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Freigesprochen

Freigesprochen

| Hans Christian Leitich |

Peter Payers kluge, qualitätsvoll besetzte Auffrischung eines Ödön-von-Horváth-Dramas leidet ein wenig unter den Bedingungen einer Koproduktion.

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Leute der armen Mittelschicht, gedrillt, in üblen Lebenslagen auszuharren – bis etwas passiert, das das labile Gleichgewicht ins Kippen bringt: Der jüngste Tag, das letzte Provinzdrama Horváths, erzählt vom Bahnhofsvorsteher Thomas Hudetz, einem jüngeren Mann in unglücklicher Ehe, und von der Gastwirtstochter Anna, überdrüssig ihrer Verlobung wie ihres Alltagslebens. Sie flirtet mit ihm, als er eigentlich ein Signal umstellen soll, ein Zugunglück mit 18 Toten ist die Folge. Das Gericht spricht Thomas trotz belastender Aussage der Gattin zwar frei, die Schuldgefühle der zusammengeschweißten Komplizen Thomas und Anna werden jedoch unerträglich, mit fatalen Folgen.

Freigesprochen ist eine wohlüberlegte Übertragung in die Gegenwart, der Jugendpreis von Locarno verdient. Dabei ist ein Zugunfall dankbarer Aufhänger: Berichte sind geläufig, wie Privatisierer Standardsenkungen und Belastungserhöhungen testeten, Pannen quasi einkalkulierten und Verantwortung abschieben, privatisieren. Substanziell sind die Aktualisierungen der Charaktere: Arbeitete Horváth mit dem Motiv von mit Zank gefüllten Ehegefängnissen, sind diese nun Selbstverwirklichungspakte, deren Basis eher erodiert denn explodiert. Affektmord mit Geständnis vor höheren Instanzen ist die alte Art der Eskalation, Rückzug nach innen bis zum Suizid folgerichtig die neue Art einer Nichtbewältigung. Horváth erzählte im 1937 in Mähren uraufgeführten Stück von durch Wirtschafts- und Wertekrise Zermürbten, Payer nun von Modernisierungsverlierern einer neoliberalen Ich-Fixierung.

Frank Giering und Corinna Harfouch als Ehepaar sind glaubwürdiges Zentrum; vielleicht, weil beide ostdeutsche Sozialisation durchliefen, verbinden sie eindrücklich Durchhaltewillen mit Verletzlichkeit hinter Stoik. Lavinia Wilson andererseits überzeugt als verträumt Kontakt suchende Studentin Anna, auch weil Robert Stadlober als Verlobter zweckdienlich den blauäugigen Kleinunternehmer in spe gibt. Als Schauplatz wäre etwa Mecklenburg fein, die Koproduktion strebte Ortsungebundenheit an. Über ein anonymisiertes Nordburgenland kam es freilich zu Nebenrollen, die wie Störfaktoren wirken, so Alfred Dorfer als mitverunglückter Kumpel: eine etwas hölzerne Personifikation des Gewissens. Gelungen sprechend sind wiederum Architekturen, so ein hübsch derangiertes Wirtschaftswunderhotel in Umorientierungsnöten oder die Familienvilla von Frau Hudetz, ein patinaüberzogenes Monument großbürgerlicher Moderne-Träume.