ray Filmmagazin » Kunstfilm » Changing Channels – TV as a Fireplace
Changing Channels

Changing Channels

TV as a Fireplace

| Helene Sorgner |

Das MUMOK Wien zeigt die unbekannten Seiten eines vertrauten Massenmediums. Mit Arbeiten aus drei Jahrzehnten präsentiert die Ausstellung „Changing Channels“ eine umfassende Revision des historischen Spannungsverhältnisses von Kunst und Fernsehen.

Werbung

„It’s just company.“ Manchen ersetzt der Fernseher den Lebenspartner, andere verteufeln ihn als Manipulationsinstrument und Konsumobjekt schlechthin. Das Fernsehgerät, ab den Sechziger Jahren als Symbol privaten Wohlstands aus westlichen Haushalten nicht mehr wegzudenken, wird im digitalen Zeitalter zusehends von interaktiven Medien verdrängt. „Changing Channels“ zeigt Werke, die sich in der Glanzzeit des Fernsehens zwischen 1963 und 1987 teils kritisch, teils kreativ mit dem populären Medium auseinandersetzten.

Bilderflut

Präsentiert werden soll in der Ausstellung nicht die lineare Rekonstruktion künstlerischer Arbeit im und mit dem Fernsehen, sondern eine möglichst differenzierte Zusammenstellung unterschiedlichster Themen und Praktiken. Formal nach vier Themenbereichen geordnet, kreisen die Exponate vor allem um die Rolle des Publikums, die Möglichkeiten künstlerischer Interventionen als Störfaktor oder Bereicherung des regulären Fernsehprogramms sowie die Inszenierung von Künstlerpersönlichkeiten als Auslotung der Grenze zwischen Privatem und medialer Öffentlichkeit.

Dank ihrer Konzeption versetzt „Changing Channels“ ähnlich in Trance wie das Fernsehen selbst: Den Besucher, der aus den nüchternen Fluren des Museums in eine der Hallen tritt, umfängt eine Flut an Geräuschen und Bildern aus im Raum verteilten Fernsehgeräten, über deren Monitore Filme und Videos aller Art  zwischen 20 Sekunden und 70 Minuten Länge flimmern. Davor platzierte Sofa-Garnituren simulieren die Wohnzimmersituation oder gehören bei manchen Exponaten zum Installationskonzept, überall sonst stehen Barhocker bereit. Wer sich bei dieser Fülle an Bildmaterial mehr als einen Überblick verschaffen möchte, sollte ausreichend Zeit einplanen oder von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Ausstellung mit demselben Ticket ein zweites Mal zu besuchen.

Land Art im Wohnzimmer

Als Einstieg auf der obersten Ausstellungsebene wurde Gerry Schums Fernsehgalerie gewählt, einer der frühesten Versuche, Fernsehen als Medium zeitgenössischer Kunst ohne die sozialen und räumlichen Grenzen herkömmlicher Ausstellungsorte zu etablieren. 1969 realisierte Schum sein erstes Projekt „Land Art“, das unkommentiert neun in Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern produzierte Filme der neuen Kunstrichtung zeigte. Schums zweite Fernsehgalerie „Identifications“, die in insgesamt 20 kurzen Filmen den jeweiligen Künstler (u.a. Joseph Beuys, Ger van Elk, Lawrence Weiner) bei Interaktionen mit Objekten oder eigenen Werken zeigte, wurde 1970 bereits im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet. 1969 gelang Schum mit der unkommentierten und unangekündigten Platzierung von Jan Dibbets’ „TV as a Fireplace“ auf WDR 3 eine bis heute nachgeahmte Intervention: Acht Tage lang ging der Fernseher zu Sendeschluss plötzlich in Flammen auf und wurde wieder zum Kaminfeuer, das er als hypnotisierendes Beruhigungsmittel inzwischen ersetzt hatte.

You are the product of TV

Weiter unten finden sich kritische und  parodistische Arbeiten zur Rolle des Publikums zwischen Passivität und Partizipation. Michael Smith lässt in „Mike’s House“ den Protagonisten über das Kabelfernsehen unfreiwillig zum Darsteller einer permanenten TV-Show werden und nimmt damit das Format der Reality-Soap vorweg; Arbeiten von Kevin Atherton, Bill Viola und Valie Export drehen die Perspektive um und nehmen die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst ins Bild. Andere Künstler verstanden Fernsehen als Medium kritischer Artikulation, versuchten wie die Kölner Gruppe ATV, Richard Serra oder Wolf Vostell durch künstlerische Interventionen Sehgewohnheiten zu irritieren, Handlungsanweisungen und Botschaften für das Publikum einzubauen („Küssen Sie eine Person auf dem Bildschirm!“; „You are the product of TV“) oder durch Fragmentierung und Neuanordnung gesendeten Materials manipulative Strukturen sichtbar zu machen. Das Fernsehen schließlich selbst in die Hand nehmen und mitgestalten wollten die in den Siebziger Jahren aktiven Gruppen Ant Farm, Raindance und Videofreex, die durch provokante Aktionen auch die Aufmerksamkeit der etablierten Medien auf sich zogen.

Fernsehen als Kunstwerk

Nam June Paik schuf mit seinem Video-Synthesizer eine Möglichkeit, visuelles Material zu bearbeiten und machte den Fernseher selbst zum Kunstwerk. Künstlerische Partizipation am regulären Programm war mancherorts auch erwünscht: So beauftragte etwa MTV in seiner Frühzeit verschiedene Videokünstlerinnen und -künstler mit kurzen Einschaltungen, und im Kabelfernsehen fand Jaime Davidovichs parodistische „Live!“-Show als Organ der New Yorker Avantgarde ihren Platz.  Erwähnt seien außerdem Skurrilitäten wie die legendären Humanic-Spots, von verschiedenen heimischen Künstlern (Roland Göschl, Richard Kriesche, Axel Corti, Otto M. Zykan, Wiener Gruppe u.a.) gestaltete Werbeeinschaltungen mit Wiedererkennungswert („Franz!“), oder ein ARD-Sendungsmitschnitt aus dem Jahr 1982, in dem Joseph Beuys zusammen mit der Gruppe BAP den Protestsong „Sonne statt Reagan“ zum Besten gibt.

Die Nutzung der eigenen Popularität und bewusste Instrumentalisierung der Medien für politische Anliegen trieben Yoko Ono und John Lennon auf die Spitze und hoben dazu auch die ohnehin brüchige Grenze zwischen ihrem Privatleben und der Öffentlichkeit auf. Andy Warhol interessierte eher das Berühmtsein an sich; seinen Fernsehproduktionen ist als Abschluss der Ausstellung die MUMOK-Factory gewidmet. Während seine in den Sechziger Jahren entstandenen Arbeiten „Inner and Outer Space“ und „Soap Opera“ faszinierende Meditationen über die Widersprüche des Mediums waren, sind „Fashion“, „Andy Warhol’s T.V.“ und „Andy Warhol’s Fifteen Minutes“ aus den frühen Achtzigern an kommerziellen Formaten orientierte TV-Serien, die aufstrebende Stars und Hot Spots der New Yorker Szene porträtierten.

Die Vielzahl an Exponaten ermöglicht, schnell zwischen den Kanälen zu wechseln und sich ganz unterschiedliche Bilder von „Changing Channels“ zu machen. In jedem Fall bleibt ein Eindruck davon, was Fernsehen noch alles sein kann – abseits des Bildungsauftrags.