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Diagonale – Ein Hauch von Hoffnung

Ein Hauch von Hoffnung

| Roman Scheiber |

Der zärtliche Abschluss von Ulrich Seidls „Paradies“-Trilogie eröffnet die Diagonale 2013.

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Es gibt Szenen in Paradies: Hoffnung, die ein Kundiger im Seidl-Universum fast schon fotografisch antizipieren kann: Wenn Michael Thomas, der seit Import Export (2007) zur mittlerweile recht umfangreichen Personalreserve Ulrich Seidls zählt, als schmieriger Fitnesstrainer die Trillerpfeife bläst, herrscht markerschütternder Drill. Wiederholte Zurichtungsrituale, ein Generalthema des mittlerweile 60-jährigen Filmemachers, ließen sich immer schon vortrefflich in sportlichen Disziplinierungsmaßnahmen abbilden – und es wäre nicht Seidl, würde er diese Steilvorlage nicht genüsslich volley übernehmen. Von links nach rechts schlagen Teenager Purzelbäume durchs Bild, hängen in gleichmäßigen Tableaux gerahmt von der Sprossenwand oder legen sich in einer minutenlangen Einstellung rücklings auf die Wiese und springen wieder auf. Wieder und immer wieder, jedem schrillen Pfiff hat eine dieser ungelenken Bewegungen zu folgen. Ungelenk, denn es handelt sich in Paradies: Hoffnung nicht um sportbegeisterte, sondern – überwiegend weibliche – Jugendliche, die zwecks sommerlicher Gewichtsreduktion in einer architektonisch minderwertigen Anstalt im niederösterreichischen Hinterland interniert wurden. Einer davon, der 13-jährigen Melanie (Melanie Lenz), gilt Seidls besonderes Augenmerk, bzw. ihrer verdrucksten Schwärmerei für den rund 50 Lenze zählenden, verantwortlichen Diätcamp-Doktor (Joseph Lorenz), bzw. dessen verstörender Lust, in Form von kindischen Rollenspielen auf diese Schwärmerei einzugehen.

Die seltsame Beziehung zwischen den beiden diskutiert Melanie zunächst mit der Bettnachbarin, später kulminiert sie in zwei fast schon märchenhaft anmutenden Szenen im Wald – durchaus überraschende Einsprengsel im zwar extrem stilisierten, jedoch der Zuspitzung infernalischer Realitäten verpflichteten Bilderalbum Seidls. Das Paradies, nach dem die Trilogie benannt ist: Auf Erden ist es eine Utopie. Hier herrscht das permanente Fegefeuer.

Mit Paradies: Hoffnung schließt Seidl seinen Dreiteiler über weibliche Körperlichkeit und die Verschlungenheit weiblicher Erotik für seine Begriffe zärtlich ab (wobei wohl niemand damit gerechnet hätte, dass der Filmemacher eine Gruppe von Kindern durch die Hölle schicken würde, um zum gewohnt radikalen Ergebnis zu kommen). Paradies: Liebe bleibt nicht nur der aufwändigste, sondern auch der eindrücklichste Film der Trilogie; wie eine ganz normale Frau (Margarethe Tiesel) von einer romantisch beseelten Kenia-Urlauberin zur postkolonialen Sextouristin wird, vermag in dieser schmerzhaften Form wohl nur Seidl zu erzählen. Das Kreuz mit dem Begehren in Paradies: Glaube war dagegen vergleichsweise sicheres Terrain für den streng katholisch erzogenen Filmemacher und seine famose Stammkraft Maria Hofstätter (die heuer auch den Großen Diagonale-Schauspielpreis entgegennehmen darf). Im letzten Teil wiederum überlässt Seidl seinen (über-)gewichtigen Jung-Protagonisten das Ruder. Ihnen, und nur ihnen, lässt der unnachahmlich unbequeme Filmemacher immerhin einen Hauch der titelgebenden Hoffnung.

Ursprünglich war Paradies als einzelner Episodenfilm geplant, erst am Schneidetisch wurde er zur Trilogie erweitert. Nun hatten die drei Filme ihre Premiere jeweils bei den großen Drei des europäischen Festivalzirkus, in Cannes, Venedig und Berlin. Im Rahmen der Berlinale wurden sie in der Akademie der Künste auch erstmals am Stück gezeigt; für die Österreich-Premiere der wuchtigen Zusammenschau sorgt (auf ausdrücklichen Wunsch Seidls) ein Special Screening der Diagonale. Und ein Bildband über die Trilogie ist ebenfalls bereits erschienen (Hatje Cantz Verlag) – neben Filmstills und Set-Aufnahmen enthält er Essays von Elfriede Jelinek, Marina Abramovic, Josef Bierbichler u.a. auf Deutsch und Englisch. Seidl selbst arbeitet schon an der Fertigstellung seines nächsten Films. Obwohl dokumentarisch angelegt, wird dieser vermutlich wieder gewohnt unerbittlich. Er spielt an einem vergleichbaren Ort wie schon seine David-Foster-Wallace-Adaption „Böse Buben / Fiese Männer“ in den Münchner Kammerspielen und bei den Wiener Festwochen, an einem fetischisierten Ort des Mannes, der hier zu Lande durch die Namen Priklopil und Fritzl in den Fokus gerückt ist: im Keller.