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Taking Woodstock – Ang Lee im Gespräch

Ich hatte diesen Film wirklich nötig

| Thomas Abeltshauser |

Ang Lee über den Spirit der WoodstockÄra, seine persönlichen Erinnerungen an diese Zeit und über seine neu entdeckte Lust an Komödien.

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Nach den tragischen Liebesdramen Brokeback Mountain und Lust, Caution ist Ihr neuer Film Taking Woodstock fast verstörend optimistisch. Brauchten Sie eine leichte Komödie, um sich zu erholen?
Vor allem nach Lust, Caution. Wenn Sie sich erinnern, waren meine letzten sechs Filme alle Tragödien. Aber Lust, Caution war sicherlich die schwerste. Das war eine sehr erschreckende Erfahrung für mich. Ich musste sehr tief in mein Unterbewusstes abtauchen und einen Teil von mir aufgeben. Klingt das merkwürdig für Sie? Ich musste einfach von diesem Zynismus wegkommen und lernen, etwas entspannter an Dinge heranzugehen.

Der Film wirkt in der derzeitigen Krise mit ihren finanziellen und ökologischen Problemen fast wie ein Antidepressivum.
Stimmt, die Rebellion gegen das Establishment hat etwas Nostalgisches, den Leuten sind da heute mehr Grenzen gesetzt. Aber ist es deswegen ein Feelgood movie? Keine Ahnung. Ich fühlte mich gut dabei, als ich ihn drehte, aber ich kann nicht behaupten, dass ich einen Film gemacht habe, damit andere eine schöne Zeit haben. Und ich habe den Film vor der Krise gemacht, er hat damit nichts zu tun. Ich hatte ihn wirklich nötig und er hat mir geholfen. Aber er ist ja nicht naiv-optimistisch, ohne Sinn für die Wirklichkeit, sondern hat ja durchaus seine Ecken und Kanten. Aber es geht schon darum, der Unschuld dieser Ära zu huldigen. Es ist ein Film über Liebe, Freiheit und Optimismus, und diesen Geist spürt man hoffentlich auch.

Was ist Ihre persönliche Verbindung zu Woodstock und zur Hippiekultur?
Ich war damals jung und habe nur verfolgt, was in den Mainstream- Medien darüber berichtet wurde, was sie uns glauben machen wollten. Es wurde dort fast als Witz verkauft, als ein hipper Lebensstil. Erst als ich mich für den Film damit auseinandersetzte, habe ich festgestellt, dass das eine falsche Wahrnehmung war. Ich wuchs in einem konservativen, engstirnigen Umfeld auf, Taiwan war damals im Zentrum des Kalten Krieges, die amerikanischen Alliierten waren unsere Beschützer und Anführer der freien Welt. Als dann nur noch von Freiheit die Rede war, waren die Leute in Taiwan davon ziemlich beunruhigt.

Hat man in Taiwan das Woodstock-Festival überhaupt wahrgenommen?
Ja, sicher. Und wahrscheinlich haben ein paar richtig coole Leute auch kapiert, was der Kern davon ist. Aber ich gehörte zur Masse der Unwissenden. Wir sahen nur einen Haufen Langhaariger, die auf ihren Klampfen rumzupften und wahnsinnig anders aussahen.

Gab es in Taiwan damals keine Hippies?
Nein! Wenn deine Haare nur übers Ohr hingen, hat dich die Polizei verhaftet und dir die Haare geschnitten. Die Polizeiwagen damals waren buchstäblich Friseurläden auf Rädern.

Der Film basiert auf den Memoiren von Elliot Tiber, dem Mitorganisator des Festivals. Wie nah an der Realität ist Taking Woodstock?
Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Hauptquelle ist Elliots Buch, aber wer weiß schon, ob das alles stimmt. Es gibt im Grunde so viele Versionen von Woodstock wie es Leute gibt, die dabei waren. Ich habe mich an Eliots Version gehalten, auch wenn er ein sehr kreativer Schreiber ist und vieles in seinem Kopf wahrscheinlich größer erscheint als es tatsächlich war, aber ich habe ihn nie gefragt oder gar herausgefordert.

Verfilmen Sie historische Stoffe wie diesen, weil Sie bereits etwas über eine Ära wissen und das erzählen wollen oder weil Sie durch das Filmemachen mehr herausfinden und verstehen wollen?
Auf jeden Fall Letzteres. Sicher weiß ich vorher schon ein bisschen etwas, aber meistens stellt es sich bei der Recherche als falsch heraus. Und an einem bestimmten Punkt bekomme ich es dann mit der Angst zu tun. Bei The Ice Storm zum Beispiel stellte ich bei der Vorbereitung bald fest, dass sich niemand an das Jahr 1973 erinnert. Jeder konnte mir was über 1972 und 1974 erzählen, aber das Jahr dazwischen war wie ein schwarzes Loch. Und ich als Fremder in diesem Land fühlte mich wie ein Blinder auf einem Minenfeld.

Welchen Einfluss hatte Michael Wadleighs legendäre Dokumentation Woodstock?
Ich kann mich ihr nicht entziehen, das war von Anfang an klar. Die Art, wie dort Splitscreens verwendet wurden, ist in die Filmgeschichte eingegangen. Das ist das visuelle Erbe dieser Ära, und dem wollte ich gerecht werden. Anfangs hatte ich sogar vor, Originalmaterial zu verwenden, habe aber dann gemerkt, dass unsere Aufnahmen eine ganz ähnliche Stimmung hatten und besser zum Rest passten.

Spüren Sie bei jungen Leuten heute eine vergleichbare Stimmung, einen Idealismus wie damals?
Die jungen Leute heute sind sehr viel nüchterner, pragmatischer, zielgerichteter, weniger träumerisch. Sie waren es auch, die Obama möglich gemacht haben. Das ist ihr definierender Moment, so wie es damals Woodstock war.

Haben Sie nach dieser „leichten“ Erfahrung mehr Lust auf Komödien bekommen?
Auf jeden Fall. Es war eine sehr schöne, aber auch enervierende Erfahrung. Wenn in einer Komödie keiner lacht, hast du versagt. Bei einem anspruchsvollen Drama kann man immer behaupten, das Publikum hat es halt nicht geschnallt. Ich würde gerne einmal eine richtig platte Komödie ohne jede Bedeutung machen. Das muss die höchste Kunst sein.