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Auf der Suche nach dem Gedächtnis

| Roman Scheiber |

Ein Lebens- und Arbeitsporträt des Hirnforschers und Nobelpreisträgers Eric Kandel.

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Um ein banales Beispiel zu nehmen: Warum Chelsea-Kapitän John Terry wohl sein Leben lang nie vergessen wird können, wie er am 21. Mai in Moskau den entscheidenden Elfmeter im Champions-League-Finale gegen Manchester verschossen hat, leuchtet aus psychologischer Sicht auch Fußballverweigerern ein. Welche molekularbiologischen Vorgänge in Terrys Kopf dafür verantwortlich sind, dass dieses emotionale Ereignis sich in seine „Festplatte“ einbrennt, wissen wir auf Grund einer Entdeckung Eric Kandels: Der Neurowissenschafter fand jene Proteine, die die entscheidende Rolle bei der Umwandlung von Kurzzeit- in Langzeitgedächtnis spielen, und er bemerkte die anatomischen Veränderungen, die das Langzeitgedächtnis im Gehirn auslöst – Erinnerung wird in Materie umgewandelt.

Für diese Entdeckung erhielt Kandel im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin. Seit vorigem Jahr ist der Professor der Columbia University New York auch Kuratoriumsmitglied der neugegründeten Elite-Uni IST Austria (Institute of Science and Technology), deren Campus derzeit am Rand von Klosterneuburg gebaut wird. Ein Dokumentarfilm über den sympathischen Gedächtnisforscher kommt dem nach langen politischen Diskussionen entstandenen, als „Vorzeigeprojekt“
heimischer Spitzenforschung geplanten Institut gerade recht.
Auf der Suche nach dem
Gedächtnis
denkt die wissenschaftliche und die Lebensgeschichte des Forschers zusammen, was gerade in diesem Fall auf der Hand liegt: Auf der Suche nach seinen Erinnerungen wird Kandel von Gestalterin Petra Seeger bei der Rückkehr in sein Geburtsland begleitet, von wo er mit seiner Familie im Alter von neun Jahren wegen seiner jüdischen Abstammung in die USA emigrieren musste. Sozusagen an sich selbst versucht Kandel in Wien die Aktivierung von Erinnerung durch Erinnerungs-Orte. Nahe dem Kutschkermarkt in Währing, wo seine Eltern ein Spielwarengeschäft hatten, ist eine Marktstandlerin ganz begeistert über den hohen Besuch. Der Wissenschafter zeigt sich dabei als herzlicher, fröhlicher Mensch und wird als Person greifbar. Kandel lacht gern und viel, auch während er im Labor des Howard Hughes Medical Institute sein Lieblings-Versuchstier Aplysia Californica vorstellt – eine große Meeresschnecke. Doch deutlich wird im Film auch, woher Kandel sein späteres Faible für das menschliche Erinnern und Vergessen bezog, und wenn er darüber spricht, lacht er nicht: Es waren die Erfahrungen des Jahres 1939 in Wien.