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Jane Birkin

Jane Birkin | Interview

„Ich wollte zurück ins Rivette-Land“

| Thomas Abeltshauser |

Bei „36 vues du Pic Saint Loup“ arbeitete Jane Birkin zum dritten Mal mit Jacques Rivette zusammen. Ein Gespräch mit der großen Schauspielerin über die merkwürdigen Arbeitsgewohnheiten des Meisters, über Kinder und die nach ihr benannte Handtasche.

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Ihre Stimme kennt jeder, der als Teenager einmal den verboten klingenden – und in manchen Ländern tatsächlich verbotenen – Stöhn-Song „Je t’aime moi non plus“ hörte, den die damals 23-jährige Jane Birkin 1969 mit ihrem Mann Serge Gainsbourg aufnahm. Geboren in London, lebt die Sängerin und Schauspielerin seit Ende der Sechziger Jahre in Frankreich. International bekannt wurde das damalige Model und It-Girl des Swinging London 1966 mit ihrer Rolle in Michelangelo Antonionis Blow-up und mit eben jenem Popsong. Seitdem hat sie zahlreiche Alben veröffentlicht und in Filmen Jacques Rivettes, Agnès Vardas und ihres damaligen Lebenspartners, Jacques Doillon, mitgewirkt. 2007 gab sie mit Boxes ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin, das sie auch bei der Viennale vorstellte. In diesem Monat ist sie in Jacques Rivettes 36 vues du Pic Saint Loup (36 Ansichten des Pic St. Loup, siehe auch Seite 50) zu sehen. Darin spielt sie die älteste Tochter des plötzlich verstorbenen Direktors eines Wanderzirkus, die nach Jahren zurückkehrt, um der Zirkustruppe über den Sommer auszuhelfen. Auf dem Weg trifft sie Vittorio (Sergio Castelitto), der sich, fasziniert von ihr, dem Zirkus anschließt und dabei versucht, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

In 36 vues du Pic Saint Loup spielen Sie eine Frau, die an einen Ort zurückkehrt, mit dem sie viele Erinnerungen verknüpft. Es ist der dritte Film, den Sie mit Jacques Rivette gedreht haben. Empfinden Sie das auch selbst als eine Art Rückkehr?
Jane Birkin:
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber Sie mögen Recht haben, Rivette ist einem solchen Ort sehr ähnlich, vielleicht ist das Rivette-Leben sogar ein bisschen wie dieser kleine Zirkus im Film. Wenn man nicht mit ihm zusammen ist, zusammen arbeitet, vermisst man ihn. Was ich damit sagen will: Ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauern würde, aber unser letzter Film, La Belle noiseuse (Die schöne Querulantin), ist fast 20 Jahre her. Der erste war vor 27 Jahren L’Amour par terre (Theater der Liebe). Damals war gerade meine Tochter Lou (die Schauspielerin Lou Doillon; Anm.) ein paar Monate alt. Charlotte (ihre älteste Tochter, die Schauspielerin und Sängerin Charlotte Gainsbourg; Anm.) kam mit einem roten Sonnenschirm auf das Set und blieb die ganze Zeit neben der Kamera. Beim zweiten Film waren sie schon etwas älter, Charlotte passte während des Drehs auf Michel Piccolis Kinder auf. Ich habe schöne Erinnerungen an den Film, denn es war der letzte, den meine Eltern noch zusammen erlebten. Auch Serge war noch am Leben. Das war 1990, im Jahr darauf gewann der Film dann in Cannes den Großen Preis der Jury. Danach habe ich lange nichts mehr von Jacques gehört, und ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass er mich noch einmal anruft. Und ich wusste anfangs auch gar nicht, wie groß meine Rolle sein würde. Aber allein schon die Möglichkeit, in dieses Rivette-Land zurückzukehren, ließ mich sofort zusagen.

Was ist das Faszinierende daran?
Jane Birkin: Als ich das erste Mal mit ihm zusammengearbeitet habe, war ich reichlich verwirrt. Es gab kein Drehbuch, und erst fünf Minuten vor dem Dreh bekam ich die Anweisung für die jeweilige Szene. Das machte mir überhaupt keinen Spaß, weil ich dauernd Angst hatte, ich würde den Text vergessen. Und so würde das den ganzen Film über sein! Aber ich merkte, dass auch Geraldine Chaplin mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte, und dass Jacques im Grunde darauf wartete, dass irgendeine Art von Unfall passiert. Schauspieler sollen wie im wahren Leben nicht wissen, was als nächstes passiert, um möglichst authentisch zu reagieren. Aber ich war damals nicht einverstanden damit. Eine Szene war besonders kompliziert, mit vielen Dialogen, und wieder bekamen wir erst kurz davor die Drehbuchseiten. Er hätte sie uns doch am Abend zuvor geben können, sogar zwei Stunden vorher wäre noch okay gewesen. Ich war so wütend, dass ich mich blutig kratzte. Die Narben davon haben mich noch sehr lange daran erinnert. Ich musste meine Wut irgendwo rauslassen, und ich wollte nicht ihm wehtun, weil er so zerbrechlich und verletzbar wirkt. Also habe ich mir selbst die Arme aufgekratzt und danach die Ärmel heruntergezogen, damit es niemand sehen konnte, weil ich mich so geschämt habe. Ich war so frustriert, weil ich dachte, ich würde furchtbar sein, überhaupt nicht komisch, weil ich dauernd an den Text denken würde anstatt zu spielen. Als ich dann den fertigen Film sah, habe ich es verstanden. Es ist seine Art zu filmen. Später, als wir dann La Belle noiseuse drehten, wusste ich schon, was mich erwartet.

Sie haben dann mit Michel Piccoli geübt, richtig?
Jane Birkin: Ja, wir lebten während des Drehs alle zusammen, die Piccolis und meine Familie. Morgens bin ich mit Michel den Text durchgegangen, während seine Frau auf meinen sehr kranken Vater aufpasste. Und um uns herum ein Rudel Kinder. Es war eine sehr glückliche Zeit. Und sogar der Pic Saint Loup, der Berg, war da, aber ich habe ihn nicht wahrgenommen. Aber er ist wohl Rivette nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und wieder wusste ich am Anfang nicht, was mich erwartet.

Wie kann man sich die Arbeit konkret vorstellen? Es wird viel improvisiert?
Jane Birkin: Nein! Null! Er sagt einem ganz genau, was er will. Aber eben erst kurz vorher.

Sie sprachen von Ihrer Tochter Charlotte Gainsbourg. Sie sind wohl sehr stolz auf sie?
Jane Birkin: Stolz fasst es kaum. Ich bin überglücklich, dass ihr Talent und ihre Arbeit endlich gewürdigt werden. Ich fand sie schon in Jane Eyre so großartig, so herzzerreißend, dass sie dafür einen Oscar verdient hätte. Aber auch The Science of Sleep, I’m Not There, Nuovomondo … Vielleicht brauchte es Antichrist und den Skandal, damit die Leute aufwachten. Aber sie ist ein ehrgeiziges Mädchen, das nicht aufgibt. All die frustrierenden Jahre, in denen sie nicht die Angebote bekam wie die anderen ihrer Generation, Juliette Binoche und all die anderen, in denen sie keine Rolle in einem Claude Chabrol Film bekam … Die Anerkennung kommt also nicht zur rechten Zeit, sie hätte sie schon viel früher verdient.

Apropos Anerkennung: Sie sind neben Grace Kelly die einzige Schauspielerin, nach der eine Handtasche benannt wurde, die Birkin Bag.
Jane Birkin: Das war eher ein glücklicher Zufall. 1984 saß ich in einem Flugzeug neben Jean Louis Dumas, dem damaligen Vorsitzenden von Hermès, weil mir eine nette Frau der Fluggesellschaft ein Upgrade gab. Und da fiel mir mein Plastikbeutel herunter, den ich benutzte, weil das alte Körbchen, das ich sonst immer dabei hatte, von Jacques Doillon mutwillig überfahren worden war.

Jedenfalls kullerte alles aus diesem Beutel heraus, unter anderem auch mein Terminplaner mit allen Fotos und Zetteln. Und der ältere Herr neben mir sagte: „Sie bräuchten einen Terminplaner mit Taschen.“ Und ich sagte: „Hermès produziert so etwas nicht.“ Woraufhin er meinte: „Nun, ich bin Hermès.“ So kamen wir ins Gespräch. Und ich fragte ihn schließlich: „Können Sie mir nicht eine Tasche machen, in der ich all meinen Kram unterbringe?“ Die Kelly Bag ist dafür viel zu klein, zumindest für meinen ganzen Krempel. Und ein Koffer ist zu groß, den muss man am Flughafen abgeben. Also kritzelte ich ihm etwas auf die Kotztüte und gab sie ihm. Einige Zeit später rief er mich tatsächlich an und sagte, er hätte jetzt ein Kartonmodell, ob ich es begutachten möchte. Ich ging zu Hermès, und wir sprachen über die Details: welche Farbe, welches Material und so weiter. Als die Tasche schließlich handgefertigt war, meinte er: „Sie ist so herrlich, jeder liebt sie, dürfen wir sie in Serie produzieren und nach Ihnen benennen?“ Ich fühlte mich geehrt. Nur Grace Kelly und Dumas’ Großvater hatten Taschen nach ihnen benannt.

Diese Taschen sind mittlerweile hoch begehrt und es gibt endlose Wartelisten.
Jane Birkin: Deshalb bat ich Hermès, einen Teil des Gewinns an gemeinnützige Organisationen zu spenden, die ich für wichtig halte. Dieses Gentlemen’s Agreement besteht seit vielen Jahren und wird auch über meinen Tod hinaus andauern. Es ist Teil meiner Arbeit für Menschenrechte, für tschetschenische Kinder und Dissidenten wie Aung San Suu Kyii, in Sarajevo, Ruanda und anderswo. Ich finde es wichtig zu zeigen, dass man Anteil nimmt und handelt.

Was machen Sie da genau?
Jane Birkin: Zum Beispiel war ich im Krieg in Sarajevo und habe den Mädchen und jungen Frauen in meinem Rucksack Lippenstifte und Seidenunterwäsche mitgebracht.

Warum ausgerechnet das? Waren das die Dinge, die man mitten im Krieg brauchte?
Jane Birkin: Das wusste ich von meiner Mutter. Als ihre Wohnung in London im Krieg ausgebombt wurde, hat sie ihr Parfüm mitgenommen. Nicht ihre Kleider oder Nahrung. In einer Katastrophe braucht der Mensch Dinge, die gut für die Moral sind. Ich habe deswegen, als ich nach Sarajewo fuhr, nicht nur Essen und Bücher mitgenommen, sondern eben auch Kosmetik und Negligés. Und natürlich waren die Mädchen dort froh über die Lebensmittel und freuten sich über die Bücher. Aber nie werde ich den Ausdruck in ihren Gesichtern vergessen, als ich den Lippenstift auspackte.