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Nicolas Winding Refn

Drive

Ich besitze nicht mal einen Führerschein

| Thomas Abeltshauser |

Der für Drive“ mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnete Däne Nicolas Winding Refn im Gespräch über Fahrzeuge, pickige Märchen und Bremser in Hollywood.

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Das ist eine ziemlich coole Jacke, die Hauptdarsteller Ryan Gosling in Ihrem Film trägt. Wo haben Sie die gefunden?
Nicolas Winding Refn:
Wir haben sie eigens für den Film anfertigen lassen. Zuerst wollten wir nur so eine Sixties-Jacke haben, aber dann dachten wir, wäre doch cool, ein Symbol darauf zu haben. Der Kostümdesigner ist ein großer Fan von Kenneth Angers Kurzfilm Scorpio Rising, und so kam er auf den Skorpion. Es ist eine Replika von Kenneth Angers Logo.

Drive
fühlt sich an und sieht aus wie ein Film aus den achtziger Jahren. Was waren Ihre Vorbilder und Einflüsse?
Nicolas Winding Refn: Kein Film im Speziellen. Aber was den Film sehr prägt, ist ein Subgenre namens L.A. Noir, und darin gibt es ein noch kleineres Subgenre namens Neon Noir, das sind nur ein paar Filme. Den Titelschriftzug wiederum habe ich von Risky Business (Lockere Geschäfte, 1983) mit Tom Cruise.

Sie waren bislang als europäischer Autorenfilmer bekannt. Was ist Ihr Verhältnis zu amerikanischem Genrekino?
Nicolas Winding Refn: Ich liebe es! Aber ich glaube auch, dass es am besten ist, wenn es einen europäischen Einfluss hat, so wie mir umgekehrt die europäischen Filme am besten gefallen, die sich am amerikanischen Kino orientieren. Es kommt nicht von ungefähr, dass jene Ära, in der die Kinosprache ihre Blütezeit erlebte, nämlich das Hollywood der zwanziger bis vierziger Jahre, europäische Filmemacher dominierten. Von Murnau bis zu den Osteuropäern, die vor den Nazis in die USA geflohen waren. In den sechziger und siebziger Jahren waren es dann amerikanische Regisseure, die „europäische“ Filme machten. Was wir heute klassisches Kino nennen, war schon immer ein Kind dieser transatlantischen Verbindung.

Wie kamen Sie konkret an Drive?
Nicolas Winding Refn: Weil mich Ryan Gosling gefragt hat, ob ich den Film inszenieren will. Das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es klingt. Auch Steve McQueen hat für Bullitt Peter Yates aus Europa geholt und Lee Marvin wollte Point Blank nur mit dem damals noch recht unbekannten Briten John Boorman machen. Aber um die Geschichte abzukürzen: Ich wollte!
Ursprünglich wurde das Projekt bei Universal entwickelt, als 60 Millionen Dollar teurer Actionfilm mit Hugh Jackman in der Hauptrolle. Es basierte auf einem merkwürdigen Neo-Noir-Roman von James Sallis, aber irgendwie dachten die Studiobosse beim Titel Drive wohl an so etwas wie Fast and Furious. Aber sie bekamen es nicht finanziert, und irgendwann landete das Drehbuch bei Ryan, der die Idee eines Autofilms toll fand, es aber nur machen wollte, wenn er sich den Regisseur aussuchen kann. Zu der Zeit las ich meiner Tochter eine Menge Märchen vor und ich wollte etwas in der Art auch als Film machen, aber auf keinen Fall einen konventionellen Märchenfilm, das wäre mir zu pickig.
Mich faszinieren die Struktur und die Mythologie von Märchen, es ist mit die komplexeste Art Geschichten zu erzählen. Und ich hatte sofort dieses Bild von einem Typen im Kopf, der zu lässiger Musik Auto fährt, wie ein Ritter. Und dann gibt es ein unschuldiges Mädchen, das gerettet werden muss. Erst danach habe ich den Roman gelesen und fand ihn verdammt großartig. Im Drehbuch von Universal kam die ganze Stuntman-Geschichte überhaupt nicht vor, aber gerade das fand ich interessant daran. Also fing ich an, mit Hossein Amini das Buch neu zu adaptieren.

Wie wichtig war die Auswahl der Fahrzeuge?
Nicolas Winding Refn: Ich habe keine Ahnung von Autos. Ich besitze noch nicht mal einen Führerschein. Also habe ich Ryan gefragt, welches Auto er fahren will. Es musste zu ihm passen, es ist so wichtig wie das richtige Kostüm. Ich finde es immer besser, die Schauspieler zu fragen, was sie anziehen würden, und sie so ihre Rolle sehr persönlich gestalten. Dasselbe gilt hier für das Auto, es ist Teil der Persönlichkeit dieser Figur. Meine Art Regie zu führen, ist nicht zu sagen, was sie zu tun haben, sondern sie dazu zu inspirieren, ihr Bestes zu geben.

Gilt diese Freiheit auch für andere Aspekte des Films, etwa den Soundtrack?
Nicolas Winding Refn: Ich hatte drei Popsongs, die ich verwenden wollte, und der Rest des Soundtracks sollte so in der Art klingen. Ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Rockmusik, mir schwebte eher so was wie eine frühe Kraftwerk-Platte vor, diese ersten komplett von Maschinen generierten Melodien, die zugleich retro und total zeitlos klingen.

Fiel Ihnen der Wechsel von der Arbeitsweise in Europa zu der in Hollywood schwer?
Nicolas Winding Refn: Ich war immer eine Ein-Mann-Armee. Auch hier waren es im Grunde nur Ryan und ich, weil wir zusammen einen Film machen wollten über einen schweigsamen Typen, der mit dem Auto durch L.A. fährt. Wir waren ein eingeschworenes Team, das mit seiner waghalsigen Idee durchkommt. Wie die Velvet Underground von Hollywood. Der Rest war einfach, auch wenn wir wenig Geld und kaum Zeit hatten. Die Produzenten haben den Film erst bei der Premiere in Cannes zu sehen bekommen. Entgegen all den Horrorgeschichten, die man aus Hollywood hört, hatte ich eine sehr gute Erfahrung. Ich hatte ein Haus in den Hollywood Hills mit Pool und einem Orangenbaum. Es fehlte nur das Kokain, und es wäre das reinste Klischee gewesen.

Hatten Sie keinerlei Bedenken, irgendwann ausgebremst zu werden?
Nicolas Winding Refn: Klar. Was die Gewalt anging, zum Beispiel. Aber vor allem das Schweigen des Helden. Das fürchtet man in Hollywood am meisten, viel mehr als Gewalt, weil durch Stille die Zuschauer möglicherweise zu denken anfangen und sich eine Meinung bilden. Davor haben die Studios einen Riesenschiss. Zum Glück hat der Film nicht so viel gekostet, deswegen hatte ich große Freiheiten. Man ließ mich gewähren.

Wie führt man Schauspieler, die kaum Dialog haben?
Nicolas Winding Refn: Ich hatte zuvor Walhalla Rising über einen quasi stummen Helden gedreht, hatte also Erfahrung damit. Der Vorteil an Ryan Gosling ist: Man kann ihm stundenlang zuschauen, ohne seiner überdrüssig zu werden. Das ist eine sehr seltene Gabe.

Wie haben Sie die recht ungewöhnlichen Verfolgungsjagden entwickelt?
Nicolas Winding Refn: Wir hatten dafür nur zwei Tage Zeit, es musste also schnell gehen. Die erste Fahrt findet nur im Inneren statt. Und die zweite ist fast wie das Flugzeug in Hitchcocks Der unsichtbare Dritte: Es taucht plötzlich aus dem Nichts auf, als Bedrohung. Das hat etwas Traumhaftes, es geht mir um den Sound, der Geschwindigkeit suggeriert.

Ist das nun Ihr Ticket nach Hollywood? Oder werden Sie weiter in Europa Filme inszenieren?
Nicolas Winding Refn: Ich will nicht in L.A. leben und ich habe kein Interesse an Hollywood. Es hat Spaß gemacht, dort zu drehen, weil ich den Mythos Hollywood nutze, aber ich brauche das Haus mit Pool nicht.