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Zero Dark Thirty

Zero Dark Thirty: America, Fuck Yeah?

| Roman Scheiber |

Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal zeigen die Jagd auf Osama Bin Laden in der Form eines reduzierten Thrillers. Äußerst sehenswert.

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Schwarzfilm, Originaltöne von 9/11: Tumult, erste Medienberichte, die Stimme einer ängstlichen Frau am Notruftelefon im World Trade Center. Man weiß, diese Frau hat nicht überlebt. Wenn nun in der nächsten Szene, sie spielt zwei Jahre später in einem geheimen CIA-Camp in Pakistan, der grimmig aussehende Agent Dan (Jason Clarke) einen mutmaßlichen Terroristen brutal verhört, könnte der Zuschauer schon in die Falle gegangen sein: Werden hier die von der US-Regierung nach 9/11 schönfärberisch „Enhanced Interrogation Techniques“ genannten Folterpraktiken legitimiert? Zumal der Verdächtige (Reda Kateb) nach einer weiteren Sequenz der Demütigung, des Waterboarding und des Einsperrens in eine winzige Kiste tatsächlich eine relevante Information preisgibt, die zur Ergreifung von Al-Qaida-Oberen führen könnte?

Nein. Zu sehen sind schwer zu ertragende Folterszenen. Ähnliche Szenen haben sich im Zuge der Jagd nach dem Massenmörder Osama Bin Laden in der Realität abgespielt. Das Wissen, dass dabei Unschuldige zu Schaden gekommen sind, dass moralische Grenzen überschritten, dass Menschenrechte verletzt wurden – was die Regierung Bush-Cheney wenn nicht angeordnet, so doch bewusst in Kauf genommen hat –, setzt Zero Dark Thirty mit Recht voraus. Der Film ist daran interessiert, einen Ausschnitt von Amerikas „war on terror“ möglichst genau nachzuerzählen, ohne dem Publikum eine kritische Haltung oder eine simple Moral einzuimpfen. Er vertraut den Zuschauern und überlässt es ihnen, ob sie sich durch die Verklammerung von 9/11-Soundscape, Folterszenen und Szenen folgender Terroranschläge in ihrem Denken manipulieren lassen.

In der verkrampften Haltung und im Gesicht jener Person, die in den genannten Szenen der Misshandlung des Häftlings beiwohnt, spiegelt sich durchaus eine Ambivalenz zwischen Pflicht- und Mitgefühl. Es ist das porzellanweiße Gesicht der frisch vom College zu einer Sondereinheit der CIA rekrutierten Ermittlerin Maya (oscarnominiert: Jessica Chastain), die hier ihren ersten Außendiensteinsatz absolviert. Die intelligente junge Frau stellt all ihre Energie in den Dienst der Terrorbekämpfung und verzichtet dafür auf ein Privatleben. Und sie verzichtet freiwillig: Amerikas Staatsfeind Nr. 1 zur Strecke zu bringen, erscheint schon bald als ihr einziger Lebenszweck. Die Suche nach Bin Laden verliert jedoch im Lauf der Jahre an geheimdienstlicher Dringlichkeit, zu viele Spuren verlaufen im Wüstensand. Während der Terror durch Al Qaida immer neue Formen annimmt (im Film werden die Anschläge auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 illustriert, bei der Explosion im Marriot-Hotel in Islamabad im September 2008 kommt Maya in der Filmhandlung nur knapp mit dem Leben davon), radikalisiert sich die disziplinierte Agentin schubweise zu einer besessenen Jägerin. „Enhanced Interrogations“ kann sie mittlerweile selbst ohne Regung durchführen. An die kolportierte schwindende Bedeutung Bin Ladens im Al-Qaida-Netzwerk glaubt sie nicht, an dessen angeblichen Tod später noch weniger. Maya ist überzeugt, dass Bin Laden via Kurier mit dem Netzwerk verbunden ist und weiterhin an der Spitze der Kommandokette steht. Immer fester verbeißt sie sich in die aufwändige Verfolgung auch minimaler Spuren.

Die Bürokratie einer Menschenjagd

Zero Dark Thirty mischt Fakt und Fiktion, ist weniger als Dokudrama, aber mehr als historische Spekulation. Formal als prozessorientierte, fast detektivische Studie und reduzierter Actionthriller angelegt, erinnert der Film thematisch an Homeland – jene hochgelobte und mehrfach ausgezeichnete TV-Serie, die sich in ihrer ersten Season als wirkungsvoller Hybrid aus Spionage-Thriller, Familiendrama und Charakterstudie mit dem Krieg gegen den Terror beschäftigt hat. Wo sich Homeland jedoch mehr an der fortgesetzten Irreführung des Zuschauers delektiert und einer nicht gerade phantasiearmen Spannungsdramaturgie folgt, erzählt Zero Dark Thirty über weite Strecken vergleichsweise trocken von der Bürokratie einer Menschenjagd – mit Bildschirmarbeitern als entscheidenden Figuren.

In beiden Werken treibt eine ehrgeizige junge Frau in einem männerdominierten Milieu die Ermittlungen voran. Gerüchten zufolge sollen beide Hauptrollen gar an dieselbe reale, anonym gebliebene CIA-Beamtin angelehnt sein. Daran würde man angesichts der Ausgestaltung der Charaktere allerdings nicht denken: Anders als ihr Homeland-CIA-Pendant Carrie Mathison (Claire Danes), eine zappelige, emotional labile Figur, die an einer bipolaren Persönlichkeitsstörung laboriert, ist Maya stets um Rationalität bemüht und schafft es, aufkommenden Zorn im Zaum zu halten.

Regisseurin Kathryn Bigelow, die für The Hurt Locker als erste Frau den Regie-Oscar erhielt, und ihr Drehbuchautor, der Journalist Mark Boal (Interview), psychologisieren Maya nicht; von ihrer persönlichen Vorgeschichte erfährt man nichts. Sie könnte einfach eine extrem zielgerichtete Powerfrau sein, die sich über ihren Job definiert und ihn macht, so gut sie eben kann. Aber gerade ihre nicht offenkundige Motivation ist geeignet, zum Nachdenken über die Figur anzuregen. Wenn man in Amerikas Krieg gegen den Terror mehr sieht als einen Rachefeldzug, wenn man ihn als krampfhaften Versuch einer in ihrem Selbstverständnis erschütterten Gesellschaft sieht, mit höchst fragwürdigen Mitteln eine Art nationalen Sicherheitsgefühls zurückzugewinnen: Könnte man dann auch in Mayas Verhalten einen wenngleich hochprofessionell kanalisierten Versuch der Angstbewältigung erkennen? Nicht locker lassen, bis der Mann zur Rechenschaft gezogen ist, denn ob von ihm noch Gefahr ausgeht oder nicht: Solange er nicht tot ist, spukt er weiter als symbolischer Geist für die Verwundbarkeit Amerikas. Von kathartischem Vergeltungsbedürfnis jedenfalls, wie es hier bei manchen CIA-Oberen öfter spürbar wird, ist bei Maya nur einmal etwas zu sehen – als ihre liebste Kollegin (Jennifer Ehle) bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kommt. Ansonsten entsagt Zero Dark Thirty konventionellen Mitteln der Emotions-Beschwörung.

After Midnight

Vor allem durch seine eingangs erwähnte Implikation, Folter könne zu entscheidenden Informationen bei der Jagd nach Bin Laden geführt haben (was die Obama-Administration bestritt), löste Zero Dark Thirty in den USA eine politische Debatte aus. Die Kritik reagierte mit breiter Akzeptanz, einige Rezensenten überschlugen sich geradezu: Vom „knock out punch of the movie season“ schrieb der „Rolling Stone“, einen der intensivsten und intellektuell fordernsten Filme des Jahres sah der „Guardian“, brillant inszeniert fand ihn die „New York Times“. Das mag auch damit zu tun haben, dass relevanter Stoff zu Amerikas heikelstem Thema des vorigen Jahrzehnts Mangelware ist; Kathryn Bigelows eigener Bombenentschärfer-Irakkriegsthriller The Hurt Locker (2008, ebenfalls geschrieben von Mark Boal) zählt dazu, wie auch David Simons aussagekräftige Serie zur Invasion des Irak, Generation Kill (2008).

Bereits Boals Drehbuch sorgt für eine kohärente Erzählstrategie. Zero Dark Thirty verlässt – bis auf das Finale – selten die Perspektive der in ihrer Amtshierarchie und in ihrer persönlichen Passion verfangenen Ermittlerin. Das Treiben der „Gegenseite“ wird weitgehend außen vor gelassen, Verschiebungen der Antiterrorpolitik der US-Staatsspitze rücken nur in ihren konkreten Effekten auf die Arbeit der Behörde ins Bild. Wenn Barack Obama im Fernsehen mit der Kernaussage „Wir foltern nicht“ zu sehen ist, bleibt Mayas Miene so ungerührt, als hätte sie eine Dienstanweisung bekommen, ihren Rechner upzudaten. Eine hübsche Szene spielt kurz nach der Wahl Obamas zum Präsidenten: Ein neuer Vorgesetzter Mayas hat die Füße auf dem Tisch und telefoniert privat, als sie in sein Büro kommt. Es genügt eine halbe Minute zuzuhören, um zu wissen, dass während der Amtszeit dieses glattpolierten Lackaffen in Mayas Causa prima ganz sicher nichts weitergehen wird. Mit fast schlafwandlerischer Trittsicherheit (wie schon in The Hurt Locker) bildet Bigelow interne Abläufe und für gewöhnlich schwer durchsichtige Strukturen sicherheitsbehördlicher Entscheidungsfindung ab. Maßgebend trägt der von Mark Boal recherchierte, beeindruckend authentisch wirkende „Intel Jargon“ der CIA-Bürokraten zum Gesamteindruck bei, bevor die prozedural dominierte Studie in der letzten halben Stunde in einen Showdown übergeht, wie man ihn in einem Actionthriller noch nicht gesehen hat.

„Zero Dark Thirty“ nennen Militärs die Uhrzeit eine halbe Stunde nach Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt am 1. Mai 2011 begann die historische Operation „Neptune’s Spear“, mit dem Ziel, Osama Bin Laden in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad aufzustöbern und zu töten. Der Einsatz beginnt wie in einem spannungsgeladenen Actionthriller, nur um als spärlich spektakuläre, doch in ihrer Handkamera-Nachtsichtgerät-Optik umso atemraubendere Home Invasion ohne nennenswerte Gegenwehr abzulaufen. „Shockingly low-key, almost an anti-thriller-climax“, notierte „Entertainment Weekly“.

Zero Dark Thirty erweist sich konsequent als das Gegenteil eines hurrapatriotischen Heldenstücks. Ein emotionaler Moment am Ende bricht mögliche Rest-Erwartungen eines heroischen Hollywood-Finales: Maya bleibt es vorbehalten, die sterblichen Überreste des Terror-Phantoms zu identifizieren. Als sie sich in einem provisorischen Militärcamp dann über den von Navy Seal Team Six mitgebrachten, geöffneten Leichensack beugt, will sich Befriedigung oder gar Triumph in ihrem Gesicht nicht so recht abzeichnen. Wenn man so will, gleicht Mayas Befindlichkeit nun der eines Ultraläufers, der – aus welchen Gründen immer – jahrelang trainiert hat und nach 100 Wettkampfkilometern das Ziel erreicht. Mission accomplished, empty inside.