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Mein Haus stand in Sulukule

Mein Haus stand in Sulukule

| Günter Pscheider |

Dokumentation des Kampfes der Bewohner eines Roma-Viertels in Istanbul gegen die Vertreibung aus ihren Häusern

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In ihrem zweiten Dokumentarfilm nach dem sehr persönlichen Marhaba Cousine setzt sich die renommierte Kamerafrau und Regisseurin Astrid Heubrandtner mit dem weltweiten Phänomen der Gentrifizierung auseinander und beobachtet anhand einer bedrohten Community mitfühlend und analytisch die Folgen dieser Profitmaximierung auf Kosten der Ärmsten der Gesellschaft. Sulukule war eine der ältesten Romasiedlungen und fungierte bis in die neunziger Jahre als stark frequentiertes Vergnügungsviertel von Istanbul, bevor die Behörden wegen angeblicher Prostitution Musik- und Tanzdarbietungen untersagten und damit den langsamen Verfall des Stadtteils einleiteten. In den letzten Jahren wurden fast alle, oft jahrhundertealten Häuser

geschliffen, um neue Wohnungen für eine betuchtere Klientel zu errichten. Die Regisseurin filmte drei Jahre lang den aussichtslosen Kampf der letzten verbliebenen Roma, ihre Häuser gegen den Willen der Stadtverwaltung doch noch behalten zu können. Den Mietern wurden Ersatzwohnungen in einer über zwei Stunden entfernten Vorstadt angeboten, das funktionierende Nachbarschaftsgefüge nachhaltig zerstört. Die rechtliche Situation in diesem Streit wird zwar thematisiert, aber nicht vollständig geklärt, deswegen sind die Szenen, in denen Anwälte für die unterprivilegierten Mieter mit den Behörden verhandeln, bisweilen etwas verwirrend. Viel mehr als juristische Spitzfindigkeiten interessieren die Regisseurin sowieso die Menschen hinter diesem Drama um den Verlust der ideellen und tatsächlichen Heimat.

In den stärksten Passagen des Films beobachtet die Kamera ganz unaufdringlich nicht nur die unzähligen Schutthaufen, die an eine zerbombte Stadt denken lassen, sondern vor allem die Auswirkungen der Vertreibung auf die Psyche der Bewohner. Alltagsszenen des Streits und der Versöhnung zwischen einer alleinerziehenden Mutter und ihrem später wegen Drogengeschichten inhaftierten Sohn, die an Michael Kohlhaas erinnernde Story eines Mannes, der seine Familie aufgab, um weiter gegen das Unrecht ankämpfen zu können, oder ein trauriger Besuch beim ehemaligen Lebensmittelnahversorger, der jetzt in einem wenig frequentierten Einkaufszentrum mehr schlecht als Recht seinen Lebensunterhalt verdienen muss, bringen uns diese Menschen und ihre aussterbende Kultur näher.

Von den meisten Protagonisten hätte man gern noch mehr erfahren und gesehen, aber das ist eben das Problem von Dokumentarfilmen, die an Hand von Einzelschicksalen ein interessantes Thema behandeln: Die übliche Länge von 90 Minuten reicht nicht aus, um sowohl den Fakten als auch den Menschen ganz gerecht werden zu können.