Anonymous

Filmkritik

Anonymous

| Jörg Schiffauer |

Oder: Wer war William Shakespeare?

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Den Spitznamen „Master of Disaster“ hat sich der Mann redlich verdient. Roland Emmerich hat in seinen Filmen die Welt schon mehrfach höchst spektakulär an den Rand des Untergangs getrieben, sei es durch Außerirdische (Independence Day), mutierte Echsen (Godzilla), Klimawandel (The Day After Tomorrow) oder Katastrophen aller Art (2012). Ein Katastrophenszenario der anderen Art bereitet der Regisseur nun mit Anonymous auf, beinhaltet der Plot doch den potenziellen Super-GAU der Literaturwissenschaft. Emmerich bedient sich dabei der von akademischen Verschwörungstheoretikern aufgestellten These, dass kein Geringerer als William Shakespeare gar nicht Autor seines Gesamtwerks sei.
Die Urheberschaft wird im Fall von  Anonymous Edward de Vere, Earl of Oxford zugeschrieben, der aufgrund seiner aristokratischen Herkunft jedoch nicht öffentlich mit – in damalige Zeiten – so profanen Vergnügungen wie Theateraufführungen in Verbindung gebracht werden darf und deshalb einen Strohmann für seine Werke benötigt. Die Rolle soll eigentlich dem Dramatiker Ben Jonson zufallen, der jedoch zunächst nur einen anonymen Verfasser für de Veres Stücke angibt. Doch spontan erklärt sich kurzerhand ein Schauspieler namens William Shakespeare nach einer Aufführung eigenmächtig zum Autor, um damit zum gefeierten Star der elisabethanischen Theaterszene aufzusteigen.
Dieser ein wenig boulevardeske Umgang mit der Literaturgeschichte bildet jedoch nur den Rahmen für einen historischen Politthriller, denn Edward de Vere wird im Verlauf des Films auch in allerlei Umtriebe am Hof von Königin Elisabeth verwickelt. Roland Emmerich hat dabei offensichtlich ein gutes Gespür für den populärkulturellen Zeitgeist, denn ähnlich erfolgreichen Fernsehformaten wie The Tudors und The Borgias präsentiert sich das Leben am königlichen Hof auch in Anonymous als Mix aus Ränkespielen, amourösen Ausschweifungen, Intrigen und Machtkämpfen mit potenziell tödlichem Ausgang. Die Inszenierung verwebt zwar durchaus routiniert unterschiedliche Handlungsfäden und Zeitebenen, doch bleibt Anonymous ein einigermaßen abenteuerliches dramaturgisches Konstrukt mit einem sichtbaren Hang zum Spektakelkino. Dass Emmerich bezüglich Kostümen und CGI-Effekten aus dem Vollen schöpft, um diese historische Epoche ins Bild zu rücken, wird eingedenk seines bisherigen Oeuvres wenig überraschen. „Though this be madness, yet there is method in’t.“ möchte man da anfügen, um einmal mit William Shakespeare zu sprechen.