Lady Jane

Lady Jane

| Gerhard Midding |

Robert Guédiguian erweist dem Film noir seine eigenwillige Referenz.

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Es ist erstaunlich, dass Robert Guédiguian nicht schon längst einen Kriminalfilm gedreht hat. Die Hafenstadt Marseille, in deren Umgebung bei-nahe all seine Filme entstanden sind, ist seit jeher eine Hochburg des polar, im Kino wie in der Literatur. Eigentlich braucht es nicht viel Fantasie, um sich einen Film vorzustellen, in dem der unentwegte Altlinke die sozialen Spannungen des französischen Midi in Verbrechen und Gewalt münden lässt.

Nun hat er mit Lady Jane tatsächlich einen Krimi inszeniert. Das vertraute Milieu und die vertrauten Darstellergesichter seines bisherigen Werks vertragen sich auf den ersten Blick gut mit den klassischen Schauplätzen des polar: Bars, Nachtclubs, kleine Geschäfte, die nur der Tarnung dienen, menschenleere Hafenkais. Guédiguians zentrale Themen, das Fortdauern der Vergangenheit und der Verlust der alten Ideale, fügen sich gut in die Mythologie des Genres. Aber nach dem Sehen des Films versteht man sein Zögern.

In ihrer Jugend haben Muriel (Ariane Ascaride), François (Jean-Pierre Darroussin) und René (Gérard Meylan) die Reichen bestohlen, um die Armen in ihrem Viertel zu versorgen. Dann kam jedoch bei einem Raub ein Juwelier ums Leben. Seither haben sie sich aus den Augen und auch sonst viel verloren. Als Muriels Sohn entführt wird, bittet sie die alten Freunde um Hilfe. Doch das Lösegeld können sie auch gemeinsam nicht aufbringen, nun erweckt die Tragödie ihre kriminelle Energie neu; es ist so, als hätten sie die ganzen Jahre nur auf einen Moment wie diesen gewartet. Alle drei sind innerlich noch ganz in der heroischen Periode ihres Lebens verhaftet: Eigentlich hatten sie nur damals das Gefühl, wirklich zu leben, seither war ihre Existenz nur gestundete Zeit, eine vergebliche Buße. François würde seine Frau augenblicklich verlassen, wenn Muriel es noch wollte. Aber es gibt kein Zurück mehr, und die Gegenwart verspricht
keine Erlösung.

Guédiguian versucht, dem Genre zu geben, was des Genres ist. Einige Szenen, etwa die erste Geldübergabe auf dem ultramodernen Bahnhof von Aix, sind sehr kompetent und spannend inszeniert. Aber der Plot, die Beweggründe des Entführers sind allzu rasch durchschaubar. Die romantische Lakonie des Film noir reibt sich mit der Didaktik der Dialoge, von der der Regisseur auch diesmal nicht ganz lassen will: Lady Jane möchte eigentlich gar kein Kriminalfilm sein.