Solange noch irgendjemand irgendwo solche Filme macht, ist das Kino nicht verloren.
Poetisch ist ein Wort mit belegter Zunge, einen Traum zu beschreiben, ist im besten Fall unzureichend, im schlimmsten gar banal. Und doch kann das neue Werk des portugiesischen Regisseurs Miguel Gomes nur als poetisches Juwel beschrieben werden, dessen Kristallstruktur die Logik eines individuellen Traums im kollektiven aufweist. In einer Ouverture streift ein Jäger, der den Tod seiner Frau nicht verwinden kann, durch die afrikanische Savanne und man begegnet einem mythischen Krokodil mit melancholischem Blick. Kurz darauf, im Lissabon der Gegenwart, nimmt sich Pilar, eine Katholikin mit Helfersyndrom, ihrer leicht senilen und stark exzentrischen Nachbarin Aurora an. Aurora glaubt, von ihrer kapverdischen Hausbesorgerin Santa verhext zu werden, verwebt Vergangenheit und Gegenwart in bizarre Träume und ist spielsüchtig, oder – eher – verliersüchtig. Am Totenbett buchstabiert sie einen Namen in Santas Handfläche, Gian Luca Ventura, der zu einem italienischen Abenteurer und durch dessen Narration zurück in die kolonialistische Vergangenheit in Mozambique führt.
Dort wird man Zeuge einer Affäre, einer Amour so fou, dass nicht nur die Beteiligten, sondern auch das Publikum den Verstand zu verlieren droht. Auf der Zeitebene ist die Geschichte in „Das verlorene Paradies“ und „Paradies“ getrennt, aber erst in der audiovisuellen Unterscheidung wird der wahre Verlust sicht- und spürbar: Während die Gegenwart (schwarzweiß wie der gesamte Film) auf 35mm gedreht wurde und von hölzernen, automatisierten, bis zur Absurdität wiederholten Dialogen beherrscht wird, lebt die Erinnerung von der Intensität des 16mm Materials und dem Voice-over des alten Ventura, das sich zwar mit geisterhaft-atmosphärischen O-Tönen abwechselt, nie jedoch auf die unnötige Profanität eines Dialogs herablässt. Es ist ein Film über die Liebe, ohne Pathos oder Zynismus; über die Essenz, das Ideal, die Vorstellung von Liebe, die es vermag, Kunst zu schaffen oder vielleicht erst durch Kunst in den Köpfen entstand und Anker gesetzt hat.
Und es geht um die Liebe zum Film als Sehnsuchts- und Traummaschine sowie ihren Seifenbläsern Murnau, Bresson, Godard, Beckett und – da ein jeder seinen eigenen Traum erlebt – noch zahlreichen mehr. Tabu zeichnet sich durch das Spiel mit Blicken und dem Kameraauge, die Bedeutung von Licht und Schatten, Dies- und Jenseits, Paradies und Realität, durch die unzähligen Geschichten, Details, Anspielungen und den alles durchwirkenden Humor aus. Und durch ein Krokodil namens Dandy.