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Bong Joon-ho Mother

Koreanisches Kino

Innere Abgründe

| Ralph Umard |
Bong Joon-hos Filme setzen sich mit den düsteren Seiten der koreanischen Gesellschaft auseinander – was ihrem durchschlagenden Erfolg keinen Abbruch tut.

Er ist ein Shooting Star unter den Regisseuren Koreas. Der am 14. September 1969 in der Provinzmetropole Daegu geborene Bong Joon-ho konnte sich nach seinem an der Kinokasse noch wenig erfolgreichen Spielfilm-Debüt Barking Dogs Never Bite (Flandersui Gae, 2000) schon mit seinem zweiten Werk in der Filmindustrie etablieren. In einer Umfrage der Kinozeitschrift „Korean Cinema Today“ wurde Memories of Murder (Sarineui Chueok, 2003) zum besten Film des Jahrzehnts gewählt. Mit dem imposanten, auch bei Kritikern beliebten Monster-Movie The Host (Gwoemul, 2006) brach Bong in seiner Heimat alle Kassenrekorde, bis heute hat keine andere koreanische Produktion mehr Geld eingespielt. Das Psycho-Drama Mother (Madeo, 2009) war ein Top-Ten-Kinohit, wurde international mit vielen Preisen ausgezeichnet und für den Oscar nominiert.

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Mit nur vier Filmen haben Sie sich als Top-Regisseur in Korea etabliert. Wie kamen Sie zum Kino?
Bong Joon-ho:
Ich liebte es schon in meiner Kindheit, Filme anzuschauen, ich war eine Art Movie-Maniac. Im AFKN-Fernsehprogramm für die US-Armee konnte ich alle möglichen Filme aus dem Ausland sehen, von Spielberg, Peckinpah, Coppola oder den Coen Brüdern. Bereits als Kind begann ich, Comics zu zeichnen und war es von daher schon gewohnt, Geschichten in Form von Bildern zu gestalten. Das hat in Verbindung mit meiner Leidenschaft fürs Kino dazu geführt, dass ich mich in meiner Mittelschulzeit entschloss, Regisseur zu werden. Ich hatte schon immer bestimmte Bilder im Kopf, die ich groß auf der Leinwand sehen wollte. Da Filmemachen in meiner Familie aber als Beruf nicht in Frage kam, studierte ich zunächst Soziologie, bevor ich mich schließlich an der Korean Academy of Film Arts einschrieb.

Sie waren Soziologie-Student an der Yonsei Universität, in den Achtziger Jahren ein Zentrum der radikalen Studentenbewegung gegen die Diktatur. Waren Sie auch selbst dabei engagiert?
Bong Joon-ho: Ich ging 1988 zur Universität, da war schon eine gewisse Liberalisierung im Gange. Die älteren Semester haben allerdings aktiv für die Demokratisierung gekämpft. Bei uns war die Situation nicht mehr ganz so angespannt. Natürlich gehörten tägliche Protestaktionen und Demonstrationen vor dem Campus zum Alltag. Da ich damals Soziologie studierte, war ich mit vielen Kommilitonen zusammen, die sich für die gesellschaftliche Situation interessiert haben und engagiert waren. Ich selber war aber kein Aktivist an vorderster Front.

Ich fragte das deshalb, weil es in allen Ihren Spielfilmen gesellschaftskritische Elemente gibt. In Memories of Murder erscheint die Polizei in nicht gerade vorteilhaftem Licht, und in Mother ist es wieder so.
Bong Joon-ho: Es gibt aber einen Unterschied, wie in beiden Filmen die Polizei dargestellt wird. In Memories of Murder geht es um die Militärdiktatur der Achtziger Jahre, insbesondere auch die Gewalt der Polizei bei Verhören, es wurde gefoltert. Das habe ich gezeigt, die Realität dieser Zeit spiegelt sich da wider. Wenn man versucht, die Gesellschaft von damals zu rekonstruieren, kann man nicht umhin, die Gewalt, die in der gesamten Gesellschaft geherrscht hat, darzustellen. Ich tat das nicht, weil ich ein sozialkritisches Anliegen hatte. In Mother werden die Polizisten als etwas unfähig, auch lachhaft dargestellt. Beim Verhör benutzen sie einen Apfel, das ist nun keine richtige Gewalt mehr in der heutigen Zeit. In den Achtziger Jahren war nicht nur die Polizei sehr gewalttätig, auch in den Schulen haben die Lehrer die Kinder geprügelt, was heute nicht mehr der Fall ist.

In Mother zeigen Sie Gewalt unter Schülern, zwei Burschen drohen, eine Schulkameradin zu verprügeln, außerdem sind die beiden beim Klebstoffschnüffeln zu sehen.
Bong Joon-ho: Das gibt es, und tatsächlich ist es Realität, dass unter Schülern solche Gewalt existiert.

Eine Schülerin hat Sex mit allen möglichen Partnern. Inwieweit spiegelt so etwas die Wirklichkeit wieder?
Bong Joon-ho: In Japan und in Korea gibt es schon lange diese Form von Prostitution, wo Schülerinnen so etwas tun, um teure Designer-Mode und angesagte Markenartikel zu kaufen. Das ist gang und gäbe und stellt heutzutage keinen Skandal mehr dar. Bei Mother ist der Kontext etwas anders, hier geht es um eine elternlose Schülerin, die sich prostituiert, um ihre Lebensunterhalt zu verdienen.

Ihre Großmutter ist Trinkerin, ein Sohn besäuft sich bis zur Besinnungslosigkeit, auch eine Sauforgie im Karaoke Klub ist zu sehen. Überhaupt kenne ich kaum einen koreanischen Film ohne Saufgelage. Haben die Südkoreaner generell ein Alkoholproblem?
Bong Joon-ho: Ja, das stimmt schon, es wird übermäßig viel Alkohol konsumiert in unserem Land. Die Ursache dafür kenne ich nicht. Vor allem Männer trinken ganz viel im täglichen Leben, und das spiegelt sich in den Filmen wider. Beliebt ist eine spezielle Mischung von Alkohol: Soju (das Nationalgetränk, ein 25-prozentiger Schnaps, Anm.) und Bier. Ich glaube, dass Korea neben Russland und Polen jenes Land ist, wo am meisten getrunken wird.

Eine der eindringlichsten Szenen zeigt, wie die Mutter versucht, ihren kleinen Sohn zu vergiften. Warum?
Bong Joon-ho: Bei dieser Rückblende in die Zeit, als der Sohn fünf Jahre alt war, kann man an Hand der Dialoge vermuten, dass die Mutter versuchte, sich und ihr Kind umzubringen, weil sie es sehr schwer hatte im Leben. Damals scheint der Vater bereits nicht mehr da zu sein, und die allein stehende Mutter wusste nicht, wie sie sich und ihren Sohn ernähren sollte. Südkorea war damals ja noch ein armes Land. Die Szene ist dramaturgisch deshalb sehr wichtig, weil sie zeigt, dass der Sohn sein Erinnerungsvermögen allmählich wiedererlangt, und durch diese Kindheitserinnerung ändert sich das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn komplett. Vorher hat die Mutter versucht, ihren Sohn zu beherrschen und zu kontrollieren. Nun gibt es einen entscheidenden Wendepunkt, jetzt hat der Sohn die Kontrolle.

Mother bietet einen kleinen Querschnitt durch verschiedene Schichten der Gesellschaft. Da ist der arrogante Anwalt, ein genusssüchtiger Vertreter der oberen Mittelschicht. Die Freundin der Mutter ist eine moderne koreanische Frau von heute, die selbständig sein will, sich aber doch nach Mutterglück sehnt. War das Ihre Absicht, der koreanischen Gesellschaft quasi den Spiegel vorzuhalten?
Bong Joon-ho: Durch die Nebenfiguren werden vielleicht wieder sozialkritische Aspekte dargestellt, aber das war nicht meine Hauptintention. Im Unterschied zu Memories of Murder und The Host geht es in Mother vorrangig um die Darstellung eines ganz speziellen Beziehungsverhältnisses zwischen Mutter und Sohn. Wie weit kann eine Mutter gehen, um ihren Sohn zu retten?

Ihre Hauptdarstellerin musste manche Einstellungen 15 Mal oder öfter drehen. Würden Sie sich als Perfektionisten bezeichnen?
Bong Joon-ho: Es kam sogar vor, dass eine Szene 30 Mal wiederholt werden musste. Das lag daran, dass es eine sehr komplizierte Kameraführung gab. Und ich habe in meinem Kopf ganz feste Vorstellungen, wie eine Szene gespielt werden soll. Ich probiere so lange, bis das erreicht ist. Die Storyboards zeichne ich immer selber, so kann ich meine Vorstellungen präziser vermitteln, als wenn ein Storyboard-Artist das übernimmt. Stanley Kubrick hat bei The Shining eine Szene mit Jack Nicholson 144 Mal wiederholt. Kubrick ist ein Perfektionist, dagegen bin ich nur ein kleines Licht.

Mit The Host brachen Sie alle Kassenrekorde, auch Mother kam in die Top Ten des Kinojahres 2009 in Korea. Können Sie jetzt drehen, was Sie wollen?
Bong Joon-ho: Glücklicherweise waren diese Filme sehr erfolgreich, dadurch ist es für mich leichter geworden, Investoren zu finden, im Gegensatz zu früher. Für mich ist das größte Problem das Schreiben des Drehbuchs, das ist immer wieder eine Herausforderung, ein innerer Kampf – so wie jetzt wieder bei meinem aktuellen Drehbuch. Ich denke, mit diesem Problem werde ich mein ganzes Leben lang konfrontiert sein. Bislang habe ich noch keinen Film gemacht, von dem ich meine, dass er meinen Intentionen voll gerecht wird.

Worum geht es bei Ihrem neuen Projekt?
Bong Joon-ho: Das ist ein Science-Fiction-Film. Eine Adaption des französischen Comic-Buchs „Le Transperceneige“ von Jacques Lob und Jean-Marc Rochette. Da wird es natürlich, wie in The Host, sehr viele computergenerierte visuelle Effekt-Sequenzen geben, weil die ganze Welt von Schnee und Eis bedeckt ist. In einem fahrenden Zug gibt es Überlebende der Katastrophe, und die kämpfen gegeneinander. Die gesamte Außenwelt wird mittels CGI dargestellt, auch bei der Action im Zug gibt es Computereffekte .

Werden die Computerbilder in Korea generiert, wo die technische Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren rasant vorangetrieben wurde von Spezialeffekt-Studios wie DTI oder Macrograph?
Bong Joon-ho: Da es sich um eine sehr aufwändige Großproduktion handelt, arbeite ich sowohl mit koreanischen als auch mit ausländischen Studios zusammen.

Im Moment erlebt die 3-D-Technik einen regelrechten Boom in Südkorea. Führende Firmen wie CJ, Lotte und Megabox wollen die Zahl ihrer 3-D-Kinos dieses Jahr verdoppeln, The Song of the String von Ihrem Regie-Kollegen Joo Kyung-jung wird der erste koreanische 3-D-Film. Reizt es Sie auch, diese Technik zu nutzen?
Bong Joon-ho: Das ist nicht zuletzt eine Kostenfrage, mein neuer Film ist auch ohne 3-D schon sehr teuer. Aber tatsächlich ist 3-D im Kommen in Korea, man muss einmal abwarten, wie sich das noch entwickelt.

Sind Kinohits wie The Host oder Mother eigentlich auch in Nordkorea zu sehen, beispielsweise durch illegale DVD-Kopien?
Bong Joon-ho: Konkret kann ich dazu nichts sagen, aber zu Zeiten des Internets wird es immer schwerer, das Land komplett abzuschotten. Es gibt sicher Schmuggel über die Grenze zu China. Es gibt ja auch viele Nordkoreaner, die im Ausland studieren und dann wieder in ihre Heimat zurückkehren. Dass die koreanische Popkultur auf Umwegen nach Nordkorea gelangt, ist anzunehmen.

Im Moment ist die Lage zwischen Süd- und Nordkorea wieder angespannt. Halten Sie eine kriegerische Auseinandersetzung für möglich? Kriegsfilme sind ja momentan im Trend in Südkorea.
Bong Joon-ho: Persönlich bin ich der Meinung, dass es keinen Krieg geben wird, denn zum Kriegführen braucht man Geld, und das fehlt Nordkorea. Ich glaube auch nicht, dass die Bedrohung durch Atomwaffen in Nordkorea so real ist. Die Situation in Nordkorea ist so katastrophal, dass sie dort nicht die Kapazitäten haben, um Krieg zu führen. Gefährlich wird es, wenn unerwartet irgendwelche Terroraktionen verübt werden. Dass es zur Zeit sehr viele Kriegsfilme gibt, liegt daran, dass vor 60 Jahren der Koreakrieg ausgebrochen ist, und schon im Vorfeld dieses „Jubiläums“ hat das Verteidigungsministerium für diese Filme Geld und Unterstützung zugesagt.