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Filmkrise in Frankreich – „Jeder der von Kino spricht…“

„Jeder, der von Kino spricht, ohne auch an Geld zu denken, ist Realitäts fremd“

| Karin Schiefer |

François Yon, Mitbegründer des Weltvertriebs Films Distribution, Vizepräsident von Unifrance, Mitglied der Kommission der „Avance sur Recettes“ und des „Club des 13“ über die Notwendigkeit revolutionärer Umbrüche in der französischen Filmindustrie.

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Wie ist der „Club des 13“ an seine Arbeit herangegangen?
Unmittelbar nach Pascale Ferrans Rede bei den Césars im Februar 2007 hatte ihr der Produzent Patrick Sobelman vorgeschlagen, eine Gruppe ins Leben zu rufen, um einen Denkprozess einzuleiten. Unsere Arbeit begann mit einer Anhörungsphase, wo es darum ging, zu verstehen. Es stellte sich sehr rasch heraus, dass alle Bereiche zusammenhängen und niemand mit seinen Problemen alleine dasteht. Darauf aufbauend gingen wir der Frage nach, wo es wirklich nicht funktioniert, wo die Wechselwirkungen liegen. Dabei zeichneten sich einige große Linien ab: eine davon betrifft das Trio Autor-Regisseur-Produzent, das an Bedeutung verloren hat. Eine weitere, dass die äußere Form wichtiger ist als der Inhalt, das betrifft u.a. die Haltung der Fernsehsender gegenüber dem Kino. Und weiters haben wir festgestellt, dass es zu einem Missbrauch von Vormachtstellungen auf dem Markt kommt.

Wie wuchs diese Erkenntnisarbeit schließlich zum Bericht heran?
Wir haben zu fünft über die Sommermonate an der Verfassung des Berichtes gearbeitet. Ab September trafen wir uns wieder, um einen Konsens über die Inhalte herzustellen. Dann galt es, die Lösungsvorschläge voranzutreiben. Die Vorschläge sollten so einfach wie möglich sein, aber an der Wurzel des Problems ansetzen. Die allgemeinen Schlussfolgerungen sind zum Großteil von mir verfasst, wobei ich mich sehr stark von zwei Texten der Financial Syndication Rule (1971) inspirieren ließ, mit denen ich mich schon in den USA an der Uni intensiv auseinandergesetzt habe und die als Grundlage der dortigen Antitrust-Gesetze dienten. Ich habe sie zur Gänze neu aufgegriffen mit allen im Laufe der Jahre von Anwälten eingebrachten Gegenargumenten, um das Wesen der Vormachtstellung der Networks zu verstehen und vor allem das Verhältnis zwischen äußerer Form und Inhalt. Daraus hat sich die Leitlinie unserer Schlussfolgerungen ergeben. Es ist strategisch sehr interessant, sich auf ein solches Gesetz zu berufen, da es sich um ein Gesetz aus einem sehr kapitalistischen Land handelt, das aber dennoch seinen Markt reguliert. Ein Umstand, der sich unter unserer aktuellen Regierung durchaus günstig auswirken könnte.

In welche Richtung gehen die Lösungsvorschläge?
Der Bericht ist sehr pragmatisch in seinen Vorschlägen. Alle Maßnahmen, die wir vorschlagen, kosten den Steuerzahler keinen Cent mehr. Wir verlangen nicht mehr Geld. Was wir verlangen, ist eine gerechtere Verteilung der gemeinsamen Ressourcen der Filmindustrie.

Das Geniale am französischen Fördersystem liegt ja darin, dass es sein Geld selbst hervorbringt. Es ist ein Fonds, der sich aufgrund einer Steuer auf Fernsehwerbung und auf Kinokarten selbst generiert. Auch die von uns geforderte Erhöhung des Budgets der „Avance sur Recettes“ (selektive Förderung des CNC, Anm.) ist durch eine interne Umverteilung der Gelder umsetzbar.

Die Vorschläge zielen in zwei Richtungen: Zum einen soll über das CNC auf die Neuverteilung der Fördermittel Einfluss genommen werden, zum anderen sollen gesetzgebende Maßnahmen Missbräuche von Vormachtstellungen auf dem Markt korrigieren, die sowohl einer gesunden Konkurrenz als auch der künstlerischen Entfaltung der Talente schaden.

Wie gelangte das Ergebnis dieser lange Zeit streng vertraulichen Arbeit letztlich an die Öffentlichkeit?
Der Text wurde zunächst nur fotokopiert und unter der Hand nur in der Filmbranche weitergegeben. Wir bekamen rasch sehr positive Rückmeldungen und beschlossen, den Text an die Öffentlichkeit zu bringen. Ende April hatten etwa 300 Vertreter der französischen Filmbranche den Text unterzeichnet. Der Bericht erfasst den Stand der aktuellen Machtverhältnisse in der französischen Filmindustrie, die zur Zeit zugunsten derer stehen, die es für nötig halten, Fließbandarbeit zu leisten: Kinobetreiber, die ein Maximum an Filmen in die Säle bringen, ohne diesen die Zeit zu lassen, Fuß zu fassen oder Fernsehsender, die für ihre Ausstrahlungen Produkte nach Schema F fordern.

Lässt sich von der Wirkung dieses Berichtes eine Änderung der Situation erwarten?
Was jetzt kommen wird, wissen wir noch nicht. Die Voraussetzungen für die Revolution sind nun einmal geschaffen, jetzt heißt es verhandeln. Dafür sind wir jedenfalls in einer Position der Stärke. Alle Leute, die einen „handwerklichen“ Bezug zum Film, die eine Leidenschaft fürs Kino haben, können in diesem Text etwas für sich entdecken, weil er Kunst und Industrie miteinander vereint. Man kann durchaus ein eher marktorientiertes Verständnis der Dinge und gleichzeitig einen enormen Respekt fürs Kino als künstlerische Ausdrucksform haben. Kino und Geld kann man nicht voneinander trennen, das ist unmöglich. Der Bezug zwischen Kino und Geld ist ein unmittelbarer. Jeder, der von Kino spricht, ohne auch an Geld zu denken, ist realitätsfremd. Die Autoren und Filmemacher brauchen Geld. Es gibt eine Facette des französischen Filmschaffens, ein Qualitätskino, dem eine ganz besondere Form des Ausdrucks zu eigen ist und das für eine kulturelle Strahlkraft steht. Dieses Kino ist gerade im Begriff zu verschwinden.

Gibt es bereits Reaktionen?
Das Ganze hat ein ziemlich großes Medienecho ausgelöst, die Leute kaufen den Bericht, der inzwischen als Buch erschienen ist. Was das CNC betrifft, kann ich noch nichts Näheres sagen, da wir mitten in den Verhandlungen stehen. Aber angesichts der Durchschlagskraft des Textes besteht erstmals seit 25 Jahren die Möglichkeit, Dinge durchzusetzen, ohne durch den endlosen Gang der Gewerkschaften zu müssen, der alles bremst. Alle wichtigen Produzenten stehen hinter dem Text und wollen in die Debatte einbezogen werden. Das CNC hat sich gewissen Vorschlägen gegenüber sehr positiv geäußert. Der Kampf um die breite Unterstützung ist in weiten Zügen gewonnen, jetzt geht es um die Frage – was werden wir am Ende erreichen? Unsere Argumentationslinie zielt nicht auf Einzelmaßnahmen. Was uns interessiert, ist das Gesamtpaket, um quer durch alle Sparten etwas zu erreichen. Wir sagen heute den Kinobetreibern: Wenn sie Popcorn verkaufen wollen, dann wollen wir, dass es mit 5,5% besteuert wird. Von dem Moment an, wo das Kino als Anziehungspunkt benutzt wird, um andere Produkte zu verkaufen, gehen wir davon aus, dass man diese Begleitprodukte besteuern muss, was wiederum auf das Konto der Fördermittel fließt. Diese Forderung zu stellen ist ziemlich revolutionär und es gibt viele Leute, die das gar nicht gerne hören.

Die Mitglieder haben ein Jahr lang sehr viel Zeit und Energie geopfert, nicht unbedingt im eigenen Interesse?
Die Mitarbeit am „Club des 13“ kann durchaus wirtschaftliche Auswirkungen für jeden von uns haben. Aber der tatsächliche Kampf, der moralische und der des allgemeinen Interesses, ist gewonnen. Es ging uns darum, wieder Verbindungen zu schaffen, einen gemeinsamen Sinn zu finden, eine Gesprächsbasis, Dialogketten von Autor über Produzent zu Verwertern herzustellen. Das hat funktioniert. Was die französischen Filmemacher auszeichnet, ist, dass sie im politischen Kampf immer ganz vorne gestanden sind und ihre eigenen Interessen immer sehr gut verteidigt haben. Es gibt ein echtes politisches Bewusstsein unter ihnen. Das soll allen als Beispiel dienen.