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Andrea Bogad-Radatz

TV-Serien

Es hat sich grundsätzlich alles verändert

| Andreas Ungerböck :: Roman Scheiber |

Andrea Bogad-Radatz, verantwortliche Film- und Serieneinkäuferin im ORF, über Programmfarben und -gespür, die Zwickmühlen des Fernsehmarktes und persönliche Sehgewohnheiten.

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In den ORF kam Andrea Bogad-Radatz Anfang der neunziger Jahre durch ihren Kontakt zu Trautl Brandstaller, der damaligen Abteilungsleiterin für Gesellschaft, Jugend und Familie. 1994 begann die studierte Publizistin und Theaterwissenschafterin zunächst als Redakteurin für deutsche Serien in der Film- und Serienredaktion, später wurde sie Ressortleiterin, 2002 schließlich Hauptabteilungsleiterin für Film und Serien. Bogad-Radatz ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Das Gespräch fand am 21. März in ihrem Büro am Küniglberg statt.

 

Was genau macht eine Film- und Serienchefin im ORF?
Primär bin ich für den Einkauf der Filme und Serien zuständig, aber auch für sehr viele Koproduktionen. Amerikanische Serien und Filme kaufen wir großteils von den Major Hollywood Studios, aber auch von deutschen Partnern. Koproduktionen entstehen vorwiegend in Zusammenarbeit mit deutschen, gelegentlich aber auch mit internationalen Partnern wie etwa bei Die Säulen der Erde oder deren Fortsetzung Tore der Welt.

Was haben Sie so zu tun den ganzen Tag?
Viel arbeiten. Es ist nicht so, wie sich das meine Kinder immer vorgestellt haben, dass ich im Büro sitze und den ganzen Tag fernschauen kann. Das ist  etwas, das man dann abends, am Wochenende oder bei Screenings macht – eigentlich mehr in der Freizeit als im Büro. Hier spielt sich sehr viel in Besprechungen und Sitzungen mit den Redakteuren, unserer Programmdirektorin oder den Programmplanern ab. Das reicht von Beurteilungs- über Angebots- bis hin zu Planungssitzungen, etcetera. Die Aufgaben der Redakteure sind nach diversen Genres wie Drama oder Action eingeteilt. So ist bei den Serien eine meine Mitarbeiterinnen für deutsche, ein anderer für amerikanische  Drama- und wieder eine andere für amerikanische Comedy-Serien zuständig. Denn so hat jeder über sein Genre den besten Überblick.

Welche Parameter fließen in eine Beurteilung ein?
Wir haben so genannte Beurteilungsformulare, wo die Daten festgehalten werden: von wem kommt das Angebot; wer hat die Rechte; Titel; Darsteller; Inhalt; Quoten in den USA, in Deutschland, Großbritannien oder woher auch immer das Programm kommt. Dann zählt die Einschätzung und Erfahrung des Redakteurs. Was spricht für einen Erwerb, was dagegen, welche Auszeichnungen hat das Programm? Für eine Kaufentscheidung muss das Programm natürlich auch den Programmrichtlinien des ORF entsprechen. Jugendschutz ist dabei für uns ein großes Thema. Zu den Kriterien zählt aber auch, wie wir die Erfolgsaussichten einschätzen. Das hat viel mit „Programmgespür“ und Erfahrung zu tun.

Wie kann man sich das Einkaufen vorstellen? Da gibt es Messen, wie in Cannes zum Beispiel?
Genau. Die MIP TV in Cannes findet Anfang April, die MIPCOM jedes Jahr im Herbst statt. Die Upfronts (Anm.: Mitte Mai in New York) sind eher für die Werbekunden gedacht. Die sogenannten May Screenings (Anm.: auch LA Screenings genannt), für Einkäufer oder auch Senderchefs aus der ganzen Welt, sind eine Woche lang ab Mitte Mai in Los Angeles zu sehen. Dort gibt es dann täglich einen Screeningtermin in einem der großen US-Studios und einen ersten Einblick in die neuen Serienpiloten. Das ist eine der wichtigsten Veranstaltungen. Man bekommt ein gutes Gespür dafür, was an Programmfarben kommt und was vielleicht ein Trend ist, der sich erkennen lässt.

Sind Sie immer noch so gespannt darauf wie früher, einen neuen Piloten anzuschauen?
Ja. Ich mache das schon seit 1998, aber es ist wirklich immer wieder aufs Neue sehr interessant. Man trifft dabei auch viele Kollegen von deutschen Sendern und tauscht sich über die Einschätzung der einzelnen Programme aus, pflegt seine Kontakte und macht viel Networking.

Da Sie schon lang dabei sind, können Sie uns sicher sagen, wie sich der Markt verändert hat. Wie schnell muss man entscheiden? Man weiß von den Filmverleihern, dass man oft schon Angebote legen muss, noch bevor man den Film gesehen hat.
Es hat sich grundsätzlich alles verändert. Beim Filmverleih, soweit ich das verfolge, hat sich das alles mittlerweile wieder ein wenig beruhigt. Aber so um das Jahr 2000, als diese Börsenblase alle erfasst hatte, war es tatsächlich so, dass von Produzenten mit Namen spekuliert wurde und man als Filmhändler sehr früh den Zuschlag für einen Film gemacht hat. Dann hat zwar vielleicht ein großer Schauspieler mitgespielt, aber der Film war trotzdem ein Flop. Das hat sich durch Börsencrash und Wirtschaftskrise eigentlich zum Positiven verändert.

Und die programmlichen Veränderungen?
Während wir früher am Spätabend vergleichsweise viele Filmtermine hatten, die wir mit vor allem für das männliche Publikum interessanten Actionfilmen belegt haben, haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich die Publikumsgewohnheiten diesbezüglich geändert haben. Auch die Zeit der B- und C-Movies, die man sich um 23 Uhr angeschaut hat, ist eigentlich seit vielen Jahren vorbei. Das hat sich zu Gunsten der Serien verlagert, die in den vergangenen zehn Jahren einen unheimlichen Aufschwung erlebt haben – vor allem seit amerikanischen Serien im Hauptabendprogramm wie etwa CSI oder Desperate Housewives und so weiter. Vor 15 Jahren war das undenkbar. Im Moment ist das etwas im Abklingen, es gibt nicht diese Hitserien, bei denen wir sagen: Das wird ein Knaller im Hauptabendprogramm. Großen Erfolg haben wir mit den Sitcoms am Nachmittag und Vorabend. In diesem Genre kommt auch vieles aus den USA nach; im Mai bei den Screenings erwarten uns angeblich 46 neue Sitcom-Piloten. Eine große Rolle spielt natürlich auch das Pay-TV in den USA: HBO und Showtime, die die etwas anderen Serien machen, die vor allem bei den Kritikern sehr viele Freunde haben. Für uns als Vollprogramm- und Free-TV Sender sind solche Serien ein bisschen ein Balanceakt. Dexter oder Californication zum Beispiel – diese besonderen Serien sind für uns auch besonders interessant, um dem Publikum eine große Vielfalt bieten zu können. Das funktioniert auch am Serienmontag um 23 Uhr sehr gut. The Big C fällt auch in diese Kategorie, eine Serie, die wir kürzlich mit gutem Erfolg gestartet haben.

Ganz konkret: Wie war das bei der mutigen und zu Recht gepriesenen Serie Dexter?
Wir haben Dexter als erste im deutschen Sprachraum gezeigt, als es eine deutsche Fassung gab. Der ORF synchronisiert die Serien nicht selbst, das macht entweder der Lizenzgeber oder der deutsche Sender. Deshalb sind wir natürlich immer darauf angewiesen, möglichst rasch eine deutsche Fassung zu bekommen. Die Wartezeit zwischen US-Ausstrahlung und deutscher Fassung wird aus diversen Gründen immer kürzer.

Dexter ist ein Beispiel für eine Serie, die man trotz all ihrer unbestrittenen Qualitäten einem Hauptabendpublikum wohl kaum vorsetzen kann.
Haben wir auch nicht. Wir senden Dexter um 23.20 Uhr. Aber diese Diskussion hatten wir auch innerhalb der Abteilung und auch mit der Programmdirektion damals. Ist es ethisch vertretbar, dass wir eine Serie zeigen mit einem Typ, der tagsüber Forensiker und nachts Serienkiller ist und eigentlich sympathisch dargestellt wird? Die Serie ist mehrfach ausgezeichnet und u.a. Golden-Globe- und Emmy-prämiert, eine hochwertige und toll gemachte Serie. Ich bin davon überzeugt, dass das Publikum, das um 23.20 Uhr fernsieht, durchaus differenzieren kann.

Warum konnte man Breaking Bad oder Mad Men nicht im ORF sehen?
Das war auch immer eine Diskussion. Wir hatten Mad Men schon fast gekauft und wollten die Serie auf den Dexter-Slot um 23.20 Uhr setzen – um diese Idee schließlich wieder zu verwerfen, da es eine große Überlappung mit dem Publikum des zeitgleich ausgestrahlten Kulturmontags in ORF 2 gegeben hätte. Für einen früheren Sendetermin wäre Mad Men vom Zielpublikum aber zu schmal. Nicht zufällig ist die Serie auch in Deutschland nur auf einem Nischensender zu sehen. Breaking Bad haben wir für die „Donnerstag Nacht“ überlegt. In der „Donnerstag Nacht“ funktionieren jedoch die eigenproduzierten Comedies ungleich besser als dort Breaking Bad jemals funktioniert hätte. Natürlich gibt es neben den Erfolgseinschätzungen auch immer finanzielle Abwägungen.

Sie haben gesagt, dass Film nicht mehr so sehr Thema im Fernsehen ist. Könnten Sie das noch genauer ausführen?
Was die Filmslots spätabends betrifft, die wir früher oft mit Action-Movies gefüllt haben, haben sich die Publikumsgewohnheiten stark verändert. Spielfilme, die nach Ablauf der Kinosperrfrist im Free-TV zu sehen sind, sind im Fernsehen leider oft weniger erfolgreich als auf der großen Leinwand. Das hat ganz sicher auch mit der Verwertungskette zu tun, die zwischen Kinostart und Free-TV-Ausstrahlung stattfindet. Das hat mit Downloaden genauso zu tun wie mit sinkenden DVD-Preisen und einer Unzahl an Pay-TV-Channels. Bis der Film ins Free-TV kommt, gibt es so viele andere Möglichkeiten ihn zu sehen.

Gleichzeitig machen wir aber auch die Erfahrung, dass die Filmpremieren an Sonn- und Feiertagen sehr, sehr gut funktionieren und nach wie vor wichtig für das Image eines TV-Senders sind, wie dies heuer die Blockbuster 2012 und Avatar bereits bewiesen haben. Da gibt es nur einzelne Ausnahmen, die unter den Quotenerwartungen bleiben. Jedoch müssen wir feststellen, dass Zweitspielungen vom Publikum immer schlechter angenommen werden. Das hat natürlich mit der großen Angebotsmenge an Sendern und Programmen zu tun. Im Fernsehen funktioniert originäres Fernsehprogramm immer besser. Darum auch dieser Hype um die Serien.

Was hat es mit den Parallelausstrahlungen von ORF und Pro7 oder RTL auf sich?
Da wir in Österreich auch alle deutschen Sender empfangen können, ist es in vielen Fällen so, dass vertraglich ein frühestens zeitgleicher Ausstrahlungstermin mit dem deutschen Sender geregelt ist. Immer öfter gelingt es uns aber auch, Vorausstrahlungen zu verhandeln. Aufgrund dieses kompetitiven Markts in Österreich ist es für den ORF essenziell wichtig, Blockbuster oder attraktive Programme vorauszustrahlen oder gleichzeitig zu senden.

Wie sind Sie finanziell ausgestattet?
Kaufprogramm ist nach wie vor um vieles günstiger als Eigen- und Koproduktion. Vor allem amerikanische Programme sind besonders bei den jungen Zuschauern sehr erfolgreich. Wir müssen allerdings als Abteilung auch sparen, so wie alle Abteilungen im ORF zum Sparen angehalten sind. In der Preisgestaltung der Programme geht es immer um Angebot und Nachfrage und Qualität und Erfolg der einzelnen Produkte.

Hat man da auch viel Junk dabei?
Nein. 1995 hat der ORF auf 24-Stundenprogramm auf beiden Kanälen umgestellt. Damals brauchte man sehr viel Programm, man musste plötzlich ganze Nächte mit Sendungen füllen. Mittlerweile gibt es aber ein breites Programmangebot. Das hat sich nicht nur beim ORF verändert, das ist auch in Deutschland so. Man kauft jetzt nicht mehr in sogenannten Output-Deals, wo man alles gekauft hat, was in dem Jahr von einem US-Studio produziert wurde, sondern macht so genannte Volume-Deals oder Rahmenverträge mit dem Studio. Dann gibt es aber auch noch kleinere Paketverträge.

Wie kann man sich so einen Rahmenvertrag vorstellen?
Mit den großen US-Studios haben wir großteils direkte Rahmenverträge, die im Schnitt zwei, drei Jahre laufen. Die Rechte sind unterschiedlich geregelt. Beispiel: Wir haben einen Vertrag mit einem US-Studio für die Jahre 2011 und 2012. Wir übernehmen die Filme, die das Studio in den Jahren 2011 und 2012 ins Kino bringt. Für den ORF als Free-TV-Sender werden sie aber erst nach Ablauf der Kinosperrfrist, rund zweieinhalb Jahre später, frei. Und dann haben wir eine bestimmte Anzahl an Spielungen für einen bestimmten Zeitraum vereinbart. Die Lizenz beginnt erst mit dem Freiwerden des jeweiligen Films für das Fernsehen.

Die Serien übernehmen wir aus den Jahren 2011 und 2012 in den USA, allerdings nicht alle, sondern nur ein vereinbartes Volumen. Das läuft folgendermaßen ab: Wir sehen die Piloten im Mai, dann starten die Serien im Herbst oder in der midseason im Jänner in den USA. Im Vertrag ist eine Nominierungsfrist geregelt, innerhalb dieser wählen wir die Serien aus. Natürlich nach einer längeren Beobachtungs- und Evaluierungsphase.

Wie sieht ein Volume-Deal idealtypisch aus?
Man übernimmt zum Beispiel die Filme, die dieses Studio in dem Jahr ins Kino bringt, nach bestimmten qualifyern; das heißt, man übernimmt beispielsweise nur die Filme, die mit mindestens 500 Kopien in Amerika und 50 Kopien in Deutschland ins Kino gekommen sind.

Und die finanzielle Dimension?
Bei der Preisgestaltung der Filme werden sogenannte escalator vereinbart, und je nach Kinozuschauerzahlen wird der Film immer teurer oder bleibt beim Basispreis. Blockbuster sind demnach teurer als andere Filme. Normalerweise kann man davon ausgehen, dass ein Kinoerfolg auch ein TV-Erfolg ist.

Ist der Basispreis für einen deutschen Sender zehnmal höher, weil er zehnmal mehr Publikum hat?
In Deutschland bei Blockbustern weit mehr als zehnmal, wie ich höre, weil der Konkurrenzkampf zwischen den großen Sendergruppen so enorm ist. Da sind wir glücklicherweise weit davon entfernt. Ganz einfach ist es für uns als ORF aber auch nicht mehr, weil es auf dem österreichischen Lizenzmarkt mittlerweile auch Konkurrenz gibt. In diesen konkurrenzbedingten Prozessen stecken wir sehr oft, und dann gilt es abzuwägen und zu evaluieren.

Wie sieht es denn im Arthouse-Bereich aus? Ist das für Sie überhaupt noch ein Thema?
Ein großes Thema. Der „art.film“-termin ist am Montag um null Uhr in ORF 2 nach dem „Kulturmontag“, wo er vom audience flow ausgezeichnet passt. Die Quotenerfolge sind leider oft sehr bescheiden, dennoch ist es für uns als öffentlich-rechtlicher Sender wichtig, diese Programmfarbe zu haben und zu pflegen und dem Publikum eine große Vielfalt zu bieten.

Wo kaufen Sie da sein?

Unterschiedlich. Bei Prokino, auch bei Tele-München, Telepool, Degeto, bei kleinen Filmhändlern.

Sie haben vorher über diese Konkurrenzsituation durch die anderen Filmkanäle gesprochen. Gerade Fortsetzungsserien werden gern als DVD-Boxen oder elektronisch verfügbar gemacht, wo man sich sozusagen den Einverleibungs-Rhythmus selbst aussuchen kann. Meinen Sie, dass man im Fernsehen bald nur mehr mit sehr quotenträchtigen Episodenserien durchkommen wird?
Die Zukunft hat in Wirklichkeit schon begonnen. Ein Vorteil fürs Fernsehen ist aber nach wie vor, dass nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des österreichischen Publikums Serien schon vor der deutschsprachigen Erstausstrahlung auf Englisch im Internet verfolgt.

Aber unter den jüngeren Medien-Interessierten ist das doch fast schon Standard.
Ich habe immer wieder Praktikanten in der Redaktion. Vor ein paar Jahren habe ich einmal einer Praktikantin DVDs von der Serie Heroes gegeben, weil es eine junge Serie war und ich wissen wollte, was die 19-, 20-Jährige dazu sagt. Ich lege ihr einen Stapel DVDs hin und bitte sie, sich die anzuschauen, und sie meint, dass sie die alle schon längst im Internet gesehen hat. Ich glaube allerdings nach wie vor, dass es gewissermaßen elitär ist, denn gewisse Englischkenntnisse sind da natürlich nötig.  Dazu kommt die ewige Diskussion, ob Fernsehen seine Stellung als Leitmedium verliert. Auch wenn man immer von Smart-TV redet und davon, dass jeder sich sein eigenes Fernsehprogramm zusammenstellt, denke ich, dass Fernsehen in erster Linie ein Unterhaltungsmedium ist. Wenn man am Abend nach Hause kommt, ist es reizvoll, sich hinzusetzen und einfach zu schauen oder zu zappen. Ich denke, dass es das lineare Fernsehen nach wie vor geben wird beim Großteil der Zuschauer, auch aus sozialen Gründen. Damit man über die jeweilige Folge von CSI oder Mein cooler Onkel Charlie am nächsten Tag reden kann, muss man es ungefähr in dem Umfeld gesehen haben. Gerade junge Menschen nutzen immer mehr das Internet, um fernzusehen, aber nicht auf Kosten ihrer Fernsehnutzungsdauer, wie Studien unter jungen Leuten immer wieder bestätigen. Diese Hardcore-Medien-User sind mehr im Internet, aber kürzen oder opfern deswegen nicht ihre Fernsehzeit. Das Freizeitverhalten verändert sich einfach, indem man mehr Medien nutzt. Man wird sehen, wie sich das tatsächlich entwickelt. Vor allem serialized series werden gern im Internet geschaut, weil man den Rhythmus für sich festlegen kann. Wöchentliche Ausstrahlungen von Fortsetzungsserien machen wir eigentlich im ORF nur noch in Ausnahmefällen und bei Spitzenprogrammen, wie etwa bei Damages mit der wunderbaren Glenn Close. Es ist ein interessantes Phänomen, dass Hollywood-Topstars immer öfter Serie machen und auch in Interviews sagen, dass sie das so spannend finden, weil man über diese große Anzahl an Folgen viel bessere Geschichten erzählen kann als in einem Zweistunden-Film.

Sagen wir so: Sie würden gern bei gewissen Dingen, aber Sie können einfach nicht.
Ja, es geht ja nicht um den persönlichen Geschmack. Das sage ich auch meinen Redakteuren immer. Es geht neben all den Programmrichtlinien und Qualitätsansprüchen darum, welches Programm für welchen Sendeplatz am besten geeignet ist und wie man die meisten Zuschauer erreichen kann. So wird auch für den Einkauf beurteilt. Wir haben bei der Programmbeurteilung eine Art Schulnotensystem von 1 bis 5. Die Note 1 bedeutet, „das müssen wir unbedingt haben, das ist einfach toll“, die Note 2 heißt in unserem internen Redaktionssystem „gefällt mir als Redakteur persönlich gut, aber ich wüsste im Moment keinen adäquaten Sendeplatz“. Das sind dann oft die Kritikerprogramme.

Zum Thema eigenproduzierte Serien: Ist da etwas aktuell geplant?
Wir drehen gerade eine Koproduktion mit Sat.1 im Burgenland und in Wien. Die Serie heißt Es kommt noch dicker (AT) und ist eine Bodyswitch-Geschichte zwischen zwei jungen Frauen, wo es ums Dicksein geht und darum, wie es ist, im Körper des anderen zu sein. Es kommt noch dicker wird im Herbst in ORF eins zu sehen sein. Sie ist modern erzählt und von der Dramaturgie und vom Tempo her durchaus in Anlehnung an die amerikanischen Serien, weil die einfach dramaturgisch anders gebaut sind als konventionelle österreichische Serien wie Der Bergdoktor. Man muss in der Erzählweise zwischen jungem und älterem Publikum unterscheiden, es gibt verschiedene Erwartungen, Bedürfnisse und unterschiedliches Zuschauerverhalten unter den Generationen.

Wie fällt diese Koproduktion budgetär ins Gewicht?
Das kostet mehr als ein Lizenzkauf, ist aber gleichzeitig wichtig für die österreichische Filmwirtschaft. Dank diverser Förderungen in Österreich gelingt es uns immer öfter, deutsche oder auch internationale Koproduktionen nach Österreich zu holen.

Wie sieht es mit dem Einkauf deutscher Serien aus?
Machen wir auch. Der letzte Bulle oder Die Rosenheim-Cops laufen in der Primetime beispielweise sehr gut, Um Himmels Willen haben wir unlängst für den Nachmittag in ORF 2 gekauft.

Würden Sie denn auch die neue Serie von Wiedemann & Berg kaufen?
Sie meinen Add a friend? Mit Wiedemann und Berg haben wir als ORF auch schon produziert. Die Serie ist vorerst einmal im Pay-TV. Ich finde sie spannend vom Plot her und werde sie auf jeden Fall für die junge Zielgruppe im Auge behalten.

Verraten Sie uns zum Schluss noch Ihre persönliche Lieblingsserie?
Die wechselt immer wieder. Lange war es Grey’s Anatomy. Weil wir sehr viele Koproduktionen mit deutschen Sendern machen und Buchgespräche mit Autoren haben, verwende ich diese Serie gern als positives Beispiel für Dramaturgie. Wenn wir für ORF eins Serien produzieren, um die jüngeren Zuschauer zu erreichen, darf man sich nicht scheuen, so wendungsreich zu erzählen wie Grey’s Anatomy, aber auch so genreübergreifend. Eine hoch emotionale traurige Situation vor eine humorvolle Szene zu setzen, neben tollen Charakteren auch immer Überraschung und Spannung zu bieten, um die jüngeren Zuschauer zu fesseln. Insofern war Grey’s Anatomy lang meine Lieblingsserie, weil sie all das perfekt zeigt. Im Moment schaue ich gern Raising Hope, das auch im ORF geplant ist.

Grey’s Anatomy ist ja eine Mischform aus Episoden- und Fortsetzungsserie.
Ja genau. Da hat man die abgeschlossenen Episodenfälle, aber dennoch einen sehr starken privaten, emotionalen Strang, der das Publikum weiterzieht. Ideal: Man hat einen emotionalen Cliffhanger, der den privaten Strang weitererzählt, und dennoch kann man zwei, drei Folgen verpassen und kennt sich beim Wiedereinsteigen wieder aus. Anders als bei den serialized series wie Lost oder 24, wo man keine Folge verpassen darf, weil man sonst der Handlung nicht mehr folgen kann. Von der Erzählweise finde ich das sehr gut: Abgeschlossener Episodenfall und starker emotionaler Nebenstrang, der sich als roter Faden durchzieht.