Fish Tank

Filmkritik

Fish Tank

| Walter Gasperi |

In ihrem zweiten Spielfilm Fish Tank folgt Andrea Arnold hautnah der innerlich zerrissenen 15-jährigen Mia.

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Vom ersten Ton an nimmt Fish Tank gefangen: Zunächst hört man nur schweres Atmen, dann erst sieht man die 15-jährige Mia in einer leer stehenden Wohnung eines heruntergekommenen Hochhausblocks. Nervös kontaktiert sie per Handy eine Bekannte, um sich zu entschuldigen, zieht dann durch das triste Londoner Vorstadtviertel, vorbei an ihrer jüngeren Schwester, die mit zwei Freundinnen im Bikini auf einer Wiese liegt, beschimpft den Vater einer Freundin, legt sich mit ein paar lasziv tanzenden Mädchen an und kracht schließlich zuhause mit ihrer Mutter zusammen.

Enormen Drive und Intensität entwickelt diese etwa 15-minütige Exposition einerseits durch die Nähe der Kamera, die – wie bei den Filmen der Brüder Dardenne – Mia unerbittlich und hautnah zumeist im Rücken folgt. Dazu kommt ein nervöser Schnitt, der ihre Unruhe, ihren Zorn, ihre Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit, ihre Rastlosigkeit und Unbehaustheit direkt nach außen kehrt, aber auch das fast quadratische Bildformat, das Mia dem titelgebenden Aquarium entsprechend förmlich in ihrer Haut und ihrem Leben einsperrt. Mit großem Körpereinsatz spielt Katie Jarvis diesen Teenager, scheint ihre Rolle förmlich zu leben und mit persönlichen Erfahrungen zu füllen.

Genau fängt Arnold im Stil des sozialrealistischen Kinos eines Ken Loach oder Mike Leigh die sozialen Verhältnisse ein. Nie drängt sich aber die Milieuschilderung mit verdreckter Wohnung, sich selbst überlassenen Kindern und zum Alkohol neigender, hoffnungslos überforderter Mutter (großartig: Kierston Wareing) in den Vordergrund und nie wird das Elend voyeuristisch ausgestellt. Atmosphärisch ungemein dicht ist Fish Tank durch die Konzentration auf Mia und ihr nächstes Umfeld. Nur im selbst versunkenen Tanzen zu Rap-Songs scheint sie Ruhe zu finden, bis mit Connor (Michael Fassbender) ein neuer Freund der Mutter einzieht. In ihm findet Mia jemanden, der ihr die Geborgenheit gibt, nach der sie sich sehnt und der ihr Selbstvertrauen stärkt. Ruhiger wird damit auch der Film und schwebend leicht wirkt ein Ausflug ins Grüne.

Aber Mia, die an der Schwelle zum Erwachsenenalter steht, sieht in Connor eben nicht nur den väterlichen Freund, sondern auch ihr erotisches Verlangen wächst. Großartig hält Arnold diese Beziehung lange in der Schwebe. Nur im Finale büßt Fish Tank durch Ereignisreichtum und überzogene Dramatik etwas an Glaubwürdigkeit und Authentizität ein. Andererseits lässt die britische Regisseurin Mia gerade hier eine Erfahrung machen, durch die sie lernt, dass sie auch Verantwortung übernehmen muss.