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Die Unbekannte

| Jörg Schiffauer |

Psychologischer Thriller um eine junge Frau, die sich von den Dämonen ihrer Vergangenheit nicht befreien kann.

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Es ist ein Gefühl bohrender Unbehaglichkeit, das von der ersten Sequenz an den Zuschauer erfasst und sich wie schleichendes Gift verbreitet. Sicher, die Situation der Protagonistin Irena, einer jungen Frau aus der Ukraine, die auf sich allein gestellt versucht, in einer norditalienischen Stadt Fuß zu fassen, ist nicht angenehm. Doch bald wird deutlich, dass Irena viel mehr plagt, als die üblichen Probleme eines Menschen, der sich an einem fremden Ort zurechtzufinden versucht. Es sind zunächst nur bruchstückhafte Flashbacks, die andeuten, dass ihre Vergangenheit schreckliche Erinnerungen birgt, die Irena selbst bei alltäglichen Harmlosigkeiten überfallen und sie wie ein gehetztes Tier erscheinen lassen. Doch da ist auch noch Irenas andere Seite, denn hinter ihrem unterwürfigen Gehabe, mit dem sie sich den Job der Haushälterin bei einer gutbürgerlichen Familie verschafft, scheint ein kühl kalkulierter Plan zu stehen. Irena beginnt, sich bei der Familie regelrecht einzunisten, wird zum Kindermädchen und Vertrauten der kleinen Tochter, und nach und nach verdichtet sich der Verdacht, dass die Mitglieder dieser Familie irgendwie in Irenas leidvolle Vergangenheit verstrickt sind.

Giuseppe Tornatore, der sich durch Cinema Paradiso und Der Zauber Von Malena auch international einen Namen zu machen wusste, hat mit Die Unbekannte einen psychologischen Thriller inszeniert, der gerade wegen seiner leisen Töne zunächst eine ebenso unheimliche wie eindringliche Atmosphäre zu erzeugen versteht. Andeutungen und vage Spuren, die doch keine Klarheit zu bringen scheinen, dominieren den Plot, und latent vorhandene Unsicherheiten bezüglich der einzelnen Handlungsfäden machen neue, bedrohlichere Wendungen fast permanent plausibel. Mit Xenia Rappoport verfügt Tornatore zudem über eine Hauptdarstellerin, die es versteht, alle Facetten der geheimnisvollen Titelfigur, zwischen gedemütigtem Opfer und unerbittlicher Rächerin, nuanciert zu interpretieren. Dass der Plot vor dem Hintergrund brandaktueller Probleme wie Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schlimmerem angesiedelt ist, macht den bedrückenden Grundton noch glaubwürdiger. Umso größer ist dann jedoch die Enttäuschung über den totalen Einbruch der Inszenierung, die, angesichts der angeschnittenen sozialen Thematiken offenbar im Bemühen um Political Correctness, eine Auflösung anbietet, die in ihrer sentimentalen, plakativen Trivialität die Wirkung eines fein aufgebauten Films fast vollständig zerstört.