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Der Schnee am Kilimandscharo

Der Schnee am Kilimandscharo

Der Schnee am Kilimandscharo / Les neiges du Kilimandjaro

| Walter Gasperi |

Warmherziges Sozialmärchen, das eine generationenübergreifende Solidarität der Arbeiterschaft beschwört.

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Pascal Danels 1966 aufgenommenes Chanson „Les neiges du Kilimandjaro“ gibt Robert Guédiguians Sozialdrama den Titel, doch über Marseille werden die Figuren nie hinauskommen. In der südfranzösischen Hafenstadt wurde der Regisseur geboren, hier spielen die meisten seiner Filme. Die blinde Vertrautheit mit dem Milieu merkt man auch seinem jüngsten Werk an, zu dem sich Guédiguian von Victor Hugos Gedicht „Die armen Leute“ inspirieren ließ.

Wie so oft erzählt der überzeugte Kommunist auch hier eine Geschichte aus dem Arbeitermilieu und beginnt mit der Entlassung von Werftarbeitern. Selbstlos setzt sich der etwa 50-jährige Gewerkschafter Michel dabei selbst auf die Liste der Gekündigten. Einen Helden des Alltags sieht seine Frau Marie-Claire in ihm. Charmant spielt Guédiguian mit diesem „Heldentum“, wenn er Michel zum Fan von Superhelden-Comics macht.

Seit Jahrzehnten ist das von Jean-Pierre Darroussin und Ariane Ascaride mit viel Gefühl gespielte Paar glücklich verheiratet. Kontinuierlich hat man sich hochgearbeitet, hat ein Einfamilienhaus in der Stadt, genießt die Abende mit Kartenspiel oder Grillfesten und hilft den Kindern beim Bau ihres eigenen Hauses am Stadtrand. Zum Abschied von der Werft schenken Freunde und Bekannte Michel und seiner Frau die schon lange gewünschte Afrikareise, doch Geld und Tickets werden wenig später bei einem brutalen Raubüberfall gestohlen. Groß sind Wut und Zorn über die Tat, doch Guédiguian nimmt einen Perspektivenwechsel vor und stellt dem gesellschaftlich gut situierten und materiell abgesicherten Paar die schwierige Lebenssituation des Täters gegenüber. Differenziert macht der Franzose so die Risse sichtbar, die sich innerhalb der Arbeiterschicht zwischen den Generationen auftun. So sehr der Überfall zu verurteilen ist, so verschwimmen in einer Welt, in der man ums Überleben kämpfen muss, doch bald die scheinbar klaren Grenzen zwischen Gut und Böse. Damit nimmt aber auch der ganz im Alltäglichen geerdete und unaufgeregt inszenierte Film eine märchenhafte Wendung. Wie in Aki Kaurismäkis Le Havre oder in Le Gamin au vélo der Dardenne-Brüder fließen auch hier soziale Realität und utopischer Glaube, dass sich alles zum Guten wenden wird, zusammen. Da freilich hier wie dort das Märchenhafte auch als solches gekennzeichnet ist, wird Der Schnee am Kilimandscharo nie zu einem verlogenen Rührstück, sondern bleibt durch den warmherzig-mitfühlenden Blick auf die Figuren eine zarte Ode an Solidarität und Mitmenschlichkeit, die man mögen muss.