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Diagonale

Wo man Gott noch fürchtet

| Alexandra Seitz |

In ihrem Spielfilmdebüt „Spanien“ erzählt Anja Salomonowitz vom Hoffen und vom Scheitern, vom Aufbrechen und vom Ankommen, von Menschen und von Heiligen, von Himmel und von Hölle.

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Und warum wollen Sie unbedingt nach Spanien?“, fragt der Mann den anderen, jüngeren, den er auf der Landstraße aufgelesen und auf seinem Mofa mitgenommen hat, und den er nun an einer Bushaltestelle im nächstgelegenen Dorf absetzt. „Die Menschen dort fürchten noch Gott … wo man Gott fürchtet, kann man gut leben“, antwortet der mit einem deutlichen, aber regional nicht so recht zuzuordnenden Akzent. Der ältere Mann fährt davon, kommt nachhause, zieht sich um, und während er seinen Talar anlegt, murmelt er: „Fürchten noch Gott … dass ich nicht lache!“ Dann fährt der Pfarrer erneut los und holt den Ausländer an der Haltestelle ab, nimmt ihn mit, gibt ihm Arbeit, lässt ihn in seiner stark renovierungsbedürftigen Kirche wohnen und leiht ihm sein Mofa, damit er nach Wien fahren kann. In Wien nämlich hat der Mann – der Sava heißt, aber das erfährt man erst aus den Endcredits – im „Haus der kompetenten Finanzvermittlung“ auf der Ottakringer Straße eine Rechnung mit dem Chef zu begleichen. Schließlich hat er 7000 Euro dafür bezahlt, von Moldawien nach Spanien gebracht zu werden. Gelandet ist er in Niederösterreich! Macht 4000 Euro Rückerstattung, bitte sehr! Freilich stellt sich der Chef erst ein bißchen an, aber Sava ist ein Mann, der weiß, was er will und wie er es erreicht. Oder: Der weiß, was ihm zusteht und wie er es bekommt.

Welcher Formulierung man hier den Vorzug gibt, hängt davon ab, wie nüchtern man die Vorgänge in Anja Salomonowitz’ Spielfilmdebüt Spanien betrachten will. Ob man sie eher aus einem materialistischen, faktenorientierten Blickwinkel heraus wahrnimmt oder ob man den überall in den Bildern ausgelegten Fährten ins Symbolische, Immaterielle, Idealistische, gar: Metaphysische zu folgen bereit ist.

Schließlich ließ sich auch Kurz davor ist es passiert, Salomonowitz’ formalistische Versuchsanordnung zum Thema Frauenhandel, in der sie die Opfer- und die Täterperspektive mit dem Mittel der menschlichen Stimme verknüpfte, auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig rezipieren. Indem sie fünf Protokolle von Opfern des globalen Frauenhandels von Menschen vortragen ließ, deren Lebens- und Arbeitsumfeld mit dem Geschilderten jeweils in eine Art Zusammenhang gebracht werden konnte, machte Salomonowitz erstaunliche Überlagerungen und Widersprüche sichtbar und hinter der formalen Abstraktion eine gesellschaftliche Struktur: Zwar steht der Alltag derjenigen, die erzählen, und der derjenigen, von denen erzählt wird, zueinander in einem scharfen Kontrast, doch handeln beide in der selben Lebenswirklichkeit und haben nur die eine Stimme.

Doppelbödige Spiegelungen

Das „Haus der kompetenten Finanzvermittlung“ auf der Wiener Ottakringer Straße fungiert wie ein Knotenpunkt, eine Kreuzung, an der sich die beiden, auf zwei zeitlich ineinander gelegten Zeitebenen angesiedelten Erzählstränge, aus denen Spanien weniger zusammengesetzt als vielmehr gewoben ist, einmal kurz berühren, bevor sie am Ende – einem jener Enden, mit denen alles beginnt – mit Karacho aufeinander treffen. Und obgleich sie das „Haus der kompetenten Finanzvermittlung“ nie betritt, steht mitten auf dieser Kreuzung Magdalena. Magdalena: Restauratorin, Ikonenmalerin (Ikonenfälscherin?), Exfrau, frisch Verliebte, Opfer, Täterin, Heilige, Hure und Hexe. Gleichfalls beschäftigt in der stark renovierungsbedürftigen Kirche trifft Magdalena auf Sava und es entspinnt sich was. Dahinter dräut, wie eine Wolke, angefüllt mit Wut und Enttäuschung, Magdalenas Exmann, der Fremdenpolizist Albert, der allein schon von Berufs wegen für Unheil sorgt. Und dann ist da noch die tragische Geschichte des Versagens eines spielsüchtigen Kranführers namens Gabriel an seiner Familie, die die andere Geschichte kreuzt und quert. Wie das alles in geschickter Montage aufeinander bezogen wird und schließlich das Bild eines schicksalhaften Gefüges ergibt, ist unmöglich zu schildern, ohne eben dieses Gefüge zu zerstören, muss also sehend erfahren werden.

Während des gesamten Films spricht Magdalena nur einige wenige Sätze, eigentlich sind es nur ein paar Worte, und auch die sind im Grunde nicht von großer Bedeutung. Doch Magdalena ist das Gravitationszentrum, um das herum sich die Figuren und damit alles andere respektive das große Ganze anordnen lassen. Tatjana Alexander in der Rolle Magdalenas füllt dieses Zentrum mit der durchdachten Charakterisierung einer Frau, die tief verwundet wurde und die aus dieser Verwundung mit einem eisernen Willen hervorgegangen ist. Eine Frau, die gepanzert und durchlässig zugleich ist, aller Illusionen beraubt und doch unerschütterlich in ihrer Hoffnung auf Glück.

Wie viel von der biblischen Gestalt der heiligen Hure Maria Magdalena in dieser Hexen-rothaarigen Filmfigur steckt, wird jede/r für sich selbst entscheiden, sollte dabei jedoch nicht außer Acht lassen, dass sie von religiösen Zeichen nicht nur förmlich umzingelt ist, sondern an deren Herstellung und Bewahrung auch aktiv beteiligt.

Dem Evangelium nach Lukas zufolge hatte Jesus sieben Geister aus Magdalena ausgetrieben und sie war seither eine der wenigen Frauen, die dem Prediger durchs Land folgten (Lukas, 8.2). Alle vier Evangelisten berichten zudem von Magdalenas Zeugenschaft bei Jesu Auferstehung. Den Gnostikern und den Rosenkreuzern galt sie als „Gefährtin“ Jesu mit allen daraus folgenden Implikationen. Und Papst Gregor I. setzte die biblische Gestalt der „Sünderin“ (lies: Prostituierten), die Jesus die Füße salbte, mit ihren Tränen benetzte und mit ihren Haaren trocknete (vgl. Lukas, 7.37 ff.) mit der Figur der Magdalena gleich.

In diesem Kontext kann es kein Zufall sein, dass Magdalena in Spanien als eine Frau eingeführt wird, die nachts auf der Straße fremde Männer anspricht und mit zu sich nachhause nimmt. Ebenso wenig wie es Zufall sein kann, dass in der Beziehung zwischen Magdalena und Albert eine Fußwanne und das Übergießen mit heißem Wasser eine Rolle spielen. Also fragt sich, was Salomonowitz mit der christlichen Symbolik, mit der sie ihre Bilder durchzieht, bezweckt. Freilich betreibt Spanien auf fundamentaler Ebene Kritik an den misogynen Projektionen des patriarchalen Monotheismus. Doch bietet die Insistenz, mit der immer wieder in die traurigen Gesichter der Heiligen geblickt wird, auch die Gelegenheit, sich jener Glaubensideale zu erinnern, die im Verlauf Jahrhunderte währender Gewalt- und Unterdrückungspraxis nahezu zum Verschwinden gebracht wurden.

Deswegen ist „Spanien“ auch nicht einfach nur der Sehnsuchtsort Savas, sondern als Heimat der Inquisition und damit Hort besonderer, katholisch motivierter Grausamkeit zugleich Inbegriff dessen, wogegen sich Spanien richtet. Am Ende muss keiner mehr dorthin, um gut leben zu können.

Auf symbolischer Ebene findet, vermittelt über die Figur der Magdalena, eine Wiederaneignung von Frauenbildern statt, wird der Graben zwischen „Heiliger“ und „Hure“ zugeschüttet, bleibt schließlich „nur“ das Weib. Und, möglicherweise, jene Himmelsmacht, die Liebe. Auch deswegen wird der Geschlechtsakt, der zwischen der rothaarigen Hexe und dem offenbar gottesfürchtigen, aber undurchsichtigen Flüchtling in der Kirche stattfindet, vom Pfarrer anschließend nicht mit Vertreibung geahndet. Man kann darin auch eine Geste der Versöhnung sehen, eine Heimholung ins Paradies.