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Viggo Mortensen

Viggo Mortensen | Interview

In Viggo veritas

| Peter Keough |

Viggo Mortensen, kürzlich mit dem Coolidge Award ausgezeichnet, demnächst in der Kerouac-Verfilmung „On the Road“ als William S. Burroughs zu sehen, im ausführlichen Gespräch

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Jedes Jahr begeht die Oscar-Akademie eine unverzeihliche Brüskierung. Dieses Jahr schloss sie David Cronenbergs A Dangerous Method aus, eine Dramatisierung der stürmischen Beziehung zwischen Sigmund Freud und C. G. Jung. Einer von Cronenbergs besten Filmen, und Viggo Mortensens Darstellung Siegmund Freuds zählte mit Sicherheit zu den besten schauspielerischen Leistungen des Jahres. Vielleicht war es ein Trost für Viggo Mortensen, den Coolidge Award zu gewinnen, eine jährliche Auszeichnung, die vom Coolidge Corner Theater in Brookline, Massachusetts, nahe Boston, verliehen wird. Zu früheren Gewinnern zählen unter anderen Robert Altman, Jonathan Demme und Meryl Streep. Viggo Mortensen, der sich neben der Schauspielerei auch als Dichter, Liederschreiber, Maler, Fotograf und Herausgeber versucht, spricht im „ray“-Interview über flüchtigen Ruhm, die ungewisse Bedeutung von Preisen und die Natur von Trilogien – womit nicht nur die Milliarden einspielende Adaption von J.R.R. Tolkiens Lord of the Rings (in der Mortensen den Halb-Elfenkönig Aragon spielt) gemeint ist, sondern auch die drei Filme, die er mit David Cronenberg (Interview) gemacht hat: A History of Violence, Eastern Promises und jüngst eben A Dangerous Method.

 

Gratulation zum Coolidge Award!
Viggo Mortensen: Danke.

Übrigens, Sie und A Dangerous Method wurden von der Akademie übers Ohr gehauen.
Viggo Mortensen:
Ich wusste schon, dass das passieren wird. Nicht nur bei Filmen, an denen ich beteiligt war, sondern auch bei anderen Filmen. Ich denke, wenn ich glauben würde, dass diese Preise – Kritiker-preise, all die verschiedenen Academy Awards, Golden Globes – wirklich exzellente Arbeit und deren Schwierigkeitsgrad auszeichnen würden, wäre ich davon enttäuscht. Aber weil das, aus welchem Grund auch immer, nicht so ist, ist es schwer, das alles zu ernst zu nehmen – abgesehen davon, dass es auf einer geschäftlichen Ebene hilfreich wäre.

Der Coolidge-Preis ist eine gewisse Kompensation, indem er die ganze Karriere honoriert.
Viggo Mortensen: Es war eine überraschende Ehre. Viele wichtige Menschen haben diesen Preis bekommen, daher war ich geehrt, dass ich damit bedacht wurde.

Ich finde,
A Dangerous Method ist einer von David Cronenbergs besten Filmen.
Viggo Mortensen: Ich würde das über die meisten seiner anderen Filme auch sagen, sicherlich über die letzten zehn Jahre seiner Arbeit. So wie A Dangerous Method werden Cronenbergs Filme jedes Mal, wenn man sie sieht, besser und enthüllen neue Ebenen. Sie gewinnen immer mehr an Gewicht – so wie die meisten bedeutenden künstlerischen Arbeiten. Es hat allerdings viel mit Promotion und Distribution und was weiß ich was noch alles zu tun. Ich glaube, dass Davids Filme bis zu einem gewissen Grad gewöhnungsbedürftig sind. Natürlich mag nicht jeder seine Filme, aber mit der Zeit tendieren sie dazu, einem mehr und mehr ans Herz zu wachsen. Vielleicht ist es eine Spätzündersache. Vielleicht ist es sofortige Befriedigung, die Preise gewinnt. Vielleicht ist das der Grund, warum David nicht nominiert wurde. Er wurde bei der  Kanadischen Akademie – den Genie-Awards – nominiert und hat ein paar Mal gewonnen. Aber es ist, als wäre er für die amerikanische Akademie und auch für die britische Akademie unsichtbar. Es ist merkwürdig.

Sie wurden für Eastern Promises nominiert?
Viggo Mortensen: Stimmt. Das war ziemlich überraschend. Ich weiß nicht, ob es die schauspielerische Leistung war oder der nackte Messerkampf. Ich weiß nicht, warum Menschen darüber abstimmen, was sie machen. Ich war geehrt. Geschmeichelt.

Roger Ebert sagte,
Eastern Promises sei ein Meilenstein aufgrund der Sequenz, die Sie erwähnt haben: der nackten Kampfszene in der Sauna. Dann spielten Sie in einem Film mit Michael Fassbender, der auch nackt war in einer – wie manche meinen – sehr tabubrechenden Darbietung in Shame. Haben Sie jemals darüber gesprochen, während Sie A Dangerous Method gedreht haben?
Viggo Mortensen: Nein, haben wir nicht. Ich hatte den Film damals noch nicht gesehen. Ich bin erst kürzlich endlich dazu gekommen, ihn mir anzuschauen. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, was der ganze Lärm soll. Er ist meiner Meinung nach nicht so bahnbrechend, mit allem Respekt für den Film. Ich finde, Shame ist ein interessanter, guter Film. Aber wenn er wirklich bahnbrechend wäre, hätte er sicher nicht all diese Preise gewonnen. Ich glaube, der Geschmack der Menschen ist ziemlich konservativ, und sie haben eine Herdenmentalität. Oft tendieren die Leute dazu, die guten Filme auf diesen Top-Ten-Listen ein Jahr lang oder länger zu übersehen. Das ist irgendwie absurd. Aber die Dinge, die ich darüber gehört habe … nun ja, sie erscheinen mir nicht als richtig. Wenn ich nicht all den Hype gehört hätte, hätte ich gesagt „Oh, nett.“ Die ganze Aufregung um Shame als Tabubrecher habe ich nicht verstanden, weil das leistet der Film nicht.

Da wir bei den Top Ten sind: Ich habe The Road auf meine Top-Ten-Liste 2009 gesetzt. Ich war überrascht, dass der Film nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen hat
.
Viggo Mortensen: Dankeschön. Ich war stolz auf diesen Film. Ich habe aber verstanden, warum er nicht gut gegangen ist. Er wurde leider vom Verleih fallen gelassen. Das war aber ein Film, der Besseres verdient hätte. Sie haben den Film lange nicht ins Kino gebracht oder die Promotion gemacht, die sie vertraglich versprochen hatten. Der Regisseur, ich und einige andere hatten sehr hart an der Promotion des Films gearbeitet, mit diesem Vertrag im Hintergrund, und als es dann an der Zeit war, den Film herauszubringen, haben die vom Verleih nicht viel gemacht. Sie haben ihr Geld in andere Filme gesteckt. Es gab aber ein großes Publikum da draußen, schließlich handelt es sich um die Verfilmung eines Bestsellers. Viele Menschen warteten darauf, den Film zu sehen, viele waren frustriert und schrieben ihren Zeitungen. So wie bei Cronenbergs Filmen gibt es auch andere, die übersehen wurden. Die es verdienen, gesehen zu werden. Nicht die übliche Kost. Sie werden zu ihren Zuschauern kommen, mit der Zeit, auf DVD, auf anderen Wegen. Denjenigen, die The Road gesehen haben, hat der Film gefallen. Viele Menschen kommen zu mir und sagen, dass sie den Film wirklich gemocht haben, dass er irgendwie verstörend ist, aber sehr schön. Es ist also schön für mich, wenn Ihnen der Film gefallen hat.

Sie sind natürlich besser bekannt für die Lord of the Rings-Trilogie, aber mit A Dangerous Method haben Sie inzwischen auch eine Trilogie mit David Cronenberg abgeschlossen.
Sehen Sie da irgendwelche Parallelen?
Viggo Mortensen: Das sind jeweils drei Filme, aber sie sind offensichtlich sehr verschieden. Bei Lord of the Rings sehe ich die Trilogie als eine lange Geschichte. So wie auch The Godfather und The God-father: Part II ein langer Film ist. Das ist aber bei Lord of the Rings noch mehr der Fall, weil es ein langes Buch und ein enorm langer Dreh war.

Ich weiß nicht, ob es einen Plan gibt, um die Zeitlücke zwischen The Hobbit und The Lord of the Rings zu füllen, aber es scheint, als wäre Ihre Verbindung mit diesem Projekt an dieser Stelle vorbei. Stimmt Sie das traurig?
Viggo Mortensen: Nein. Ich meine, wenn man beschlossen hätte, meinen Charakter zurück zu holen, in welcher auch immer gearteten Story – es werden ja zwei Filme gedreht – würde das Sinn ergeben. Jetzt kann es natürlich sein, dass man einfach zwei Filme macht, um die ganze Geschichte zu erzählen, aber ich habe die selben Gerüchte gehört, die Sie wahrscheinlich auch kennen: Dass es die Idee gibt, eine Art Brücke zwischen dem Ende von The Hobbit und dem Beginn von The Lord of the Rings zu bauen. Es gibt lediglich eine Zeitspanne von 60 Jahren zwischen den beiden Filmen, sie hätten das also locker machen können. Aragorn lebt viel länger als Menschen, weil er ja halb Elf ist. Natürlich, wenn es etwas gewesen wäre, das sie tun hätten wollen, hätte ich es sicher gemacht und es hätte wahrscheinlich Spaß gemacht. Es ist ein gutes Gefühl, dort zu sein. Ich habe es wirklich genossen, mit Neuseeländern als Team-Mitgliedern und Arbeitskollegen zu drehen. Ich habe Freunde dort und fahre dorthin zurück, wenn ich kann. Ich bin aber nicht traurig. Ich habe nicht das Gefühl, dass es plötzlich vorbei ist oder so. Es war vorbei, als wir die Trilogie fertiggestellt hatten. Ich freue mich schon darauf, zu sehen, was sie mit The Hobbit gemacht haben.

Denken Sie, dass Sie einen weiteren Film mit David Cronenberg machen werden?
Viggo Mortensen: Da bin ich mir sicher. Wir reden regelmäßig miteinander und wir schreiben über viele Dinge hin und her, nicht nur über Filme. Er hat immer einige Geschichten in Arbeit. Er bekommt seine Filme nicht so leicht finanziert wie, sagen wir, Woody Allen, obwohl er eine sehr gute Bilanz hat, sowohl bei den Kritikern, aber auch bezüglich der Fähigkeit, investiertes Geld wieder einzuspielen. Cronenberg beendet außerdem Dreharbeiten zeitgerecht oder noch davor und im Rahmen des Budgets oder darunter. Aber er braucht einige Zeit, bis er etwas beisammen hat. Es gibt einige Dinge, über die er geredet hat. Ich weiß nicht, welches Projekt zuerst passieren wird, aber ich bin mir sicher, dass wir etwas gemeinsam machen werden, weil wir gerne miteinander arbeiten. Wir haben einen ähnlichen Geschmack und einen ähnlichen Humor. Offensichtlich weiß er, dass er darauf vertrauen kann, dass ich in einer Art und Weise arbeite, die er mag, und ich weiß, dass er in einer Art und Weise arbeitet, mit der ich mich wohl fühle.

Wie entscheiden Sie sich für einen Film, wenn Cronenberg nicht Regie führt?
Viggo Mortensen: Ich habe kein Rezept, ich suche nur nach einer interessanten Geschichte. Und es ist nicht so, dass ich entscheiden kann, was ich als nächstes machen werde, dass ich überhaupt auswählen kann. Wenn ich Glück habe, bekomme ich ein Angebot, das brauchbar ist, etwas, das wirklich gemacht wird. Ich lese eine Menge Drehbücher und die meisten davon werden niemals realisiert. Oft werden diejenigen umgesetzt, die nicht sehr gut sind. Wenn jemand möchte, dass du etwas machst und es eine interessante Geschichte ist und etwas, das man vorher noch nicht probiert hat und wovor man Angst hat – das ist es, was mich üblicherweise anzieht. Wenn ich Angst davor habe, ist es ein Zeichen, dass ich es tun sollte.

Sie haben kürzlich Ihren ersten argentinischen Film gemacht, stimmt das?
Viggo Mortensen: Ja, ich habe darin Zwillingsbrüder gespielt [Ana Piterbargs Everyone Has a Plan, Anm.]. Davor hatte ich noch nie Zwillinge gespielt, das war also eine interessante Herausforderung. Ich habe andere Filme in Spanisch gedreht, aber dieser war in Argentinien, wo ich bis zum Alter von elf Jahren aufgewachsen bin. Es war meine erste Chance, dort einen Film zu machen.

Woran arbeiten Sie momentan?
Viggo Mortensen: Ich habe eben ein Theaterstück von Ariel Dorfman namens „Purgatorio“ gespielt. Er ist ein brillanter Schriftsteller, der auch „Death and the Maiden“ geschrieben hat. Ich war seit 20 Jahren in keinem Stück mehr. Wenn wir vom Angsthaben reden – das war definitiv beängstigend auf eine positive Art. Es hat mich dazu gebracht, etwas anderes zu machen und viel zu lernen.

Hat Sie das darauf vorbereitet, einen anderen Film zu machen?
Viggo Mortensen: Ich weiß noch nicht, was ich als nächstes machen werde. Ich habe diesen argentinischen Film, der kommt bald raus. Und ich spiele eine Rolle in Walter Salles’ Adaption von Jack Kerouacs „On The Road“.

Von The Road zu On The Road.
Viggo Mortensen: Ja, genau. Das war lustig. Ich habe wieder einen Charakter gespielt, der ein Mentor für jüngere, gleichgesinnte Denker ist, der auf William Burroughs basierende Charakter des Bull Lee.

Haben Sie viel von Burroughs gelesen?
Viggo Mortensen: Ja, ich glaube, ich habe alles gelesen, was er geschrieben hat. Viele Artikel und auch viele andere Sachen. Ich habe viele Audioaufzeichnungen gehört und Videoaufzeichnungen waren für diesen Part sehr hilfreich. Ich versuchte, seinem Klang und seinem Rhythmus gerecht zu werden. Jack Kerouacs Arbeit war mehr auf einen jugendlicheren, populistischeren Geschmack ausgerichtet. Und Allen Ginsberg war der Mann, was die Beat-Literatur angeht. Aber ich denke, dass auf eine gewisse Art die Arbeit Burroughs’ diejenige ist, die am besten fortbesteht. Sein Sprachgebrauch und sein Wortspiel sind sehr originell. Die Mischung aus Realismus, hinsichtlich Slang und Umgangssprache. Burroughs’ Vorstellungskraft war gewissermaßen fantastisch, paranoid, jenseitig, von Krankheit getrieben. Ich denke, seine Arbeit wird mehr Bestand haben als die der anderen.

Mit der Lord of the Rings-Trilogie müssen Sie von einem Leben in relativer Anonymität zu einem Halbgott avanciert sein. War das eine positive Erfahrung?
Viggo Mortensen: Es ermöglichte mir, mehr meiner Bücher zu verkaufen, mehr Leute dazu zu bewegen, zu Poesie-Lesungen zu kommen. Es ermöglichte mir, viele Leute, die sich plötzlich für mich als Schauspieler interessierten, auf Leute zu verweisen, die ich mag. Was mich als Schauspieler angeht, hat es mir beispielweise ermöglicht, mit David Cronenberg zu drehen. Ohne die Aufmerksamkeit durch die Lord of the Rings-Trilogie hätte er mich nicht casten können. Ich sehe es daher als eine Win-Win-Situation. Natürlich ist es komisch, wenn plötzlich Leute auf der Straße meinen, sie kennen dich besser als sie ihre eigene Familie kennen. Aber es hat mir jede Menge neuer Möglichkeiten gebracht, was Arbeit, Aufmerksamkeit und Reisen angeht. Ich bin dafür sehr dankbar.

Eine letzte Frage: Ich habe gehört, dass Sie täglich 20 Zigarren geraucht haben, als Sie Freud in A Dangerous Method gespielt haben. Auf dieser Erfahrung beruhend, würden Sie Freud zustimmen, dass manchmal eine Zigarre nur eine
Zigarre ist?
Viggo Mortensen: Ich denke, eine Zigarre ist immer eine Zigarre. So wie eine Waffe immer eine Waffe ist. Aber alle möglichen Dinge können mit Zigarren und Waffen passieren. Manchmal schmeckt eine Zigarre schrecklich und manchmal großartig.