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Palermo Shooting – Wim Wenders über Liebe Tod, Fotografie und seinen neuen Film

Von sichtbaren und unsichtbaren Bildern

| Sebastian Seidler :: Felix von Boehm |

Wim Wenders im Gespräch über Liebe, Tod und Fotografie und über seinen neuen Film Palermo Shooting“.

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Er sieht ein wenig müde aus, als er an diesem verregneten Berliner Nachmittag durch das beschlagene Fenster auf die graue Stadt schaut. Vielleicht sehnt er sich nach dem sonnigen Sizilien, wo er mit Campino (dem Frontmann der Punkrockgruppe Die Toten Hosen) seinen jüngsten Film Palermo Shooting gedreht hat. Oder nach Cannes, wo besagter Film im vergangenen Frühjahr im Wettbewerb lief. Palermo Shooting ist ein Film über einen Fotogra-fen und vor allem auch ein Film über Wim Wenders selbst. Schon in seinem Frühwerk Alice in den Städten beschäf-

tigte sich der Regisseur mit der Fotografie. In der Zwischenzeit ist Wenders nicht nur als preisgekrönter Filmemacher, sondern auch als Fotograf international bekannt. Dabei lehnt der erfahrene Regisseur und Produzent, der im Kino digitale Arbeitsweisen durchaus befürwortet, die digitale Fotografie kategorisch ab. Und so lässt er den Modefotografen Finn in Palermo Shooting vor der Photoshop-manipulierten Bilderwelt der Fashion Industry fliehen und schickt ihn auf Sinnsuche durch die Straßen von Palermo. Dort lernt Finn eine Restauratorin (Giovanna Mezzogiorno) kennen und lieben, versucht sein Leben neu zu ordnen, wird jedoch von einem mysteriösen Kapuzenmann (Dennis Hopper) verfolgt, bevor er schließlich zu sich selbst findet. Mit ray hat Wim Wenders in Berlin über das Wesen der Fotografie, über den Tod und die Liebe gesprochen. Und darüber, was in der Welt sichtbar sein muss und was besser unsichtbar bleiben sollte.

Herr Wenders, glauben Sie an Dinge, die man nicht sehen kann?
Die junge Restauratorin Flavia in Palermo Shooting sagt: „Ich glaube nur an Dinge, die man nicht sehen kann.“ Da spricht sie mir schon aus dem Herzen!

Aber Sie glauben auch an die Bilder.
Ja, weil Bilder liegen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Sie sind die Vermittler, Boten und Übersetzer zwischen den beiden Bereichen. Dabei sind sie mehr oder weniger erfolgreich. Manche Bilder machen das schlecht Sicht-bare noch unsichtbarer, andere lassen das, was sichtbar ist, schön sichtbar. Und wieder andere können das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren nicht einmal erreichen. Da gibt es ganz unterschiedliche Varianten.

In Palermo Shooting heißt es: „Dieses Bild muss noch nachbearbeitet werden, dann kann es ein Bild werden.“
Das ist natürlich recht zynisch, was der Finn da doziert. Aber es entspricht voll und ganz seinem Bildverständnis. Er versteht sich ja eher als ein Künstler, der an seinen Bildern wie ein Maler an seiner Leinwand so lange herumfeilt, bis sich das Bild aus vielen Elementen und unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt hat. Da ist er nicht weit von zeitgenössischen Fotografen wie Andreas Gursky entfernt. Es geht Finn im Gegensatz zu seiner Schülerin darum, ein Bild herzustellen, und nicht darum, ein Bild wiederzugeben.

Worin unterscheidet er sich da von Philip Winter, dem Fotografen aus Alice In Den Städten? Die beiden trennen 35 Jahre Fotografie- und Filmgeschichte.
So gesehen, war Alice in den Städten visionär. Der gute Philip Winter hatte damals einen Prototypen der SX-70 in der Hand. Damals war das schon ein kleines Wunder, dass aus dieser Polaroidkamera ein Bild vorne herauskam und nach zwei Minuten sichtbar wurde. Selbst das ist uns natürlich heute zu langsam. Wer will schon zwei Minuten auf ein Bild warten? Aber irgendwie war diese Polaroidkamera eine Art Zwitter zwischen der analogen Fotografie und unserer heutigen digitalen Technologie, auch wenn die Polaroids natürlich noch Unikate waren und man sie nicht so einfach manipulieren konnte. Aber trotzdem, Philip Winter sagt schon damals im Film: „Auf den Fotos ist ja nie drauf, was man gesehen hat.“ Und damit war er schon Prophet für die Bilder unserer Zeit.

Zu einem von Philips Fotos meint die kleine Alice: „Das ist schön – es ist so leer.“ Die Fotografien von Finn sind alles andere als leer, sie sind überfüllt.
Finn kommt eben aus unserer Zeit. Er lebt zu schnell. Aber immerhin merkt er noch, dass er sich aus seiner eigenen Gegenwart heraus beschleunigt hat und zu dieser Gegenwart keinen rechten Zugang mehr hat. Das gilt natürlich für viele Fotografen, die zwar heute noch genauso mit Fotoapparaten in der Landschaft stehen, wie andere Fotografen früher auch mit Fotoapparaten in der Landschaft standen, doch auf eine merkwürdige Art und Weise sind sie anders anwesend.

Ich glaube, die alten Fotoapparate mit dem Negativ haben den Fotografen fester an die Gegenwart und den Moment der Ablichtung gebunden. Weil er antizipiert hat, weil er nicht nachprüfen konnte und weil er nicht das vermeintlich beruhigende Wissen hatte, dass er im Nachhinein noch an dem Bild herumschrauben kann. Das war eben etwas Einzigartiges. Der Fotograf ist heute im Kopf schon halb bei der Postproduktion, an einem ganz anderen Ort. Der weiß schon im Moment der Ablichtung, dass er dem Wenders später am Computer den obersten Knopf zumachen wird. Insofern ist der Fotograf von heute gewissermaßen durch sein neues Handwerk dazu gezwungen, immer schon beim nächsten Schritt zu sein, immer schon eine Zukunft zu denken, die er doch nie erreichen wird, denn wenn sie eintritt, ist er ja schon wieder in Gedanken in der nächs-ten Zukunft. Die heutige Fotografie hat sich also von ihrer ursprünglichen Bestimmung, die Gegenwart festzuhalten und in ihr innezuhalten, weit entfernt.

Auch Finn scheut das Gegenwärtige an der Fotografie. Er sagt: „Da muss die Zeit mit ins Spiel kommen.“ Wäre Finn der bessere Filmemacher?
Ja, vielleicht. Seine Fotografien verfolgen ja sehr filmische Ansätze. Er will beispielsweise Tag und Nacht in einem Bild miteinander montieren. Auf den Straßen von Sao Paolo soll unten noch Nacht sein und oben schon die Sonne scheinen. Er versucht gewissermaßen, an die Grenzen der Fotografie zu stoßen und diese um jeden Preis zu erweitern.

Wie vergeht für Sie die Zeit beim Filmemachen und beim Fotografieren?
Beim Filmemachen vergeht die Zeit natürlich sehr eigenartig, denn man setzt ja in der realen Zeit die Zeit des Films und der Geschichte zusammen, indem man täglich – beim Drehen wie beim Schneiden – kleine Zeitbausteine herstellt und sie miteinander kombiniert. Das heißt die reale Zeit geht weiter, während man selbst in einer erdachten Zeit lebt. Während also beim Drehen zwei oder drei Monate vergehen, erlebt man selbst vor allem die zwei Stunden der Geschichte; auch dadurch, dass die Schau-spieler während dieser Drehzeit in ihrer eigenen Geschichte stehen bleiben – oder zumindest stehen bleiben sollten. Insofern ist Filmemachen schon auch ein Anhalten von Zeit. Merkwürdigerweise vielleicht sogar mehr als die heutige Fotografie.

Aber ist die Fotografie für Sie nicht immer noch Innehalten? Sie fotografieren immer noch analog.
Das stimmt. Wobei ich im Lauf der Zeit auch einige digitale Experimente gemacht habe, aber letzten Endes habe ich alle digitalen Kameras weggegeben. Weil ich einfach nicht wusste, was ich mit diesen Dingern machen soll, die die Zeit verschwinden lassen. Da habe ich mich nicht wohl in meiner Haut gefühlt. Mir ist immer deutlicher geworden, dass das große Privileg der analogen Fotografie in ihrer Gegenwärtigkeit liegt – nur jetzt und hier sein zu können. Das ist etwas, was wir immer weniger kennen. Wenn man eine halbe Stunde warten muss, damit sich das Licht etwas ändert, dann wird der Moment der Fotografie am Ende umso kostbarer.

Über den Maler Edward Hopper haben Sie geschrieben, er male gegen die Fotografie an. Fotografieren Sie gegen den Film an?
Ich fotografiere höchstens insofern gegen Film an, als Film ja etwas ganz Exklusives geworden ist. Man braucht heute an die drei Jahre, um einen Film zu realisieren. Und so kann man natürlich dadurch, dass man einen bestimmten Film macht, zwei oder drei andere nicht machen, obwohl man sich hierzu vielleicht auch gute Gedanken gemacht hat und Lust hätte, sie zu realisieren. Das heißt also, dass das Filmemachen – erst Recht mit zunehmendem Alter – auch aus Filme-Nichtmachen besteht. Das Fotografieren ist mir da ein sehr lieber Trost für die nicht gemachten Filme. Weil das Fotografieren weder die Vorgeschichte noch die Nachgeschichte braucht, sondern nur den Moment. Und es ist ohne Konsequenzen.

Wie auch der Tod ohne Konsequenzen ist. In Palermo Shooting lassen Sie Finn dem Tod begegnen. Was hat der Tod mit der Fotografie gemeinsam?
Was hat er nicht mit der Fotografie gemeinsam? Schauen Sie doch mal in diesen Raum. Hier hängen sechs Fotos von einer Berliner Fotografin. Die Menschen darauf sind alle verschwunden. Das analoge Fotografieren war per se eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Das digitale Foto-grafieren hat einen anderen Bezug zur Vergänglichkeit. Indem es nämlich Vergänglichkeit auch unkenntlich machen kann.

Hat das Filmemachen weniger mit dem Tod zu tun?
Ja, das denke ich. Filme bauen schon sehr viel stärker eine eigene Welt mit einer eigenen Zeit auf. Nicht nur, dass sie uns überleben, sondern auch dass die Rollen ihre Darsteller überleben. Das ist merkwürdig. Mir ist das besonders bewusst geworden, als ich in Australien den Aborigines, mit denen wir bis Bis ans Ende der Welt gedreht hatten, den fertigen Film zeigen wollte. Da sagte mir ein Freund, das ginge auf keinen Fall, da einige Älteste, die auch im Film zu sehen waren, in der Zwischenzeit gestorben seien. Ihr Abbild darf ihren Tod nicht überdauern. So wurde mir auf einmal klar, wie das mit Abbildern ist und dass natürlich auch Filme dazu gehören.

In ihrem Film ist es anders als bei den Aborigines. Der Tod wünscht sich von Finn, den Menschen gezeigt zu werden.
Ja, vor allem wünscht er sich, den Menschen anders gezeigt zu werden. Er wünscht sich, nicht als böser Sensenmann und Beender verkannt zu werden, sondern als einer gezeigt zu werden, der einen Übergang herstellt.

Finns Begegnung mit dem Tod setzt einen Änderungsprozess in Gang. Inwieweit ändert sich sein Blick auf die Dinge?
Am Ende des Films ist Finn endlich in der Gegenwart angekommen. Da vergeht die Zeit dann auf einmal wie früher, als er noch ein Kind war. Nämlich ganz langsam.

Während seiner Spaziergänge durch Palermo versucht Finn, verschiedene Situationen fotografisch festzuhalten, die sich ihm aber entziehen: Ein Schaf, zwei Karten spielende Männer, die junge Künstlerin Flavia. Von welcher Bedeutung sind diese nicht gemachten Fotos?
Es gibt im Gehirn eines jeden Fotografen mindestens so viele nicht gemachte Bilder wie gemachte. Und es kommt natürlich immer wieder vor, dass man auf einmal das Bild sieht, worauf man gewartet hat und dann hat man die Sekunde verpasst oder wie ein Idiot keine Kamera dabei. Und so gibt es im Leben eines Fotografen ein paar wichtige Bilder, die nie gemacht wurden. Das geht Finn natürlich auch so. Die beiden kartenspielenden Männer und das Schaf hätte er gerne fotografiert. Aber viele Bilder, die man nicht macht, sind auch deswegen gut, weil man sie nicht macht. Und nur weil es die gibt, kann es dann auch hin und wieder ein gutes Bild geben, was man macht.