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Ein gutes Herz

Filmkritik

Ein gutes Herz

| Ralph Umard |

Ein wunderbar exzentrisches Beziehungsdrama über Herzensangelegenheiten eines grantigen Gastronomen und seines arglosen Lehrlings.

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Der alte Jacques hat ein schlechtes Herz, und zwar im doppelten Wortsinn: Der kettenrauchende Alkoholiker ist ein verbitterter, rücksichtsloser, chronisch schlecht gelaunter Querulant, der schon zum fünften Mal mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus landet. Sein Bettnachbar ist ein überaus gutherziger, uneigennütziger junger Mann, der in seiner naiven Arglosigkeit und mit seinem ungelenken Gebaren fast schon ein bisschen autistisch wirkt. Lucas hat einen Selbstmord versucht, weil er sich der Welt nicht gewachsen fühlt.

Nach der Entlassung nimmt Jacques den obdachlosen Lebensmüden unter seine Fittiche. Der grantige Misanthrop besitzt eine heruntergekommene Kneipe in New York, eine Kaschemme wie aus einer Geschichte von Charles Bukowski. Der rabiate Wirt lebt von alteingesessenen Stammgästen, allesamt kauzige Trinker. Neukunden und vor allem Frauen verabscheut Jacques, ungastlich und grob ekelt der Grießgram sie aus seiner Spelunke. Angesichts seines schlechten Gesundheitszustands will er Lucas zum Barkeeper ausbilden, der ihm die Arbeit hinter der Theke abnehmen soll. Nach zahllosen Fehlversuchen gelingt es Jacques, seinem Lehrling die Zubereitung eines perfekten Espressos beizubringen – schwieriger ist es, ihm seine geschäftsschädigende Freigiebigkeit auszutreiben. Als Lucas heimlich eine heimatlose Stewardess heiratet, erleidet sein maßlos erzürnter Mentor seine sechste Herzattacke.

Das kuriose Beziehungsdrama mit prägnant gestalteten Nebenfiguren strahlt eine tiefgründige Menschlichkeit aus, trotz der nicht im Geringsten zur Identifikation einladenden Personen stellt sich irgendwann Empathie für sie ein. Mit seiner  Bescheidenheit und Demut erinnert Lucas charakterlich an Dostojewskis „Idiot“, und selbst ein Widerling wie Jacques wirkt bemitleidenswert als Todkranker, man ahnt, dass sein feindseliges Verhalten von seelischen Verletzungen herrührt. Beide Hauptdarsteller sind vom Aussehen und Auftreten her perfekt besetzt, der schottische Kino- und Bühnenveteran Brian Cox spielt den dickschädeligen Tresen-Tyrannen eindringlich und ausdrucksstark mit nuancierten Wesenszügen.

Eine unverhoffte Wende gegen Ende dieses originellen „Bar room movies“ verleiht dem Filmtitel eine doppelte Bedeutung: Es zeigt sich, dass Lucas nicht nur in charakterlicher, sondern auch in physiologischer Hinsicht ein sehr gutes Herz hat.