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Die Mühle und das Kreuz

Die Mühle und das Kreuz

Die Mühle und das Kreuz / The Mill and the Cross

| Walter Gasperi |

Bildmächtige und vielschichtige Interpretation des Gemäldes „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel

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Wie ein Vorläufer eines Wimmelbilds wirkt das 1564 von Pieter Bruegel dem Älteren geschaffene Gemälde „Die Kreuztragung Christi“, das heute im Kunsthistorischen Museum in Wien hängt. Übervoll ist es an Figuren, wird dominiert von einer Mühle, die im Hintergrund auf einem spitzen Berg steht, zeigt im Vordergrund die Beweinung Christis, während die vorangegangene Kreuztragung im Bildmittelteil in der Fülle der Figuren fast untergeht. In seine Zeit und die flämische Landschaft hat Bruegel die Passionsgeschichte verlegt, was dem Bild großen Interpretationsspielraum und -reichtum verleiht. Lech Majewski geht bei seiner filmischen Auseinandersetzung mit dem Gemälde einen ganz anderen Weg als Peter Webber, der in Girl with a Pearl Earring nach dem Roman von Tracy Chevalier eine Liebesgeschichte zwischen Jan Vermeer und der dargestellten jungen Frau erfand. Majewski fokussiert dagegen ganz auf dem Bild und seinem Entstehungsprozess.

Mit einer langen Parallelfahrt über die Figuren, die bewusst nicht ganz ruhig stehen und den Bildcharakter damit schon brechen, beginnt der Film und springt dann in die Totale, sodass auch die gemalte Landschaft im Hintergrund ins Bild rückt. Der in England lebende polnische Schriftsteller, Maler und Filmregisseur erfindet nicht nur in weitgehend dialoglosen Tableaux vivants Geschichten zu einigen der dargestellten Figuren, sondern bringt auch den Widerstand der calvinistischen Niederländer gegen die katholischen spanischen Besatzer ins Spiel und schaltet diese zeitgenössische Ebene mit der Passionsgeschichte Christi und den damaligen Verhältnissen in Palästina kurz. Daneben schneidet Majewski aber auch die Bildproduktion selbst an, lässt Bruegel seinem Auftraggeber, dem Antwerpener Kaufmann und Kunstsammler Nicolas Jonghelinck – und damit auch dem Zuschauer – ,Bildaufbau und Bedeutung einzelner Details erklären. Indem dabei der Momentaufnahme und der Statik des Gemäldes, zu dessen Figuren man sich Geschichten ausdenken kann und muss, die Bewegung und Ausformulierung des Films gegenüber gestellt wird, wird The Mill and the Cross auch zum Diskurs über die Unterschiede zwischen Malerei und Film. Kühl und distanziert, akademisch und sicher nicht emotional ist dieser teilweise an ein Diorama erinnernde Film, aber aufregend in seinen inhaltlichen Implikationen und seiner vielschichtigen Interpretation, visuell ein Genuss und weckt unweigerlich die Lust an der Interpretation von Gemälden.