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Laurence Fishburne

Laurence Fishburne

Contagion – „Ich bin kein Aussenseiter“

| Thomas Abeltshauser |

Er war der erste schwarze Film-Othello und spielte in der „Matrix-Trilogie als Morpheus nicht nur Keanu Reeves an die Wand. Nun rettet Laurence Fishburne, gerade fünfzig geworden, in Steven Soderberghs Virenthriller „Contagion die Welt. Ein Gespräch.

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Ein Film, nach dem man sich am liebsten gründlich die Hände waschen will. Steven Soderbergh spielt in Contagion durch, was passiert, wenn ein unbekanntes Virus ausbricht, sich in Windeseile über den Globus ausbreitet, Millionen Menschen dahinrafft – und keiner so genau weiß, wovor man sich eigentlich schützen soll. Und vor allem wie. Schon die ersten Szenen, in denen man in Großaufnahmen Hände im Nahverkehr an Haltestangen oder in einer Bar in eine Schale mit Knabbereien greifen sieht, lassen am eigenen Körper spüren: Die Angst selbst ist oft ansteckender als jedes Virus. Soderbergh reflektiert, wie sich diese Angst über alle Medienkanäle ausbreitet, und das sagt dann auch sehr viel über unsere heutige Hysteriegesellschaft aus. Wie seine Ocean’s-Filme bestückt er Contagion mit einer Starbesetzung (darunter Matt Damon, Laurence Fishburne, Gwyneth Paltrow, Kate Winslet und Marion Cotillard), weiß die geradlinigen Blockbuster-Muster aber geschickt mit dem Stil seiner experimentelleren Produktionen zu verbinden. Das Ergebnis ist ein Thriller, der extrem spannend, aber dabei auch gründlich recherchiert und wissenschaftlich fundiert wirkt. Ein Katastrophenfilm für Erwachsene. Abseits des Filmfestivals von Venedig, wo Contagion Anfang September Weltpremiere feierte, residiert Laurence Fishburne mit seiner Frau auf der kleinen Insel Giudecca im Nobelhotel Cipriani. Entspannt, aber hellwach erscheint er in einem indisch anmutenden weißen Sommeranzug, der wie geschaffen scheint für die humide Hitze dieses Spätsommertags. Er spricht ruhig und mit gedämpfter Stimme und schafft es trotzdem mühelos, die ganze Hotelbar mit seiner Präsenz zu füllen.

Sie waren der erste schwarze Othello. Wie gut kennen Sie Venedig?
Laurence Fishburne:
Nicht so gut, wie ich gerne würde. Aber ich habe mich bei meinem ersten Besuch in die Stadt verliebt, das war 1995 bei den Dreharbeiten zu Othello. Ich kam dann ein paar Jahre später wieder für eine Wahnsinnsparty, die Paul Allen hier geschmissen hat. Und meine Frau und ich haben unsere Flitterwochen hier verbracht. Ich fühle wie viele eine ganz besondere Verbindung zu Venedig.

Bei Contagion stellt man sich als Zuschauer unweigerlich die Frage, wie man selbst angesichts der Bedrohung einer Virenseuche reagieren würde. Haben Sie das auch getan, während des Drehs oder bei den Vorbereitungen auf die Rolle?
Laurence Fishburne: Ehrlich gesagt, nein. Aber ich hatte viele Gelegenheiten, mit Dr. Ian Lipkin zu sprechen, der auch unser Berater war und den gleichen Job hat wie meine Filmfigur. Jeden Tag zeigte er mir auf seinem Smartphone, welches Virus er gerade wieder nachverfolgt hat. Das bringt einen schon zum Nachdenken. Aber letztlich war ich doch froh, dass dem überhaupt jemand Aufmerksamkeit schenkt und sich darum kümmert. Denn es hört nie auf: Irgendetwas ist da draußen immer unterwegs, und die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs ist gar nicht so gering.

Der Film wirft auch moralische Fragen auf, vor allem für die Experten in verantwortungsvollen Positionen: Wenn es nicht genug Gegenmittel gibt, helfe ich dann einigen wenigen aus meinen nächsten Umfeld oder verteile ich den Wirkstoff gleichmäßig?
Laurence Fishburne: Dieser Job bringt viele verschiedene Verantwortungen mit sich. Meine Figur überschreitet an einem Punkt klar eine Grenze und behandelt jemanden bevorzugt – was er eigentlich nicht tun sollte.

Fragt man sich da nicht unwillkürlich: Wie würde ich in dieser Situation handeln?
Laurence Fishburne: Ich bin mir sicher, ich würde genau dasselbe tun.

Steven Soderbergh findet hier eine gute Balance zwischen seinen Blockbusterproduktionen und den experimentellen Filmen …
Laurence Fishburne: Wie schon in Traffic, wo ihm ein sehr dokumentarischer Stil gelang. Für mich ist Contagion da sogar ein bisschen mehr Mainstream. Die Bilder und Farben erinnern mehr an klassisches Hollywoodkino, aber es stimmt: Das Thema und wie er es angeht, hat fast etwas Wissenschaftliches, aber die Inszenierung hat doch eher die Größe eines Blockbusters, und es hat etwas Globales, man fühlt sich wirklich um die ganze Welt geführt.

Der Film erinnert bisweilen an die alten Katastrophen-Filme wie The Towering Inferno (1974). Würde Sie ein solches Projekt heute reizen?
Laurence Fishburne: Die Produktionskosten für einen Film haben sich seit dieser Zeit vervielfacht. Damals war es keineswegs unüblich, eine internationale Besetzung zu haben, was heute meist unbezahlbar ist. Contagion wirkt auf den ersten Blick wie ein Mammutfilm alter Schule, dabei ist er tatsächlich sehr intim. Es gab zum Beispiel im Originaldrehbuch einen Handlungsstrang, der in Abu Dhabi spielte und komplett gestrichen wurde.

Sie wurden vor einigen Wochen fünfzig. Ist das ein Moment, an dem man innehält und darüber nachdenkt, wie weit man es gebracht hat?
Laurence Fishburne: Ich bin sehr glücklich, fünfzig Jahre alt zu sein. Mir geht’s gut. Ich arbeite seit vierzig Jahren als Schauspieler, ich kann mich nicht beschweren.

Eine Ihrer ersten Rollen war als Junge in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now 1979. Wie haben sich die Filmbranche und die Situation als Schauspieler seitdem verändert?
Laurence Fishburne: Die Filmindustrie hat sich vor allem in den letzten fünfzehn Jahren komplett verändert. Nicht nur für Schauspieler, für alle hat sich die Situation geändert. Die Neuen Medien, das Internet und die Vertriebswege. Kennen Sie Blockbuster, die Videokette? Tot, vorbei. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren für möglich gehalten? Ich sicherlich nicht. Heute regiert Netflix, wo man eine schier unendliche Auswahl hat und sich Filme legal in wenigen Minuten herunterladen kann.

Welchen Einfluss hat der technische Fortschritt auf Ihre Arbeit als Schauspieler? Sie müssen noch immer vor einer Kamera stehen …
Laurence Fishburne: Es wird immer Schauspielerei sein; selbst bei einem Film wie Rise of Planet of the Apes heißt das Zauberwort „Performance Capture“, wo jemand wie Andy Serkis, der Gollum aus Lord of the Rings, vor einer Kamera spielt und mit Hilfe neuester Technik in einen Affen verwandelt wird. Unsere Arbeit hat sich nicht geändert, aber die Art, wie sie verarbeitet und vertrieben wird.

Ein Film, der in dieser Hinsicht revolutionär war, ist Matrix.
Laurence Fishburne: Der auch schon wieder eine Dekade alt ist und längst überholt. Aber Matrix hat etwas angestoßen, den Boom der Comic-Adaptionen etwa, weil er der erste Film war, der die Erwartungen übertroffen hat. Danach wurden aus Marvel Comics und asiatischen Martial-Arts-Filmen, die vorher nur ein Nischenpublikum interessierten, plötzlich weltweite Megahits. Umso glücklicher bin ich, dass es einen Film wie Contagion überhaupt gibt, weil er mit all dem nichts zu tun hat. Es ist ein geradliniger Thriller, intelligent und angsteinflößend, aber ohne all das Drumherum.

Trotzdem ist der Film digital gedreht und thematisiert geradezu obsessiv, wie wir heute über Blogs, Twitter etc. kommunizieren.
Laurence Fishburne: Stimmt, wir nutzen die neuen Technologien und wir thematisieren sie auch, aber eben so alltäglich, wie wir es auch tatsächlich tun.

Wenn man das Kino verlässt, will man am liebsten nichts und niemanden anfassen, eine solche Paranoia erzeugt der Film.
Laurence Fishburne: Oh, gut! Das ist sehr gut. Dann haben wir etwas richtig gemacht. Beim Drehen habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht, aber als ich dann den fertigen Film gesehen habe, ging es mir genauso: Wo ist das nächste Waschbecken zum Händewaschen?

Ein Genre, das weitgehend verschwunden oder zumindest nicht mehr so präsent ist, ist das New Black Cinema der frühen neunziger Jahre, als Sie mit Leuten wie Spike Lee und John Singleton gedreht haben.
Laurence Fishburne: Solche Filme werden heute nicht mehr finanziert. Ich weiß nicht warum, aber solche Dinge sind zyklisch. In den Siebzigern gab es die Blaxploitation-Filme, in den Neunzigern dann das New Black Cinema und demnächst passiert vielleicht wieder etwas.

Sehen Sie Anzeichen dafür?
Laurence Fishburne: Ich halte es für möglich. Aber viele von damals machen immer noch Filme, Spike Lee, F. Gary Gray, Antoine Fuqua. Was es nicht mehr gibt, sind diese sehr persönlichen Geschichten, die Leute wie Spike oder John in den frühen Neunzigern machten. Dafür ist offensichtlich kein Geld da.

Sie haben begonnen, selbst Filme zu produzieren. Welche Art von Filme darf man von Produzent Fishburne erwarten?
Laurence Fishburne: Ein Projekt, das ich seit geraumer Zeit entwickle, ist Paul Coelhos Weltbestseller „Der Alchimist“. Es ist ein langwieriger Kampf.

Was ist so schwer? Von außen betrachtet, klingt es wie ein sicherer Hit.
Laurence Fishburne: Zum Beispiel der Arabische Frühling, fangen wir damit an. Wie erzählt man diese Geschichte, wenn in Ägypten und in der islamischen Welt gerade alles in Aufruhr ist? Man muss sehr sensibel gegenüber den Menschen und ihrer Kultur sein und jedes Klischee vermeiden. Und es findet sich in der derzeitigen Lage schlicht niemand, der einen Film finanzieren will, der in dieser Gegend vor hundert Jahren spielt.

Das heißt, Ihnen wird diese Sensibilität nicht zugetraut?
Laurence Fishburne: Natürlich wird es sensibel und intelligent sein, und ich werde diesen Film machen, glauben Sie mir. Aber gerade, weil der Roman so beliebt ist, muss man es auch wirklich gut machen.

Warum ausgerechnet „Der Alchimist“?
Laurence Fishburne: Weil mich die Geschichte angesprochen hat, wie so viele andere Leser weltweit. Es ist eine einfache und zugleich tiefgründige Geschichte, die davon handelt, herauszufinden, wofür man brennt, und seiner Leidenschaft zu folgen. Diese Idee kann sicher jeder von uns nachvollziehen und sie hat ganz sicher mich inspiriert, meinen Weg weiterzugehen.

Daneben stehen Sie derzeit auch für Superman – Man of Steel vor der Kamera.
Laurence Fishburne: Gleich nach Venedig muss ich auch wieder nach Chicago zum Dreh. Ich spiele Perry White, den Chefredakteur der Tageszeitung „Daily Planet“. Zac Snyder führt Regie, was mich total begeistert. Ich halte ihn für den absolut Besten, wenn es darum geht, Comics fürs Kino zu adaptieren, vor allem was das Visuelle angeht.

Sie spielen also den Boss …
Laurence Fishburne: Ja, ich bin der Boss. Seit ich fünfzig geworden bin, ist das so eine kleine Gewohnheit geworden.

Ist das vielleicht auch der Grund, warum diese persönlichen Filme des New Black Cinema ein wenig leiser geworden sind, weil es mittlerweile auch in Mainstream-Filmen schwarze Bosse, Präsidenten, sogar Götter gibt?
Laurence Fishburne: Das kann man so sehen. Sicher gibt es einige Gesichter, wie Morgan Freeman, Forest Whitaker oder mich, und Regisseure wie Spike Lee und John Singleton, die Teil des Mainstreams sind. Aber ich denke schon, dass immer Platz für neue Stimmen ist. Und es gibt sicherlich ein Bedürfnis nach schwarzen Filmemacherinnen und Filmemachern, auch nach jungen Latino-Regisseuren. Vor allem mit unserem Immigrationsproblem. Neues Blut ist immer notwendig, aus welcher Community es kommt, ist letztlich zweitrangig.

Sehen Sie sich als Teil des Mainstreams?
Laurence Fishburne: Oh, klar. Ich bin sicher kein Außenseiter. Wenn ich Perry White in Superman spiele, muss ich irgendwie Teil des Establishments sein. Vor zehn Jahren hätte ich noch den schwarzen Typen gespielt, der als erster draufgeht. Das hat sich geändert.

Contagion erinnert teilweise auch an die Überschwemmungskatastrophe in New Orleans.
Laurence Fishburne: Ich war selbst unmittelbar betroffen, weil ich ein Haus dort habe. Was damals passierte, war vor allem eins: ein komplettes Versagen der Regierung. Wir hatten zu der Zeit allerdings noch einen anderen Präsidenten …

Barack Obama ist seit drei Jahren Präsident, und einige Ihrer Kollegen wie etwa George Clooney, so heißt es, sind etwas enttäuscht von ihm …
Laurence Fishburne: Ach, wirklich? Die sollten mal versuchen, seinen Job zu machen. Dann würden wir sehen, wie sehr sie enttäuschen. Ich finde das überhaupt nicht. Für das, was er damals übernehmen musste, schlägt er sich sehr gut. Was erwarten Sie denn? Zwei Kriege, ein Land am Rande des Zusammenbruchs … Er hat viel erreicht: Wir sind fast raus aus einem Krieg, der schon länger dauert als der Zweite Weltkrieg oder der Vietnamkrieg, der Deal für die Autoindustrie, die Gesundheitsreform – das sind alles sehr smarte Dinge. Klar muss er Kompromisse eingehen, aber wie sollte die Regierung eines Landes ohne funktionieren?

Ein schwarzer Präsident. Hat da das Kino Vorbildfunktion?
Laurence Fishburne: Es gibt noch immer große Vorbehalte, deswegen ist die Tea Party so stark. Dort manifestieren sich seit Obamas Sieg die rassistischen Ressentiments dieser Gesellschaft. Aber natürlich haben Leute wie Morgan Freeman in Deep Impact oder auch Dennis Haysbert als President David Palmer in 24 auf einen schwarzen Präsidenten vorbereitet, Jahre, bevor es Realität wurde.

Wenn Sie heute mit fünfzig den Jungen auf dem Boot in Apocalypse Now sehen, was denken Sie da?
Laurence Fishburne: Guter Schauspieler!