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Das bessere Leben

Filmkritik

Das bessere Leben

| Ines Ingerle |

Malgoska Szumowska hält der Gesellschaft einen Spiegel vor. Juliette Binoche hilft dabei.

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Die Pariser Journalistin Anne (Juliette Binoche) schreibt einen Artikel über Studentinnen, die als Prostituierte arbeiten, um sich ihr Studium zu  finanzieren. Dafür führt sie Interviews mit Charlotte (Anaïs Demoustier) und Alicia (Joanna Kulig). Je mehr Anne mit den beiden jungen Frauen spricht und über sie erfährt, desto unwohler fühlt sie sich mit ihrem eigenen Leben. Zunehmend wird sie sich der emotionalen Distanziertheit zu ihrem

Ehemann, der Verwöhntheit ihrer Kinder und der Oberflächlichkeit der Gesellschaft, in der sie lebt, bewusst. Intuitiv beginnt sie, sich dagegen zu wehren, um letztlich erkennen zu müssen, dass sie, genauso wie die beiden Prostituierten, eine Sklavin der gesellschaftlichen Bedingungen geworden ist. Die polnische Jungregisseurin Malgoska Szumowska schafft es, in Elles ein sehr brisantes Thema – Prostitution im studentischen Milieu – aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und erhellt so unterschiedliche Bereiche. Man erhält Einblick in diese Welt – sowohl aus Sicht der Studentinnen, als auch aus Sicht der Journalistin, die wiederum mit einem Mann verheiratet ist, der, seinem Typ nach, genauso gut ein Klient der beiden Prostituierten sein könnte. So unterschiedlich die drei Frauen auch sind, verbindet sie dennoch die Einsamkeit, die sie alle drei auf völlig unterschiedliche Weise umgibt, und die Faszination, die Freiheit auf sie ausübt.

Der Film beschuldigt niemanden. Er stellt vielmehr Fragen und betrachtet kritisch unsere Gesellschaft mit ihrem geradezu krankhaften Wunsch, verkaufen zu wollen, zu schockieren, zu beeinflussen. Was bedeutet in Wirklichkeit Prostitution für die jungen Studentinnen? Sind sie genügend „Frau“ ihrer selbst und ihrer Körper, dass sie mit diesen sogar Geld machen können und wollen. Oder gaukeln sie sich nur vor, die Oberhand zu behalten, während sie schon längst, einer Sucht gleich, in eine Abhängigkeit abgedriftet sind, die ihnen nach und nach die Zügel ihres Leben aus der Hand nimmt? Was sagt das alles über die Gesellschaft aus?

Klare Antworten werden in diesen 96 Minuten ganz bewusst nicht gegeben; und so beginnt der Zuschauer selbst zu über-legen, zu reflektieren, zu begreifen – und das ist gut so. Zumindest so lange, bis der Blick in den vorgehaltene Spiegel ein wenig ermüdend zu werden beginnt, weil das Spiegelbild sich allmählich verzerrt und unnötige Längen erkennen lässt. Kurz: Irgendwo mittendrin geht dem Ganzen ein wenig die Luft aus. Das ist aber halb so schlimm, denn nach diesem Film muss man so oder so tief durchatmen.