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Dossier Viennale – Francis Ford Coppola im Interview

„Ich habe immer ein wenig neidisch auf Europa geblickt“

| Thomas Abeltshauser |

Francis Coppola über die Geldgier im US-amerikanischen Filmgeschäft, die Bedeutung von Familie und den schlechten Einfluss des Fernsehens.

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Warum haben Sie Ihren neuen Film Tetro in Buenos Aires gedreht?
Es hat mit der Art von Unabhängigkeit in Bezug auf das Filmgeschäft zu tun. Ich bin ein Italoamerikaner mit zwei Pässen und zwei Identitäten und ich habe immer ein wenig neidisch auf Europa geblickt, wo Kultur staatlich gefördert wird. In Amerika werden Filme von großen Konzernen produziert und diese wollen keine persönlichen Filme, sie wollen kommerzielle Filme. Um mit meinen persönlichen Filmen überleben zu können, muss ich sie außerhalb der USA machen, weil es dort viel zu teuer wäre. Ein paar Bedingungen müssen stimmen, um irgendwo anders einen Film drehen und für ein Jahr dort leben zu können. Man braucht natürlich Sauerstoff und Wasser, gutes Essen und guten Wein, aber man braucht auch eine kulturelle Tradition und gut ausgebildete Filmleute. Denn ich bringe zwar Equipment mit, aber ich reise nie mit einer Crew, sondern stelle sie mit Leuten vor Ort zusammen. So muss ich keine Flugtickets und keine Hotels bezahlen. In Argentinien habe ich all das vorgefunden.

Wie würden Sie Tetro beschreiben?
Tetro ist ein sehr persönlicher Film, den ich selbst geschrieben habe und der von Ereignissen in meinem eigenen Leben inspiriert ist und den ich gemacht habe, um sie besser zu verstehen. Mich beschäftigte, warum mich bestimmte Momente und bestimmte Menschen in meinem Leben emotional so bewegten. Und der Film gab mir eine Antwort darauf.

Was genau verstehen Sie unter einem persönlichen Film?
Bei dem ich als Regisseur etwas lernen kann, wo selbst das Drehbuch ein großes Fragezeichen ist, und ich erst, nachdem der Film zu Ende ist, die Antwort darauf habe. Ich mache keine Filme, um damit Geld zu verdienen, deswegen muss ich keine Rache- oder Superheldengeschichten erzählen. Die Studios wollen Geld verdienen und deswegen scheuen sie sich vor Filmen, die noch keine Antwort parat haben. Es macht für sie keinen Sinn, ein Produkt zu entwickeln, von dem sie gar nicht wissen, wofür es gut ist. Das Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz ist ein sehr problematisches.

Wenn Sie sagen, Tetro sei ein sehr persönlicher Film, spiegelt er dann auch ihre eigene Familiengeschichte wider, das Verhältnis zu Ihrem Vater oder Ihre Rolle als Übervater für ihre ebenfalls Filme machenden Kinder Roman und Sophia?
All das. Ich wollte einen emotionalen Film machen, also nutze ich all diese Gefühle aus meinem realen Leben und verwandle sie in Fiktion. Nichts in diesem Film ist wirklich passiert, aber alles ist echt.

Sie erzählen nach The Godfather und Rumblefish auch in Tetro von einer Hassliebe zwischen Brüdern. Woher kommt dieses Interesse an familiären Konstellationen in Ihren Filmen?
Zu lieben lernen wir zuerst in der Familie. Unsere erste Liebe ist unsere Mutter, weil wir Säugetiere sind und sie uns hält und nährt. Und wir lieben unseren Vater, weil er uns das Schwimmen beibringt und mit uns spielt, und dann unsere Geschwister. Liebe, diese überwältigendste aller Emotion, entsteht in unseren Familien. Wenn mich jemand fragt, warum ich mich für Familien interessiere, sage ich: weil es jeder tut. Das ist so ähnlich, wie wenn mich jemand fragt, warum ich den Film in Schwarzweiß gedreht habe: Weil es eine der Arten ist, einen Film zu drehen. Wer sagt, dass ich es nicht kann?! Die großartigsten Filme wurden in Schwarzweiß gedreht. Es ist eine besondere Ästhetik, eine besondere Art der Fotografie. Warum gibt es heute so wenig? Weil die Branche vom Fernsehen ko-finanziert wird und Schwarzweiß verbietet. Sobald sich etwas verkaufen lassen muss, wird es durchschnittlich. Es muss den so genannten „Normalverbraucher“ ansprechen. Es gibt aus rein kommerziellen Gründen so wenige Schwarzweißfilme. Aber ich mache keine Filme aus kommerziellen Gründen.

Warum hat es drei Jahrzehnte gedauert, bis Sie wieder selbst ein Drehbuch geschrieben haben?
Ich habe damals The Conversation geschrieben und bin damit bei den Studios hausieren gegangen, aber niemand wollte mir Geld dafür geben. Stattdessen bot man mir einen Gangsterfilm mit dem Titel The Godfather an, aus dem ein Riesenerfolg wurde, und meine Laufbahn als Filmemacher entwickelte sich ab dem Zeitpunkt völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Alle denken immer, ich hätte mit all meinen Filmen immensen Erfolg, aber das stimmt nicht. Apocalypse Now war ein Desaster! Ich habe den Film nur in Cannes gezeigt, weil jeder vorher schon schrieb, wie grauenhaft er ist, da dachte ich, schlimmer kann’s nicht werden. Die Gerüchte über meine Erfolge sind furchtbar übertrieben. Meine Filme wurden erst 30 Jahre später erfolgreich. Wenn man kein Mittelmaß abliefert, muss man damit rechnen, dass die Filme von manchen Leuten als gescheitert bezeichnet werden. Jetzt muss ich also 30 Jahre warten, bis die Leute feststellen, was für ein interessanter Film Youth without Youth in Wirklichkeit ist. Sollte ich 120 Jahre alt werden, wird man mich fragen, warum mein neuer Film nicht so erfolgreich ist wie Youth without Youth und Tetro.

Das klingt ziemlich verbittert. Sehen Sie sich als von der eigenen Branche verkannt?
Die Filmbranche ist das Gegenteil des Kinos, sie kontrolliert es nur, um damit Geld zu verdienen. Sie wollen Filme in 4.000 Kinos gleichzeitig starten für ein Publikum, das seit mindestens zwei Generationen vom Fernsehen verblödet ist und keine Ahnung mehr von Literatur, Philosophie und Malerei hat. Wenn man möglichst viele Menschen erreichen will, wird das Ergebnis ein mediokrer Film sein. Und nicht nur das, es wird der gleiche Film sein, immer und immer wieder. Filme, die alle nach denselben Kriterien funktionieren, von Superhelden und Rache erzählen.

Ihre Karriere verläuft im Grunde gegensätzlich zur üblichen: Sie fingen als etablierter Regisseur an, der große, erfolgreiche Studiofilme drehte, und jetzt produzieren Sie kleine, unabhängige Filme.
Ja, weil ich erst heute die Freiheit habe, zu tun, was ich will. Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig außer mir selbst, weil ich meine Filme selbst finanziere.

Sie haben Tetro wie zuvor schon Youth without Youth mit relativ kleinem Budget durch die Gewinne aus Ihrem Weingut finanziert. Sind Sie überhaupt nur Winzer geworden, um unabhängig zu sein von den Studios und Ihre Filme so realisieren zu können, wie Sie es sich vorstellen?
Nein, nein. Ich habe nie etwas gemacht, um damit Geld zu verdienen. Ich habe immer getan, was ich liebte. Anders funktioniert es nicht. Manchmal war es erfolgreich und ich konnte davon leben, aber das war nie die Motivation.

Auf welchen Ihrer Filme sind Sie am meisten stolz?
Filme sind wie Kinder, ich liebe sie alle. Aber am meisten liebt man die Kinder, denen am meisten wehgetan wurde, The Conversation zum Beispiel. Und am allerliebsten ist auch mir immer der nächste Film.