt sich die Frage, für wie viele Drehbücher überhaupt Bedarf besteht in Österreich.

Ambrosch: Ich würde sagen, beim Fernsehen für sehr viele, im Kino für sehr, sehr viele.

Lackner: Wie viele für das Fernsehen?

Ambrosch: Wenn ich jetzt alle Serien zusammenrechne …

Lackner: Wie viele 90-minütige abendfüllende TV-Movies sind am österreichischen Markt gefragt? Fünf?

Ambrosch: Vielleicht fünf, ich kann das nicht genau sagen.

Lackner: Optimistisch zwischen fünf und zehn?

Ambrosch: Genau.

Lackner: Und wie viele Leute können davon leben?

Ambrosch: Wenn man sie gut bezahlt für die Entwicklung, für nicht realisierte Projekte – und das wäre ja das Ziel –, dann brauchen wir sehr viele.

Lackner: Was zählt, sind aber die realisierten Projekte.

Ambrosch: Das größte Problem für Autoren ist, dass, sagen wir, zwei Drittel des finanziellen Gesamtvolumens, das ich als Autor bekomme, frühestens bei der Realisierung gezahlt werden. Ich muss meine gesamte Arbeit leisten, mehrere Fassungen schreiben für ein Drittel der vereinbarten Gage, um dann zu hoffen, dass viele verschiedene Entscheidungsträger wie Förderer, Koproduzenten etc. diesen Film dann tatsächlich zur Realisierung bringen. Während ich meine Arbeit für ein Drittel des Geldes mache.

Lackner: Die Schwierigkeit ist, dass ich als Produzent zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Autor noch gar nicht weiß, wie groß das Projekt wird. Wir reden von einem Auftrag für ein Drehbuch, der sich je nach Höhe des Budgets des Films auf 30.000 bis 50.000 Euro beläuft.

Ambrosch: Das zweite Problem ist, dass wir – da sind wir im Grunde einer Meinung – damit das Risiko teilen. Wir mit unserer geleisteten Schreibarbeit, du als Produzent finanziell. Aber witzigerweise steht in den Förderrichtlinien nach wie vor, dass der Regisseur etwa ein Drittel mehr bekommt als der Autor. Dabei trägt der Regisseur doch gar kein Risiko, der bekommt einfach den Auftrag: Verfilm das Buch!

Pluch: Und er arbeitet meistens auch kürzer.

Lackner: Es ist doch müßig zu sagen, der oder der ist besser dran.

Ambrosch: Ich rede nur von der Risikoteilung.

Lackner: Es geht schon auch anders. Der Status quo ist aber: Ich muss mit dem Autor einen Vertrag über ein Werk abschließen, als dessen Schöpfer er bis ans Ende der Welt gelten wird. Er bekommt die Credits, die Erlösbeteiligung etc. Aber es kann nicht sein, dass ein Autor nach der ersten oder zweiten Fassung aussteigt mit 30.000 Euro in der Tasche. So nach dem Motto: Das Buch ist zwar noch nicht filmreif, aber ich hab mein Geld und meinen Credit, auch wenn andere am Buch weiterarbeiten.

Pluch: Erstens ist das nicht der Regelfall, und es ist ja nicht unbedingt unser Ziel.

Lackner: Aber das könnte passieren, wenn ich die jetzt geltende Risikoteilung aufheben will.

Pluch: Könnte, aber wir reden von etwas anderem. Davon, dass der Autor, der bis zur fünften, sechsten Fassung, bis zur Drehfassung dranbleibt, nicht das ganze Risiko mit dem Produzenten tragen muss. Oder es wird ihm dieses Risiko in angemessener Weise entlohnt.

Lackner: Wie gesagt, es geht auch anders. In den angelsächsischen Ländern ist es so, dass in dem Moment, wo der Autor den Vertrag mit dem Produzenten abschließt, er ihm das Copyright überträgt. Der Autor unterschreibt einen Vertrag, wird ausbezahlt und verliert damit den Besitz des geistigen Werkes. Nach unserem Urheberrecht bleibt der Besitzer immer der Autor.

Ambrosch: Folgende provokante These: Gehen wir von 50.000 Euro für ein Drehbuch aus. Wenn diese Summe bei Arbeitsfertigstellung, bei der Abnahme durch den Produzenten fällig wird, dann würde wesentlich genauer ausgewählt werden, welche Drehbücher ich überhaupt anfange. Derzeit beginnt man Drehbücher einfach deshalb, weil für die erste Fassung nur etwa 10.000 Euro fällig werden, was eine Firma natürlich besser verkraften kann als 50.000 Euro am Ende. Derzeit werden also relativ viele Stoffe begonnen, die eigentlich nie begonnen worden wären, wenn ein bestimmtes finanzielles Volumen dahinter stünde.

Pluch: Ich sehe das ein bisschen anders. Ich fände es ja sogar gut, wenn man Risikokapital zur Verfügung hat und damit eine erste oder auch zweite Fassung von zehn anstatt fünf Projekten probiert. Dann habe ich nach zwei Fassungen die Freiheit zu entscheiden, ob ich die nun weiterführen will oder nicht. Das Problem ist jetzt, dass Autoren etwa 10.000 Euro nicht für eine oder zwei Fassungen erhalten, sondern theoretisch für zehn Fassungen, die vielleicht über fünf Jahre entwickelt werden, weil dann erst eingereicht wird.

Ambrosch: Richtig. Ich wollte aber auf etwas anderes hinaus: Wenn der Produzent einen Stoff erst dann einreicht, wenn die ganze Summe ausbezahlt wurde, dann würde er wohl nur Projekte einreichen, von denen er auch überzeugt ist. Viele Produzenten reichen ja einfach ein, um zu schauen, was denn die Förderung zum Stoff sagt, an den sie selbst nur mehr halb glauben. Dass das so ist, hat eben sehr stark mit dem Zeitpunkt der Auszahlung zu tun.

Lackner: Das ist nicht der Usus. Wir sollten nicht über jene reden, die das System missbrauchen. Gegen Dummheit gibt es kein Regelwerk. Aber zurück zur Risikobeteiligung. Verlange in deinem Drehbuchvertrag doch einfach eine entsprechende Beteiligung. Und zwar eine, die vor Einspielen aller Eigenmittel des Produzenten wirksam wird.

Ambrosch: Damit kommen wir genau zum Punkt, nämlich wie schwierig das ist.

Lackner: Es ist nicht schwierig. Du musst es sagen, du musst den Produzenten davon überzeugen, dann bekommst du es.

Ambrosch: Aber wir reden jetzt von den üblichen Fällen.

Lackner: Klar. Wenn man sich ansieht, was man für Musikrechte oft im Vergleich zu Autorenhonoraren anfällt, dann ist das das Fünf- bis Sechsfache. Da stimmt doch was nicht.