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Cave of Forgotten Dreams

Cave of Forgotten Dreams

| Roman Scheiber |

Visionär Werner Herzog setzt die berühmte Chauvet-Höhle als Urkulturtempel des „homo spiritualis“ ins Bild: unnachahmlich, sakral, dreidimensional.

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Der Mann steht im Spätherbst seiner Karriere und ist doch umtriebig wie nie. Mit seinem Abel-Ferrara-Remake Bad Lieutenant erregte der 69-jährige Werner Herzog ebenso Aufsehen wie mit der Antarktis-Expedition Begegnungen am Ende der Welt, sein neuer Dokumentarfilm Into the Abyss über die Hinrichtung eines dreifachen Mörders in Texas hatte kürzlich in Toronto Premiere. Und nun hat Tom Cruise ihn sich als Gangster-Gegenpart im Thriller „One Shot“ gewünscht.
Der einstige Klaus-Kinski-Bändiger (Fitzcarraldo, Aguirre) verbindet jahrzehntelange Erfahrung, kindlichen Entdeckergeist, hartnäckigen Forscherdrang und philosophisch-poetische Assoziationslust zu einer unnachahmlichen Mischung, deren jüngste Ausprägung sich dem Glück des Tüchtigen verdankt: Als Herzog die Drehgenehmigung für die 1994 entdeckte Chauvet-Höhle im Ardèche-Tal in Südfrankreich erhielt, fühlte er sich laut eigener Aussage wie das Mädchen im Sterntaler-Märchen, dem Gold in die ausgebreitete Schürze fällt. Glück hat Herzog auch mit seinem Kameramann Peter Zeitlinger und der handlichen Digicam-Stereografie, die sich als überaus brauchbar erwies: Die mehr als 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien, überwiegend dynamische Tier-Darstellungen (etwa von Pferden, Mammuts, Wollnashörnern, Bisons, Löwen, Höhlenbären, Vögeln, Insekten), aber auch ein Mischwesen aus Frau und Tier oder kalzit-überzogene, glitzernde Bärenschädel scannt die 3D-Kamera wie einen Goldschatz aus der Eiszeit. Das Publikum wird Zeuge der ersten, hier plastisch überlieferten Kulturentäußerungen des Menschen, den Reliefstrukturen der Höhlenwände adäquat und mit erkennbarem Gestaltungswillen gemalt. Immer tiefer dringt Herzog mit seinem 3-Mann-Team in das Höhlensystem ein, bringt die Bilder mit Licht und Schatten zum Tanzen, lässt die mystisch-sakralen Klänge des Komponisten Ernst Reijseger dazu anschwellen, schließt den Anfang der Kunst mit deren jüngster Tricktechnik kurz – nicht ohne zwischendurch Luft zu schnappen und aus dem Heer von Experten die kauzigsten für auflockernde Interviews vor die Kamera zu holen (Schamanismus-Experte Jean Clottes führt einen alten Speerwurftrick vor, Höhlenforscher Wulf Hein bläst auf einer rekonstruierten Elfenbein-Flöte den „Star-Spangled Banner“). Und die Landschaft vor der Höhle, die Herzog an eine Wagner-Oper-Szenerie oder ein Bild des Romantikers Caspar David Friedrich erinnert, lässt der verspielte Poet u.a. mit einer ferngesteuerten Modellhubschrauber-Kamera filmen, was einen herrlichen Kontrast zur unheimlichen Stimmung in der Höhle ergibt. Überzeugender kann man 3D kaum einsetzen.