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Filmverlag der Autoren – Teure Freunde

Teure Freunde

| Bettina Schuler |

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Die Siebziger Jahre galten als die Blütezeit des deutschen Films. Eine treibende Kraft, die dem deutschen Kino zum Sprung in den internationalen Markt verhalf, war der Filmverlag der Autoren, der 1971 in München gegründet wurde und zu dessen prominentesten Mitgliedern Regiegrößen wie Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders zählten. Ähnlich wie der Frankfurter Verlag der Autoren wollten die Gründungsmitglieder alle Distributions- und Produktionsprozesse unter dem Dach des Filmverlages vereinen, um für die Realisation ihrer Projekte nicht mehr an die großen Verleihe und Produktionsfirmen gebunden zu sein. 1977 stieg der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein in den Filmverlag der Autoren ein und rettete ihn damit vor dem finanziellen Ruin. Doch trotz des Versuchs, den Filmverlag durch eine kommerziellere Ausrichtung vor dem Aus zu retten, wurde er 1999 schlussendlich von der Kinowelt übernommen. Jetzt ist dort eine opulente 50-DVD-Box (mit begleitendem Pracht-Bildband) erschienen, auf der man nicht nur die wichtigsten Filme dieser Epoche, sondern auch einige längst vergessene Schätze wieder entdecken kann.

Bettina Schuler sprach anlässlich der DVD-Veröffentlichung mit Hark Bohm, einem der Gründungsmitglieder und Regisseur von Schlüsselwerken wie Nordsee ist Mordsee“ (1976) und Moritz, Lieber Moritz“ (1978) über die Entstehung, die Bedeutung und das Scheitern des Filmverlages der Autoren.

Vor fast 40 Jahren wurde der Filmverlag der Autoren gegründet: Wie blicken Sie heute auf diese Gründungszeit zurück?
Ich glaube, der Filmverlag der Autoren entstand damals aus einer rein materiellen Notwendigkeit heraus, weil es für die Filmfreaks, die sich damals in München versammelten, weder Produzenten noch Produktionsmittel gab, um ihre Projekte zu realisieren. Die Grundidee war, dass, wenn jeder von uns 20.000 DM organisiert und in eine Genossenschaft einbringt, diese Genossenschaft stark genug sein kann, um sowohl Bürgschaften für Kredite als auch für mögliche Fördergelder zur Verfügung zu stellen. Dass daraus ein wesentliches Kapitel deutschsprachiger Filmgeschichte entstehen würde, hat zu dieser Zeit keiner geahnt.

Der Filmverlag war ihrer Ansicht nach also keine künstlerische Einheit, sondern eine Zweckgemeinschaft von Künstlern, die ihnen verhalf, eigene Projekte zu realisieren?
Absolut. Es war anders als bei großen Künstlerzusammen-schlüssen wie der „Brücke“, in denen Künstler sich zusammenfinden, um gemeinsam über ihre Werke zu diskutieren und aus deren gemeinsamer Arbeit dann eine neue Schule entsteht. Wir haben nie zusammen gesessen und Filme geschaut und miteinander über unsere Filme geredet oder sie gar gemeinsam geschnitten. Fassbinder, als einer der renommiertesten Vertreter des Filmverlages, hatte in seinen Themen und seiner Ästhetik nichts mit Wim Wenders zu tun, und Wim Wenders hatte in seiner Art, Filme zu machen, wiederum nichts mit Werner Herzog zu tun. Aber natürlich waren einige Leute von uns auch miteinander befreundet, so wie Hans W. Geißendörfer und ich. Aber auch diese Freundschaften haben sich nicht auf die Erzählthematiken und Ästhetik der Filme ausgewirkt.

Wie kam es eigentlich, dass sich ausgerechnet im biederen München eine solche Filmavantgarde-Gruppe bildete?
München war – wahrscheinlich noch in der Tradition der Vor-Nazi-Zeit, denken Sie nur an den „Blauen Reiter“ oder an Lion Feuchtwanger – das Zentrum der deutschen Kunst und somit auch des Films. Das hat nachgelassen, als die Mauer fiel und Berlin wieder frei zugänglich wurde, aber zur Gründungszeit des Filmverlages war Schwabing das Zentrum der Bohemiens und Künstler.

Manche Regisseure des Filmverlages gelangten schnell zu internationalem Ruhm, bei anderen blieb der große internationale Durchbruch aus. In der Dokumentation Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher sagt Hans W. Geißendörfer, dass er sich oft gefragt habe, warum die anderen mehr Erfolg hatten als er. Woran könnte es gelegen haben, dass manche Filme eine größere Durchschlagskraft besaßen?
Für mich sind Filme Kunstwerke, und Kunstwerke stoßen nun mal immer auf einen bestimmen Zeitgeist und eine Feuilletonpräferenz, mit der einige dieser Filme einfach ganz besonders gut korrespondiert haben. Der romantische Psycho-Expressionismus Fassbinders, der Abenteuer-Expressionismus Werner Herzogs oder die verinnerlichte Romantik eines Wim Wenders entsprachen möglicherweise einfach mehr den Erwartungen der damaligen Bildungselite. Wohingegen Filme wie Geißendörfers Die Gläserne Zelle und Ediths Tagebuch wohl weniger dem damaligen Zeitgeist entsprachen. Eine andere Erklärung habe auch ich nicht. Die Bewertung von Kunst ist ja auch immer etwas unheimlich Schwieriges, die sich letztendlich weitgehend der rationalen Analyse entzieht.

Mit dem Einstieg von Rudolf Augstein 1977 und der damit verbundenen Kommerzialisierung, um den Filmverlag am Leben zu erhalten, kam es zum Disput zwischen den Gründungsmitgliedern …
Das ist auf meine Initiative hin geschehen. Der Filmverlag der Autoren war damals schon längst keine Genossenschaft mehr, sondern ein Filmverleih, der Arthouse-Filme vertrieb und durch dieses spezielle Verleihprogramm auch nie auf stabilen wirtschaftlichen Füßen stand und stehen konnte. Er war schlicht und ergreifend pleite, und es stellte sich nur noch die Frage, ob wir Konkurs anmelden oder ob jemand von uns, wie man heute sagen würde, einen Investor findet. Und ich kannte eben einen geeigneten Investor, Rudolf Augstein, der ein Kinofreak war und der immer sagte: „Hark ist mein teuerster Freund, er hat mich 10 Millionen gekostet.“ Später wurde dann jedoch von denjenigen, die selbst keine Filme mehr produziert haben, gerne kolportiert, dass wir durch den Einstieg von Augstein die bedeutendste Filmkünstlergruppe des Nachkriegsdeutschlands zerstört hätten, was absoluter Quatsch ist. Keiner von denen, die diese Legende versuchten zu produzieren, hat nach dem Filmverlag irgendeinen Kinofilm gemacht oder in den Verleih gebracht.

Um auf die neue Filmedition zu kommen: Bei welchen Filmen freuen Sie sich ganz besonders, dass es sie endlich wieder auf DVD gibt?
Bei Adele Spitzeder von Peer Raben zum Beispiel, den die meisten ja nur als Komponisten kennen und dessen Film sicher selbst die wenigsten Cineasten gesehen haben. Aber auch über Ein grosser graublauer Vogel von Thomas Schamoni, ohne dessen treibende Kraft der Filmverlag ja gar nicht entstanden wäre und dessen Film für uns damals eine große Rolle spielte. Aber neben den cineastischen Aspekten freue ich mich natürlich auch auf die Erinnerungen, welche die Filme in mir wachrufen, sowohl positive als auch negative.

Ihr neuestes Projekt ist die Verfilmung des Bestsellers „Kalteis“ von Andrea Maria Schenkel. Wie übersetzt man diese sehr spezielle Art des Erzählens, die sehr literarisch ist und sich sehr schwer in ein Drehbuch übersetzen lässt, in Bilder?
Mit dieser Bemerkung treffen Sie mitten ins Herz. Ich habe ein Jahr gebraucht, um aus dem Roman ein Drehbuch zu machen. Aber seitdem mir mein unglaublich kritischer Produzent bei der Constantin, Herman Weigel, gesagt hat, dass sich mein Drehbuch gut lese, habe ich ein gutes Gefühl dabei. Für Sie mag sich das wie ein sehr simples und lakonisches Urteil anhören, aber wer Weigel kennt, weiß, was das für ein Lob ist. Bernd Eichinger hat mal gesagt, Weigel sei wie Medizin: bitter, aber notwendig. Das Reizvolle an Kalteis ist ja, dass in dem Roman zwei Geschichten parallel erzählt werden, die der lebenslustigen Kathie aus Wolznach und die des Frauenmörders Josef Kalteis, dessen Opfer sie wird. Es ist wie Schenkels erster Roman eine Geschichte, die auf einem wahren Kriminalfall beruht, dem von Johann Eichhorn, der 1939 wegen vielfacher Vergewaltigung und Mord hingerichtet wurde. Andrea Maria Schenkel nimmt dabei in ihrem Buch die Rolle der Beobachterin ein, eine Haltung, die nicht erlaubt, was für ein Filmdrama unerlässlich ist: eine Identifikationsfigur zu schaffen. Der Filmzuschauer, der mit anderen in der dunklen Höhle sitzt und vom Blick auf die Leinwand überwältigt wird, braucht eine Identifikationsperson, die ihn mit auf die Reise nimmt, und die ihn sich die ständig erneuernde Frage stellen lässt: Und was geschieht jetzt? Deshalb habe ich mich auch entschlossen, mich nochmals komplett in den Fall einzuarbeiten. Ich bin nicht nur mehrmals nach Wolznach gefahren, sondern habe auch alle Polizei- und Staatsanwaltsakten noch einmal gelesen, um einfach den wahren Kern der Geschichte und der Charaktere zu begreifen. Und erst dann, als ich den ganzen Stoff in mich aufgesogen hatte, habe ich mir erlaubt, fiktional zu arbeiten. Im nächsten Jahr werden wir anfangen zu drehen.