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Österreich Dossier – Überlebensgeschichten

Überlebensgeschichten

| Roman Scheiber |

Vielerorts von Movieplex-Tempeln und Home Entertainment in den Schatten gestellt, versehen ein paar Dutzend Landkinos in Österreich wacker ihren Dienst an der lokalen Anwohnerschaft. Vier davon haben wir uns aus der Nähe angesehen.

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Ihre natürlichen Feinde heißen Eventkino und Flatscreen.Wer früher in einer entlegeneren Gegend dieses Landes lebte, begab sich gern einmal ins Dorfkino seiner Nähe, um den angesagten Action-Kracher, die neue Schenkelklopfer-Komödie oder auch einen gediegenen Autorenfilm zu sehen – und sei es mit zwei, drei Wochen Verspätung im Vergleich zu den Premierenkinos in Wien und den Landeshauptstädten. Heute verführen LED-Home-Entertainment-Systeme mit Riesenbildschirmen und Dolby Surround zu häuslicher Bequemlichkeit. Und hat man dann doch einmal das Gefühl, zum Beispiel einen aktuellen Blockbuster dringend auf großer Leinwand sehen zu müssen, locken bequem ausgestattete, mit modernster Digital- und häufig auch schon 3D-Technik versehene Mehrsaalkinos in jeder dritten Kleinstadt. Allein die Grazer Familie Diesel betreibt landesweit schon sechs solcher auch Movieplex genannten Centerkinos, an den Standorten Leibnitz, Gleisdorf, Bärnbach, Fohnsdorf (Stmk.), Oberwart (Bgl.) und St. Johann (Sbg.). Ein siebentes im salzburgischen Bruck an der Großglocknerstraße soll im Herbst 2011 eröffnet werden.

Die Multiplex-Kultur gibt den Takt vor: Laut Kinostatistik 2011 der Wirtschaftskammer Österreich weisen 23 von den 155 Lichtspielhäusern des Landes mindestens acht Säle auf. Das klingt nicht nach einer überwältigenden Zahl, jedoch befinden sich 37 Prozent (213 von 578) aller hier zu Lande bespielten Kinosäle in ebendiesen – zumeist in Hardcore-Shopping-Ambiente eingefassten – Multiplexen. In technischer Hinsicht sind die vom Popcorn-Wahnsinn zerfressenen Tempel unschlagbar: Zu 95 Prozent durchdigitalisiert, verfügen fast die Hälfte der Säle bereits über eine 3D-Screening-Option.

Die Zeiten für Landkinos werden dagegen härter. Für die allermeisten Betreiber, deren Häuser oft seit Jahrzehnten existieren und nicht selten über Generationen weitergegeben wurden, stellte oder stellt sich die Frage: Modernisieren, weiterwurschteln oder zusperren? Von den immer wenigeren, zum größten Teil erhaltenswerten kleineren Filmtheatern der Provinz haben wir uns jeweils eines aus Niederösterreich, Oberösterreich, dem Burgenland und der Steiermark angeschaut und sind auf durchaus unterschiedliche Strategien des Überlebens gestoßen.


 

Miniplex Seewalchen

Ein Landkino, das sich selbst früher „Tonkino“, dann „Strandkino“ genannt hat und heute „Miniplex“ nennt, ein Kino, vor dem das Wort „Kino“ in den Gehsteig eingefasst ist: So einem Kino wünscht man ewige Existenz, bis in die drohende Geruchskino-Ära und hoffentlich darüber hinaus. Eröffnet wurde das einstige „Volks- und Arbeiterkino Seewalchen“ 1933, seither hat es mehrmals den Besitzer gewechselt und vom Winnetou-Fieber, Edgar-Wallace-Infekt und Heimatfilm-Virus bis zur samstagnächtlichen Sexklamotte so ziemlich alle Erregungsschübe durchgemacht, die einem Haus mit dieser Geschichte gut anstehen. Als letztes in der touristisch bestens erschlossenen Gegend am Attersee kann das Kino sich Modernisierung leisten: 2002 wurde auf zwei Säle mit 220 und 110 Plätzen (eben Miniplex) umgebaut, 2009 um rund 200.000 Euro auf 3D-Digital aufgerüstet. Dementsprechend lässt man es mit Final Destination 5 – 3D oder etwa Cowboys & Aliens krachen. Auch um den Publikums-Nachwuchs kümmert sich Betreiberin Marika Krammer vorbildlich: Ab acht Personen kann man einen Saal für Privatvorführungen zu Kindergeburtstagen mieten – zu ganz normalen Kartenpreisen.


Nationalparkkino Illmitz

Seit 15. Oktober 1967 betreibt Traude Kroiss das Kino in Illmitz. Um 2.000 Schilling inklusive Transport hat sie sich damals die ausrangierten Polstersessel aus dem Kino in Stoob besorgt, ein neues Dach aufsetzen lassen und seither alle Höhen und Tiefen des Kinogeschäfts mitgemacht. 1973 kam die „Piccolo“-Bar dazu, ab 1981 machte Kroiss auf „Disco-Kino“, sie erlebte den Einbruch durch den rasant aufkeimenden Videovertrieb ab Mitte der Achtziger Jahre und den Wiederaufschwung in den Neunzigern. Den Ausbau auf ein Dreisaal-Centerkino 1998 hat sie dem damaligen „Ziel 1“-Gebietsstatus des Burgenlands und einer Million Schilling aus EU-Fördermitteln zu verdanken. Zwei Säle sind mit einer kleinen Bar, Tischchen und Aschenbechern ausgestattet und verströmen eine Club-Atmosphäre, wie man sie kaum noch woanders findet. So bleiben im letzten Kino des Seewinkels auch prominente Gäste nicht aus: Als das ray-Team zu Besuch ist, kommt Peter Payer aus einer Vorführung von Planet der Affen: Prevolution. Das ist übrigens jener Herr, der hier am 26. August mit seiner Regie-Arbeit Am Ende des Tages – von Traude Kroiss als „fantastischer Psychothriller“ beworben – Premiere gefeiert hat.


Lichtspielhaus Eibiswald

Als Kind haben mich meine Eltern unter dem Wintermantel ins Kino in Frauenthal hineingeschmuggelt“: Erlebnisse, die Siegfried Hasewend geprägt haben. Mit Gattin Josefine betreibt er im südweststeirischen Eibiswald den ausgezeichneten Gasthof Kirchenwirt, ein großzügig ausgestattetes Apartmenthaus und als gelernter Fleischermeister eine hauseigene Metzgerei mit lokalen Spezialitäten. Und weil er das alles betreibt, kann er es sich leisten, dazu ein schönes, komfortables und seit 2009 auch digitalisiertes Lichtspielhaus mit 142 Sitzen zu bespielen. In den Siebzigern war das Kino nach einem Neubau eine Art Gemeindezentrum, heute ist es eines der wenigen verbliebenen Einsaal-Häuser der Steiermark. Ihr Konzept Genusskino ziehen die Hasewends mit hiesigen Produktionen oder publikumsträchtigen Euro-Filmen (etwa Fasten auf Italienisch oder Nichts zu verzollen) aus dem Hause Filmladen, Polyfilm oder Thimfilm durch. Als besonderes Schmankerl (Herr Kosslick, Urlaubstipp!) gibt es an fünf Sonntagen von März bis April ein Filmfrühstück für wohlfeile 14 Euro, Motto: „Kaffee, Speck, Ei – Film dabei“. Serviert wird feine Filmkunst von Bal bis Bright Star, aber erst nach dazupassenden Spezereien wie der köstlichen Sulmtaler Želodec. Stolz sind die sympathischen Gastgeber auf ein Promi-„Testimonial“, den TV-Star Erwin Steinhauer.


Cine Matzen

Nostalgisch denkt Hans Schwab an Zeiten zurück, „als es in jedem Weinviertler Dorf ein Kino gegeben hat“ oder „als Pierre Brice mit seinen Winnetou-Filmen bei uns zu Gast war“. Sein Vater hat 1928 das Kino in Matzen gebaut, sein Onkel hat die Klavieruntermalung zu den Stummfilmen beigesteuert, 1999 hat er das Haus seinem Sohn Herbert überschrieben. 300 Plätze hatte es in besseren Tagen, heute werden die vorhandenen 156 kaum einmal zur Gänze gebraucht: Die Nähe zur Hauptstadt stellt hier ein ähnliches Problem dar wie etwa im Fall der Filmbühne Deutsch-Wagram. Obwohl das Cine Matzen bei allem rustikalen Charme bequem gepolstert ist und über Dolby-Surround-Sound verfügt, kommt es – wie viele ungünstig gelegene Einsaal-Landkinos – über 6.000 bis 7.000 Besucher jährlich nicht mehr hinaus. Immerhin betreiben die Schwabs neben einem Gasthaus am Hauptplatz auch ein Bierlokal und ein mexikanisches Restaurant gleich neben dem Kino – ideal für einen Familienausflug. Ob sich aber eine Digitalisierung oder gar Aufrüstung auf 3D auszahlen könnte, ist in Matzen höchst fraglich. Man hofft auf verregnete Sommer wie diesen, behilft sich mit den jahrzehntelangen Kontakten zu den Verleihern, und holt sich z. B. von Warner den finalen Harry Potter in Rollen statt in Digital-3D, dafür pünktlich zum Kinostart.