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Das Lied in mir

| Walter Gasperi |

Eine junge Deutsche stößt in Buenos Aires auf die Geschichte ihrer Familie, die ihr bislang verheimlicht wurde.

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Verschwommen, wie hinter einem Schleier oder unter Wasser wirkt Buenos Aires in den Einstellungen, die Florian Cossens Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg eröffnen. Einerseits wird damit eine Beziehung zum Schwimmsport der Mittdreißigerin Maria (Jessica Schwarz) hergestellt, andererseits verweisen diese Bilder aber auch auf das langsame Vordringen der Protagonistin in die ihr unbekannte Familiengeschichte.

Eigentlich hatte Maria in Buenos Aires nur eine Zwischenlandung geplant, doch dann hört sie in der Wartehalle des Flughafens, wie eine Mutter ihrem Kind auf Spanisch ein Lied vorsingt. Obwohl Maria kein Wort Spanisch versteht, kann sie das Lied mitsingen und dunkle Erinnerungen mit traumatischen Zügen steigen in ihr auf. Nah rückt die Kamera an ihr Ohr, macht ihre zunehmende Irritation und Beklemmung erfahrbar. Fast panisch stürzt sie in die Toilette, versucht sich zu beruhigen. Als sie zurückkehrt, ist der Anschlussflug schon weg.

Eindrücklich vermittelt Florian Cossen, der selbst ein halbes Jahr in der argentinischen Hauptstadt lebte, mit der Fahrt ins Stadtzentrum das Eindringen Marias in eine ihr fremde Welt. Fast schon ein überdeutliches Bild für den Verlust von Sicherheiten und der scheinbar gefestigten Identität ist es, wenn ihr auch noch der Pass gestohlen wird.

Als ihr in Deutschland lebender Vater (Michael Gwisdek) von dem Zwischenfall erfährt, reist er seiner Tochter nach, versucht ihren bohrenden Fragen nach dem Kinderlied und einer Puppe, die ihr so vertraut vorkommt, aber auszuweichen. Sukzessive bringt sie jedoch in Erfahrung, dass sie in Wahrheit das Kind eines argentinischen Paares ist, das wie 30.000 andere Argentinier während der Militärdiktatur (1976-1983) verschleppt wurde, und sie beginnt nach ihren Angehörigen zu forschen.

Beiläufig, aber eindringlich lässt Cossen in seinem Debüt die Nachwirkungen der argentinischen Militärdiktatur in die Handlung einfließen, zielt aber nicht auf eine Abrechnung mit dieser dunklen Epoche ab, sondern fokussiert ganz auf die von Jessica Schwarz großartig gespielte Maria. In dieser Konzentration auf die Protagonistin, deren Sicherheiten und deren Vaterbild sukzessive zerbrechen, entwickelt Das Lied in mir nicht nur große Intensität, sondern wirft auch universelle Fragen nach Schuld und Vergebung auf. Auf große Emotionalisierung verzichtet Cossen dabei erfreulicherweise, inszeniert zurückhaltend, aber mit prägnanter Bildsprache und verkneift sich auch eine einfache Lösung mit Happy End.