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Was du nicht siehst

| Alexandra Seitz |

Was zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen unsichtbar brodelt, hier erhält es Gestalt.

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Die Umstände von Davids erstem Erscheinen sollten einem zu denken geben: Der junge Mann tritt hinter einer Tür hervor, hinter der eigentlich kein Platz für ihn gewesen sein kann. Er kommt aus einem Klo, in dem zudem zuvor kein Licht brannte. Dann tätschelt David im Vorübergehen Anton den Hintern, der gerade in einen Spiegel schaut, den ein großer Riss spaltet.

Anton ist unterwegs in den Urlaub. Gemeinsam mit seiner Mutter Luzia und deren neuem Freund Paul verbringt der 17-Jährige eine Woche in einem von spätsommerlichem Licht durchfluteten, schicken Bungalow an der bretonischen Atlantikküste. Es ist der Versuch eines Neuanfangs. Antons Vater hat vor einiger Zeit Selbstmord begangen, sowohl der Junge als auch seine Mutter laborieren noch an dem plötzlichen, unverständlichen Verlust und an der vom Schmerz zwischen ihnen aufgerissenen Distanz. Der gleichaltrige David wiederum bewohnt mit Katja – seiner Schwester? seiner Geliebten? beides? – das benachbarte Ferienhaus. Die zwei sind frei und wild, gewalttätig und verschmust. Sie sind keiner Aufsicht unterstellt und üben einen enormen Reiz auf Anton aus. Immer wieder sucht er ihre Nähe. So kommen Ereignisse in Gang, die sich vordergründig zu einer Coming-of-Age-Geschichte zusammensetzen, die aber ebenso gut auch etwas ganz anderes sein können.

Wolfgang Fischers Was du nicht siehst ist eine seltsame Mischung, ein Hybrid aus Familiendrama, Horrorfilm und Psychothriller. Schwerblütig, atmosphärisch, artifiziell. Martin Gschlachts Kamera sucht und findet in allem das ästhetische Arrangement: In sorgsam kadrierten Einstellungen folgt sie den Figuren durch kühl gestylte Innenräume, vereinzelt sie in der beeindruckenden, von Bunkerruinen geprägten Küstenlandschaft, filmt sie im von staubigen Sonnenstreifen durchzogenen, märchenhaften Zauberwald.

Dazu erklingen ätherisch-elegische Choräle, wabern das Unwägbare und das Unheimliche in dunklen Ecken und zwischen den Bildern, keimt ein schrecklicher Verdacht: Ist das, was hier zu sehen ist, womöglich gar nicht das, was tatsächlich geschieht? Sind die mutwilligen Geschwister aus dem Nebenhaus Projektionen, die Anton auf die harte Tour mit dem ungeliebten neuen Mann der Mutter fertig werden lassen, der sich in die Vaterrolle drängt? Es gibt hierauf keine richtige oder falsche Antwort. Man kann das unentschieden und beliebig finden. Oder reizvoll und gewagt. Langweilig ist es jedenfalls nicht.