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Aufstieg und Fall eines Helden; großes Schauspielerkino, kleine Regieleistung

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Die Frau ist splitterfasernackt, und während der Typ auf dem Bett telefoniert, kreuzt sie, vermutlich auf der Suche nach ihrer Unterwäsche, mehrmals die Einstellung. Das könnte einen ablenken, wäre der Typ auf dem Bett nicht Denzel Washington und in jedem Fall aufregender als ein knackiger Hintern und wohlgeformte Brüste. Washington ist mittlerweile 58 Jahre alt, und sein Körperbau tendiert ins Massive. Den Raum, den dieser Mann besetzt, hat man schon immer gespürt, inzwischen spürt man aber auch das Gewicht, mit dem er ihn beansprucht. Das

Lateinische hat dafür das Wort „gravitas“, es bezeichnet eine Mischung aus Würde und Schwere.

In Robert Zemeckis’ Flight spielt Denzel Washington einen Flugkapitän mit dem schönen Namen Whip Whitaker: einen Helden, der in Wahrheit eine arme Sau ist. Einen, der sich eingerichtet hat im Selbstbetrug und in der Selbstüberschätzung und dem das Gebäude aus Lügen und Täuschungen, das ihn umgibt, zu zerfallen beginnt – bis nichts mehr davon übrig bleibt außer der nackten und wie immer unerfreulichen Wahrheit: Whip Whitaker ist Alkoholiker.

Erzählt wird eine klassische Geschichte von Aufstieg und Fall: Nach einer Nacht voll Drogen und Laster besteigt Whitaker sein Passagierflugzeug, genehmigt sich ein paar Aspirin und fliegt los. Der Start verläuft aufgrund von Turbulenzen holprig, die Landung aufgrund eines mechanischen Defektes brüchig. Weil aber Whitaker dabei ein halsbrecherisches Manöver durchführt, überleben fast alle. Zu einer Untersuchung der Vorgänge kommt es dennoch, und sie fördert, wen wundert’s, den überhöhten Blutalkoholwert des Piloten zutage. Whitaker gerät in die Bredouille, die unangenehmen Fragen, die ihm gestellt werden, stellen seine Existenz in Frage. Wie reagiert ein Säufer auf Forderungen, die ihn überfordern? Er säuft mehr.

Zemeckis hat Flight als erbauliche Fabel inszeniert, die vor allem gegen Ende Schlagseite hin zum Rührseligen und Propagandistischen entwickelt. Doch Washington verleiht seiner Figur Tiefe, und so beobachtet man fasziniert ein Charakterporträt aus gekränktem Stolz und zunehmender Angst, halbbewusster Verdrängung und selbstzerstörerischen Abstürzen. Man sieht die Dynamik der Desintegration eines Mannes, der unter Schmerzen realisiert, dass er nicht mehr länger vor sich selbst davonlaufen kann. Dass er das Tal des Jammers durchqueren muss, um auf der anderen Seite der Gnade der Erlösung teilhaftig werden zu können.