ray Filmmagazin » Österreich » Alltagsgeschichten und Todesfälle

Österreichische Filme – Alltagsgeschichten und Todesfälle

Alltagsgeschichten und Todesfälle

| Jörg Schiffauer |

Von der Euphorie nach Stefan Ruzowitzkys Oscar-Gewinn zu Jahresbeginn ist in der österreichischen Filmbranche nicht viel übrig geblieben. Zahlenmäßig gibt der heimische Film zwar ein kräftiges Lebenszeichen, doch qualitativ sind die Resultate höchst unterschiedlich – ein Überblick.

Werbung

In drei Tage bist du tot 2 / Echte Wiener
Publikumserfolge, fortgesetzt: einmal jugendlich, einmal eher geriatrisch.Überwältigende Kassenerfolge sind für heimische Produktionen bekanntermaßen ja keine Selbstverständlichkeiten. Mit mehr als 80.000 Zuschauern war In 3 Tagen bist du tot so etwas wie der Überraschungs-Hit 2006. Noch erstaunlicher war, dass ein österreichischer Film ausgerechnet im Horror-Genre, das üblicherweise von Hollywood in Beschlag genommen wird, einen für heimische Verhältnisse geradezu sensationellen Erfolg für sich verbuchen konnte.  Obwohl der Film dem Genre beileibe keine neuen Facetten abzuringen vermochte, gelang es offenbar schon dadurch, dass altbekannte Slashermovie-Muster anstatt in der typisch-uniformen US-amerikanischen Vorstadt an den Ufern des Traunsees ablaufen, Sympathie und Zulauf bei der vorwiegend jugendlichen Zielgruppe zu erzeugen. Ein solcher Erfolg schrie, ganz den internationalen Vorbildern und Marktgesetzen folgend, förmlich nach einem Sequel, das Regisseur Andreas Prochaska, bereits für Teil 1 verantwortlich, nun in Gestalt von In 3 Tagen bist du tot 2 auch abliefert. Darin wird Nina (Sabrina Reiter), Überlebende des Massakers an den Ufern des Traunsees und von den psychischen Spätfolgen immer noch gezeichnet, durch einen telefonischen Hilferuf ihrer Freundin Mona in das winterliche Tirol verschlagen. Doch die Suche wird, was nicht nur Kenner des Genres erahnen können, zu einem Horrortrip durch die tief verschneite Berglandschaft, die durch die mordgierigen Bewohner einer abgelegen Gastwirtschaft reichlich ungastlich wird – der Hindernislauf ums blanke Überleben, charakteristisches Element des Slasherfilms, kann also beginnen. Zumindest in einem Punkt hat In 3 Tagen bist du tot 2 den Anschluss an einen Trend des internationalen Horrorfilms der Gegenwart gesucht und gefunden: Schrecken wird nicht durch subtile Spannungsbögen oder überraschende Wendungen generiert, sondern durch brachiale Gewalt, die explizit und detailverliebt ins Bild gerückt wird. Das Blut muss dabei nicht nur reichlich spritzen, der menschliche Körper wird auf alle nur erdenkliche Arten strapaziert und deformiert, unerbittlich, bis hin zur endgültigen physischen Zerstörung. Fans derartiger Splatter-Orgien werden durchaus auf ihre Rechnung kommen, der Plot bietet ohnehin kaum mehr als einen dünnen Faden, an dem sich die diversen Schauerlichkeiten aneinander reihen. Darin unterscheidet sich In 3 Tagen bist du tot 2 nicht von diversen Hills have Eyes-Remakes der jüngsten Vergangenheit (und Sabrina Reiter leidet auch nicht schlechter als diverse US-amerikanische Scream-Queens), doch ob das Lokalkolorit  der Tiroler Berge allein ausreicht, um In 3 Tagen bist du tot 2 als Horrorfilm mit erkennbar regionalem Charakter durchgehen zu lassen, darf dann doch bezweifelt werden.

Ein Publikumserfolg ganz besonderer Art war seinerzeit auch die Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter. Nachdem die Zwistigkeiten der Familie Sackbauer auch nach mehr als 30 Jahren einen fast schon legendären Ruf genießen (was wohl auch ein bisschen auf jene Verklärung durch zeitliche Distanz zurückzuführen ist, die Werner Herzog in Mein liebster Feind so schön zu erklären wusste), hat sich der immer wieder gehegte Plan eines Comebacks nun doch verwirklichen lassen. Was keine wirklich gute Idee war, denn Echte Wiener lässt erahnen, was Fans des Boxsports durchmachen müssen, wenn große Fighter sich im fortgeschrittenen Alter zu einer Rückkehr in den Ring überreden lassen, um dort als Abklatsch früherer Größe nur noch eine Mischung aus Mitleid und Entsetzen über eine beschämende Leistung hervorzurufen verstehen. Ernst Hinterberger, geistiger Vater der Serie, war ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage,  die Geschichte seiner Charaktere auch nur einigermaßen sinnvoll fortzuschreiben, und so  bleibt es bei einer Aneinanderreihung isolierter, langatmiger Szenen, die anstelle eines auch nur halbwegs zusammenhängenden Plots nur Stückwerk bleiben. Kurt Ockermüllers konzept- und ideenlose Inszenierung, gegen die selbst General Custers Truppenführung bei der Schlacht am Little Bighorn wie eine strategische Meisterleistung erscheint, vermag dem Film auch nicht einen Hauch von Struktur oder Tempo zu verleihen.

Vom erdigen Charme des Prekariats, den die TV-Serie einst zu verströmen wusste, ist nichts mehr geblieben, Edmund Sackbauer wirkt hier vielmehr wie jener larmoyante, alkoholgetränkte Nachbar, von dem man nur mehr hofft, ihm nie am Gang über den Weg zu laufen. Die übrige Ensemble-Mitglieder versuchen sich mit unterschiedlichen Strategien aus ihrer misslichen Lage zu retten, etwa durch bewusstes Zurücknehmen hinter die Wahrnehmbarkeitsschwelle (Ingrid Burkhard) oder indem sie sich den Spaß machen, ihren Auftritt durch groteskes Outrieren von vornherein ad absurdum zu führen (Alexander Wächter). Allerdings steht die Frage im Raum, warum man Schauspieler überhaupt aus dem wohlverdienten oder durch Talentlosigkeit vorzeitig erzwungenen Ruhestand holen muss, um sie der Peinlichkeit einer solchen Produktion auszusetzen. Wer den Versuch unternehmen will, den Tiefpunkt heimischen Filmschaffens festzumachen, Echte Wiener bietet auf jeden Fall eine Einstiegsmarke, die zu unterbieten schwer fallen dürfte.

In drei Tagen bist du tot 2


Horror, Österreich 2008
Regie Andreas Prochaska
Drehbuch Agnes Pluch, Andreas Prochaska
Kamera David Slama
Schnitt Karin Hartusch
Musik Matthias Weber
Production Design Claus Rudolf Amler
KostümMax Wohlkönig
Mit Sabrina Reiter, Andreas Kiendl, Martin Loos,
Franziska Weisz, Julia Rosa Stöckl, Anna Rot
Verleih Lunafilm, 95 Minuten

Echte Wiener


Tragikomödie, Österreich 2008
Regie Kurt Ockermüller
DrehbuchErnst Hinterberger
Kamera Thomas Benesch
Schnitt Cordula Werner
Musik Hans Zinkl
Production Design Ernst Braunias
Kostüm Lenke Csövari
Mit Karl Merkatz, Ingrid Burkhard, Klaus Rott, Erika Deutinger,
Alexander Wächter, Manuel Rubey
Verleih Thim Film, 110 Minuten

 

 

Drei junge Burschen bringen sich mittels ins Auto geleiteten Auspuffgasen gemeinsam in den Tiroler Bergen um. Es gibt keinen Abschiedsbrief, und niemand kennt ein Motiv. Der Tiroler Dramatiker Händl Klaus begibt sich in seinem Debütfilm auf die minimalistische Suche nach dem Echo dieser unvorstellbaren Tat. Die Kamera folgt den Hinterbliebenen drei Jahreszeiten lang in ihrem Alltag, der im Wesentlichen gleich ausschaut wie immer, allerdings tritt die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und in den Beziehungen wie unter einem Vergrößerungsglas stärker hervor. Allen Personen gemeinsam ist, dass sie sich offensichtlich über das Motiv Gedanken machen, aber weder in der Familie noch im Dorfverband wird, außer in allgemeinen Trauerfloskeln, darüber gesprochen. Diese starke Prämisse wäre ein klassischer dramatischer Stoff, allerdings interessiert sich Händl Klaus im Gegensatz zu Atom Egoyan, der ein ähnliches Thema in The Sweet Hereafter behandelt, in keiner Weise für die Möglichkeit einer Entwicklung seiner Charaktere, von denen wir nichts erfahren, außer ihren Beruf und dass sie in irgendeiner Form mit dem Unglück verbunden waren.

Immer wieder wird gekocht und gegessen und belangloses Zeug geredet, einzig in der Liebesgeschichte zwischen zwei jüngeren Betroffenen entsteht ansatzweise so etwas wie eine Handlung mit einem zart angedeuteten dramaturgischen Bogen. Ansonsten dominieren die Auslassungen, die großen Gefühle werden von der in sehr unterschiedlicher Qualität agierenden Mischung aus Schauspielern und Laien niemals ausgespielt. Dieses Konzept der empathischen Alltagsbeobachtung wird beinhart bis zum Ende durchgezogen, wobei man durch die mangelnde Charakterisierung niemals Anteil am Schicksal der Figuren nimmt. Ähnlich wie in Hotel von Jessica Hausner wird ein Genre – in diesem Fall das klassische Drama – dekonstruiert. Das würde als Kurzfilm blendend funktionieren, verliert aber nach einer halben Stunde, wenn man die Konstruktion durchschaut hat, jeden Reiz. Sicherlich ist es im Kino eine seltene Qualität, wenn man den Blick einfach durch die blendend fotografierten Szenen schweifen lassen kann, an Nebensächlichkeiten hängen bleibt und sich nicht weiter für die Dialoge interessiert. Aber nach einer gewissen Zeit erlahmt die Aufmerksamkeit, und man beginnt an den eigenen Alltag zu denken. Dabei funktionieren viele genau beobachtete Szenen in sich sehr gut, es fehlt nur am Zusammenhalt. Ein wenig so, als hätte ein Professor an der Filmakademie folgende Aufgabe an den Jungregisseur gestellt: Du musst möglichst spät in die Szene einsteigen und möglichst früh wieder raus, aber das Dazwischen musst du möglichst lange ausdehnen.

März


Drama, Österreich 2008
Regie, Drehbuch Händl Klaus
Kamera Gerald Kerkletz
Schnitt Joana Scrinci
Ausstattung Julia Libiseller, Alexandra Bachlehner
Kostüm Julia Libiseller
Mit Theodor Schuler, David Schrottner, Isolde Ferlesch,
Florian Eisner, Julia Gschnitzer
Verleih Stadtkino Wien, 84 Minuten

 

 

Dass NDW-Parties die Tanzflächen füllen und Knight Rider nach wie vor einen Fixplatz bei den TV-Stationen hat, ist ein Faktum, seit die Dachmarke „Wickie, Slime und Paiper“ zur Metapher für die Nostalgiesehnsucht der Thirtysomething-Generation wurde. Die 30er – eine Art Fegefeuer zwischen jugendlichem Laissez-faire und den (scheinbar) geregelten Bahnen des Erwachsenenseins: Wer reist bei so viel Unsicherheit nicht gerne in eine verklärte Vergangenheit?

Regisseur Marko Doringer ist gerade 30 geworden und im Inneren mindestens so unaufgeräumt wie seine Wohnung. Mein halbes Leben ist die autobiografische Aufarbeitung seiner ganz persönlichen Lebenskrise. Die Handkamera auf der Schulter, versetzt Doringer den Zuschauer in seine Lage: Vor den Eltern muss er sich rechtfertigen, warum er keinem geregelten Job nachgeht und nicht schon längst verheiratet ist. Von seiner Ex muss er sich anhören, dass er einzelgängerisch und stur ist. Und sich selbst macht er Vorwürfe, nichts geschafft zu haben. Wie bei einer Therapiesitzung hören wir Marko zu und begleiten ihn zu seinen Freunden aus Jugendtagen. Was ist aus ihnen geworden? Haben sie alles erreicht, was sie sich vorgestellt haben oder haben sie zumindest eine Vorstellung davon, was sie erreichen wollen?

Da ist Katha, die Modeschöpferin. Ihre beruflichen Erfolge verstärken noch die Zerrissenheit, ob das Pendel Richtung Karriere oder Kind ausschlagen soll. Thomas ist schon einen Schritt weiter: Als Manager eines Konzerns mit Sitz in Bulgarien ist für ihn Work-Life-Balance nur zynische Leerformel: „Ich habe die Dinge, die Spaß machen, hinter mir gelassen.“ Martin dagegen hat als Sportreporter die Sicherheit des Jobs der Abenteuerlust geopfert. Seine „faule Form von Größenwahn“ lässt ihn irgendwann nach Südafrika ausbrechen.

Ob am Küchentisch oder im Atelier – die Unaufdringlichkeit, mit der Doringer seine Gesprächspartner befragt, beobachtet und ihnen zuhört, erzeugt Verständnis und Mitgefühl. Die mit dem Großen Diagonale-Preis 2008 ausgezeichnete Dokumentation besticht dabei nicht nur mit – bei dieser Methode geradezu – unglaublicher Natürlichkeit und Intimität; Mein halbes Leben bezieht seinen warmherzigen Charme vor allem aus der Offenheit seiner Protagonisten. Fast beiläufig offenbaren sich in deren Aussagen Wertewandel, verschärfte Rollenbilder und Generationskämpfe. Am Ende bleibt für den Regisseur und uns die Einsicht: Auch die anderen haben kein perfektes Leben. Sie tun nur so.

Mein halbes Leben


Dokumentarfilm, Österreich/Deutschland 2008 
Regie Drehbuch, Kamera Marko Doringer
Schnitt Marko Doringer, Martin Hoffmann
Musik Kristof Hahn, Viola Limpet – Les Hommes Sauvages
Verleih Polyfilm, 93 Minuten

 

 

Sie leben auf drei verschiedenen Kontinenten, in drei Städten, die unterschiedlicher nicht  sein könnten – dennoch teilen Adrian in Wien, Jeremy in New York und Aziz in Accra, Ghana ein und denselben Traum: Sie wollen in der NBA als Profi-Basketballspieler Karriere machen.

Der aus Rumänien stammende Adrian trainiert täglich verbissen in einem Streetball-Käfig am Margaretengürtel. Wenig beachtet von der Öffentlichkeit hängen er und seine Freunde – alle Jugendliche aus Immigrantenfamilien – hier ihrer Sehnsucht nach den fernen USA nach. Um ihrem Lebenstraum zumindest ein Stückchen näher zu kommen, tragen sie teure, für sie kaum finanzierbare, Sportschuhe, Sneakers,  und hören Hip Hop – wobei aber Adrian bezeichnenderweise – in Rückbesinnung auf seine Herkunft – die rumänische Band „B.U.G. Mafia“ US-amerikanischen Interpreten vorzieht.

Anders ist die Sache in Harlem, wo Basketball zur etablierten Kultur gehört. Der Sport wird dort gezielt eingesetzt, um die Jugendlichen weg von der Straße zu bringen. Jeremy und seine Freunde posen gerne wie ihre großen Vorbilder Michael Jordan und Allen Iverson, die millionenschwere Werbeverträge mit Sportartikelfirmen wie Nike abgeschlossen haben. Gleichzeitig üben sie aber auch Kritik an den großen Turnschuhherstellern, die sich der Images schwarzer Ghettokultur bedienen, diese höchst effizient zu Geld machen, während die dort lebenden Kids kaum eine Chance haben, dem Teufelskreis von Armut und Kriminalität zu entkommen.

Noch viel weiter von der Realität entfernt ist der Traum vom großen Glück jedoch für Aziz in Ghana. Ihm und seinen Freunden ist schon längst klar geworden, dass ihnen Basketball nicht helfen wird, wegzukommen. Seine Stimme klingt bitter, wenn er meint: „Nike sagt immer: ‚Just do it.’ Ich verstehe das nicht. Sie sollten das einmal erklären. Es ist nicht so einfach, Jordan zu sein.“ Trotzdem bleibt das (schwarze) Amerika der Fluchtpunkt ihrer Fantasien.

Die Autorin, Radio- und Filmemacherin Katharina Weingartner erzählt in ihrem dritten Dokumentarfilm Sneaker Stories in drei Episoden davon, dass Marken wie Nike längst keine Produkte mehr verkaufen, sondern global wirksame Images, die Superstar-Fantasien schüren. Dabei fällt auf, dass Adrian in Wien der Konsumschlacht rund um das Fetischobjekt und Statussymbol Sneaker relativ unreflektiert gegenübersteht, während Jeremy in New York City und Aziz in Accra gegenüber den großen Brands ein gebührendes Maß an Skepsis entwickelt haben. Während der Film mit der Wiener Episode ein eher beliebig scheinendes Bild von der globalisierten Basketballkultur vermittelt, wird er in den zwei darauf folgenden Episoden zunehmend politischer und damit auch aussagekräftiger.

Sneaker Stories


Dokumentarfilm, Österreich 2007
Regie, Drehbuch Katharina Weingartner
Kamera Wolfgang Lehner, Markus Wailand
Schnitt Alexandra Löwy
Verleih Pooldoks, 95 Minuten