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Filmbuch

Nervenzehrende Klänge

| Benjamin Moldenhauer |

Eine der raren Monografien zum Einsatz von Filmmusik untersucht, wie das Horrorgenre klingt.

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Das Kino gilt noch immer als ein vor allem bildliches Medium. Dass eine Filmvorführung spätestens seit dem Ende der Stummfilmära ein sowohl visuelles als auch klangliches Erleben evoziert und im besten Fall nicht nur die Blicke, sondern den gesamten Körper ergreift, mag banal klingen, ist aber erst vor nicht allzu langer Zeit in den Horizont der Filmwissenschaft gerückt. Bei der maßgeblichen Rolle, die der Klang eines Films bei der Evokation von Affekten, Atmosphären und Emotionen spielt, ist es etwas rätselhaft, dass in der Literatur zum Kino alles in allem nur vergleichsweise wenig über die Tonspur zu lesen ist.

Insbesondere der Horrorfilm ist mit Klängen verbunden, die sich mitunter ebenso nachhaltig in das Filmbewusstsein eingegraben haben wie die ikonischen Bilder des Genres. Die stechenden Geigen, die die Duschszene in Psycho (1960) untermalen, sind nur das geläufigste Beispiel. Vielleicht hängt die Zurückhaltung mit einem Darstellungsproblem zusammen. Es sei, schreibt Frank Hentschel, grundsätzlich schwierig, Musik zu beschreiben: „In dieser Hinsicht hinkt die Wissenschaft sogar der Önologie, der Weinkunde, weit hinterher.“

In seinem Buch Töne der Angst hat Hentschel eine auch für Laien gut nachvollziehbare Sprache zur Rekonstruktion der genretypischen Klangwelten gefunden, die musikwissenschaftliche Fachtermini weitgehend vermeidet und stattdessen auf plastische Umschreibung setzt. Die Töne der Angst werden anhand einer Reihe von musikalisch ambitionierten Vertretern des Genres analysiert: Der Fokus liegt auf der Verwendung von Neuer Musik in The Exorcist (1973) und The Shining (1980), Geräuschmusik in The Texas Chain Saw Massacre (1974) und Eraserhead (1977), Kinderliedern in The Bad Seed (1956) und The Innocents (1961), Chorälen in Candyman (1992) und Orgelmusik in Carnival of Souls (1962). Im klassischen Sinn schön ist es oft nicht, was es hier zu hören gibt. Dass das Horrorgenre ein Faible für Atonalität wie überhaupt nervenzehrende Klänge pflegt, liegt nahe. Gerade in den Filmen der Siebziger Jahre, der formal vielleicht innovativsten Phase des Genres, findet sich Musik, die auch losgelöst von den Bildern funktioniert. Insbesondere der Soundtrack zu Eraserhead ist ein kleiner Klassiker der Geräuschmusik geworden. In dem Buch gibt es einiges zu entdecken: Auch unter den am Rande erwähnten Scores findet sich Experimentierfreudiges wie etwa der Soundtrack des Jazzpianisten Denny Zeitlin zu Philip Kaufmans Invasion of the Body Snatchers-Remake (1978).

Hentschel allerdings geht es nicht primär um die Qualitäten der Musik an sich, sondern um ihr Wirkungspotenzial und die in ihr mitschwingenden Bedeutungsebenen. Selbst anhand von nach dem ersten Eindruck nur mürbe machenden Geräuschmusiken wie denen zu The Texas Chain Saw Massacre und Eraserhead lässt sich demonstrieren, wie punktgenau Klang und Bild miteinander verwoben sind. Ein Eindruck, der sich anhand der dem Buch beigelegten DVD, auf der die zentralen Filmsequenzen enthalten sind, unmittelbar nachvollziehen lässt. Frank Hentschel hat mit diesem zugänglichen und von Anfang bis Ende informativen Buch eine Lücke geschlossen.